Die NSDAP und ihr umtriebiger «Werwolf»

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Das «Deutsche Heim» an der Fäsenstaubstrasse war mit einem Porträt Adolf Hitlers und der Hakenkreuzflagge bestückt. Bild: Bundesarchiv Bern

Während des Zweiten Weltkriegs gab es, bisher wenig bekannt, auch in Schaffhausen eine Ortsgruppe der NSDAP, die sich regelmässig zu Veranstaltungen traf – und vor genau 75 Jahren ihre grösste «Blütezeit» erlebte.

von Matthias Wipf

Es war wohl hauptsächlich der Grenzlage und der Deutschen Reichsbahn geschuldet, die mitten durch den Kanton Schaffhausen verkehrte, dass die NSDAP und alle ihre bekannten Nebenorganisation wie Hitlerjugend (HJ), Bund Deutscher Mädel (BDM) oder NS-Sportgruppe auch hierzulande so stark vertreten waren. Am 1. Juni 1933 wurde die NSDAP-Ortsgruppe Schaffhausen durch Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff, der später in Davos ermordet werden sollte, gegründet. Und bereits im Dezember 1933 fand dann ein grosses «Grenzlandtreffen» mit rund 230 Teilnehmern im «Landhaus» hinter dem Bahnhof statt, an dem auch Delegationen aus Büsingen und anderen süddeutschen Ortschaften teilnahmen. Im «Landhaus» wehte, wie auch im sogenannten «Deutschen Heim» an der Fäsenstaubstrasse, die Hakenkreuzflagge und wurden Bilder von Adolf Hitler aufgehängt sowie das bekannte Horst-Wessel-Lied, die NSDAP-Parteihymne, intoniert.

Veranstaltungen im Hotel Schiff

Regelmässig traf man sich nun auch in Schaffhausen zu Feiern wie etwa dem Tag der Machtergreifung im Januar, dem Geburtstag des Führers Ende April oder während des Krieges dann auch zu Heldengedenkfeiern für bei der Wehrmacht gefallene Koloniemitglieder, von denen es einige gab.

Diese Veranstaltungen fanden zu Beginn auch im «Thiergarten» am Münsterplatz oder im Restaurant Talrose hinter dem Bahnhof statt, später dann im Katholischen Vereinshaus auf der Promenade, wo es mehr Platz hatte, hauptsächlich aber im Hotel Schiff in der Unterstadt, da die Frau des Wirtes deutsche Staatsangehörige war.

Die zentrale Figur war bald einmal Konrad Rotzinger (siehe weiter unten), der ursprünglich aus der Nähe von Waldshut stammte und von Zeitgenossen als «bulliger, vierschrötiger Typ» bezeichnet wurde. Eben zum Reichsbahn-Oberinspektor befördert, übernahm er im Jahre 1936 auch das Amt des NSDAP-Ortsgruppenleiters von Zollinspektor Hermann Zieher, der nach Karlsruhe versetzt worden war.

Von nun an scheint sich Konrad Rotzinger «sehr aktiv» auf den weiteren Aufbau der Ortsgruppe konzen­triert zu haben, wie Landjäger Albin Lehmann, der Leiter der Schaffhauser Politischen Polizei, im Laufe seiner Überwachungen feststellte. Daneben besuchte er auch regelmässig Veranstaltungen der Schaffhauser Frontisten im Haus zum Freudenfels an der Safrangasse. Die Tagesgeschäfte bei der Reichsbahn hingegen überliess der Ortsgruppenleiter, der sein Büro im Güterbahnhof hatte, immer mehr seinen Mitarbeitern.

Drohungen und Schikane

Dass Rotzinger auf Deutsche in Schaffhausen, und insbesondere auf Angestellte der DRB, einen starken Druck ausübte, scheint unbestritten. Wer nicht Mitglied der NSDAP oder der Deutschen Kolonie werden wollte, den soll er so lange schikaniert und bedroht haben, bis der betreffende Beamte schliesslich doch beitrat.

Zahlreiche Zeitzeugen beschworen, als nach Kriegsende über deren Ausweisung aus der Schweiz befunden wurde, sie seien nur wegen anstehender Beförderungen, Rentenbescheiden oder des Wartens auf den Heimatschein und Heiratspapiere «widerwillig» der Partei beigetreten. Einigen Widerspenstigen soll man gar ohne ihr Wissen den Mitgliederbeitrag vom Lohn abgezogen haben. Auch Stadtpräsident Walther Bringolf erinnerte sich später, man hätte nun «viele deutsche Beamte gezwungen, der NSDAP beizutreten, obwohl sie längst in Schaffhausen assimiliert waren», oder sprach sogar von «Erpressung».

Einen Grossteil seiner Zeit verwendete Konrad Rotzinger offenbar auch auf das Weiterleiten von sogenannten Erhebungsaufträgen, die ihm vom deutschen Generalkonsulat in Zürich oder von der Gestapo in Singen zugestellt wurden. «Kuriere für den deutschen Nachrichtendienst», stellte die Politische Polizei fest, «gingen fast täglich in seinem Bureau ein und aus.» Auch als von den Schweizer Behörden zwischenzeitlich eine Postsperre verfügt und sein Telefon abgehört wurde, fand der Ortsgruppenleiter trotzdem Wege, weiterhin an Informationen zu kommen und seine «mysteriöse Arbeit» fortzusetzen.

Die Schweiz «zur Raison bringen»

Regelmässig besuchte Konrad Rotzinger offenbar auch persönlich Kontaktleute ennet der Grenze. Zu-dem scheint er an einer sogenannten Amtswaltersitzung deutliche Worte gebraucht zu haben: «Das Schuldbuch der Schweiz ist bald gefüllt, und der Führer wird zur gegebenen Zeit dieses renitente Volk zur Raison bringen.» Dies war wohl auch die Rhetorik, die er jeweils am Tag der Auslanddeutschen zu hören bekam, den er, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Friedrich Waldecker, zuletzt 1939 in Graz besuchte.

Allein im Jahre 1942 hielt die NSDAP in Schaffhausen mindestens 22 öffentliche Versammlungen ab.

In Schaffhausen ehrte Konrad Rotzinger derweil verdiente Parteimitglieder, gedachte gefallenen Wehrmachtsangehörigen und trat vor allem selbst regelmässig als Redner an Veranstaltungen auf. Dies brachte ihm Ende 1941 auch das Lob von Landesgruppenleiter Sigismund von Bibra ein, und im Mai 1942 wurde Rotzinger, dem inzwischen amtsältesten Ortsgruppenleiter in der Schweiz, für seine «aufopferungsvolle Tätigkeit innerhalb der NSDAP» sogar das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse verliehen. «Seit Ausbruch des Krieges», lautete die Begründung für diese Auszeichnung, «hat er sich mit grosser Aktivität weit über den Umfang üblicher Mitarbeit hinaus für die kriegswichtige Parteiarbeit zur Verfügung gestellt.» Wäre die Schweiz angegriffen worden, so erinnerte sich später Landjäger Walter Christen, hätten sie Rotzinger auf Anordnung der Bundespolizei umgehend festnehmen müssen.

«Dem Führer die Treue halten»

Allein im Jahre 1942 hielt die NSDAP Schaffhausen mindestens 22 öffentliche Versammlungen ab, welche weiterhin meist im Hotel Schiff in der Unterstadt durchgeführt wurden. Und Ende jenes Jahres umfasste die NSDAP Schaffhausen mit 75 Parteigenossen (PG) den höchsten Mitgliederbestand während der ganzen Kriegsjahre. Viele weitere, damals in Schaffhausen wohnhafte Deutsche gehörten zudem der sogenannten Deutschen Kolonie an, die aber deutlich weniger straff organisiert war wie die NSDAP-Ortsgruppe und ihre Unterorganisationen. Schon bald darauf wendete sich dann aber der Kriegsverlauf immer mehr. Die Niederlage der deutschen Armee in Stalingrad im Februar 1943 kann als psychologischer Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges gesehen werden.

Umso eindringlicher, so ist verschiedenen Berichten zu entnehmen, rief nun Ortsgruppenführer Rotzinger seine Parteigenossen dazu auf, «durchzuhalten und dem Führer weiterhin die Treue zu halten». Die Nachsicht gegen die sogenannten Auch-Deutschen solle nun endgültig vorbei sein, denn nur so könne man sich «der Brüder und der Schwestern in der Heimat würdig erweisen».

Als die Niederlage absehbar war, meinte Rotzinger, er «wäre froh», wenn er «mit allem nichts mehr zu tun hätte»

Als dann jedoch das Kriegsende – und damit die Niederlage Nazi-Deutschlands – endgültig näher rückte, beobachtete die Schaffhauser Politische Polizei, dass «die Erbitterung in hiesigen Kreisen gegen Rotzinger sehr gross» sei und dieser sich deshalb «fast nicht mehr in der Öffentlichkeit» zeige. Auch Rotzinger selbst musste sich Ende Februar 1945 wohl oder übel eingestehen, es sei «Scheisse mit unseren Erfolgsaussichten». Er wäre deshalb «froh, wenn ich mit allem nichts mehr zu tun hätte». Derweil fragte die «Schaffhauser Arbeiter-Zeitung» spitz, ob Rotzinger als «Obernazi» seine «Koffer schon gepackt» habe, damit er sich «als Werwolf Hitler zur Verfügung stellen» könne.

Belastende Akten verbrannt

Nur wenige Tage später, am 8. Mai 1945, war allerdings der Krieg in Europa zu Ende. Als die Polizisten Brunner und Ruh an diesem Morgen bei Konrad Rotzinger eine Hausdurchsuchung machten, fanden sie jedoch kein belastendes Material mehr. Schon einige Tage zuvor hatten die reichsdeutschen Organisationen mit der systematischen «Vernichtung der Akten» begonnen, sodass Beobachter über dem einen oder anderen Gebäude «Rauchwölklein» gesehen hatten. Immer wieder erfolgte denn auch Kritik an den Behörden, man habe «viel zu spät» zugegriffen. Dieser aufgestaute Frust machte sich etwa auch in der sogenannten Schaffhauser Kristallnacht vom 8. Juni 1945 bemerkbar, als Liegenschaften bekannter Nazisympathisanten verwüstet wurden.

Nach dem Krieg inhaftiert

Zwar wurde Konrad Rotzinger nun für einige Tage in Haft genommen, musste aber bald wieder freigelassen werden, da man nichts wirklich Belastendes gegen ihn vorbringen konnte und er selbst darauf pochte, er habe sich immer «anständig» verhalten und «nichts gegen die Gesetze des Gastlandes unternommen». Trotzdem wurde er Ende Mai 1945 vom Bundesrat des Landes verwiesen, wie 32 weitere «Schaffhauser Nazi» mit ihren Familien ebenfalls. Als auch sein Rekurs abgewiesen wurde, reiste Rotzinger am 9. Juli 1945 bei Kreuzlingen aus der Schweiz aus, wo er von der französischen Gendarmerie in Empfang genommen wurde.

Bevor er nun in Konstanz inhaftiert wurde, erhielt Rotzinger noch den Befehl, «sämtliche Texte auf den beim Grenzposten aufgestellten Bildern von Konzentrationslagern zu lesen», und ein Grossteil seiner Kleider wurde ihm zugunsten von Deportierten abgenommen. Später wurde er dann – nachdem er sogar einige Tage wieder bei der DRB hatte arbeiten dürfen – in ein Lager in der Nähe von Freiburg verbracht. Nach seiner Freilassung im Jahre 1947 wohnte Konrad Rotzinger schliesslich wieder in seinem Heimatort Geisslingen im Kreis Waldshut, wo er Mitte Oktober 1974 verstarb. In Schaffhausen steht sein Name allerdings bis heute als Synonym für die überraschend intensiven, nationalsozialistischen Umtriebe während des Zweiten Weltkrieges.

Konrad Rotzinger: Die prägende Figur der NSDAP-Ortsgruppe Schaffhausen

Ortsgruppenleiter Konrad Rotzinger zeigte eine «aufopferungsvolle Tätigkeit innerhalb der NSDAP». Bild: Bundesarchiv Bern

Geboren wurde Konrad Rotzinger, die prägende Figur der Schaffhauser NSDAP, am 30. Juni 1885 in Geisslingen bei Waldshut, also nur wenige Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. Nach dem Besuch der Gewerbeschule trat er mit 15 Jahren in den Dienst der Deutschen Reichsbahn (DRB), wie schon sein Vater, und es folgten verschiedene berufsbedingte Ortswechsel, die ihn unter anderem auch nach Basel und während des Ersten Weltkrieges zum Feldeisenbahndienst in Belgien und Nordfrankreich führten. Als er in Lörrach stationiert war, trat Rotzinger 1931 der NSDAP bei, da ihm dies, wie er später entschuldigend angab, der einzige Weg für «ein dienstliches Vorwärtskommen» schien.

Zum Oberinspektor befördert

Immerhin engagierte sich Rotzinger alsbald als Ortsgruppenvorsitzender der DRB-Inspektoren, als Schulungsleiter und absolvierte einen spezifischen Führungskurs der badischen NSDAP-Gauamtswalterschule.

Im Jahre 1934 wurde Rotzinger dann als stellvertretender Leiter der Güterabfertigung zur Deutschen Reichsbahn nach Schaffhausen versetzt. Er nahm vorerst Wohnsitz in Buchthalen – und hatte auch an seinem neuen Wirkungsort die Aufgabe, Schulungsabende für die DRB-Angestellten vorzubereiten und durchzuführen. Bereits im Jahr darauf übertrug man ihm die gesamte Verantwortung für die DRB-Dienststelle Schaffhausen – und 1936, eben zum Oberinspektor befördert, übernahm er auch das Amt des NSDAP-Ortsgruppenleiters.(maw)

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