Als das Internet noch den «Freaks» gehörte

Manuel von Burg | 
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Die Suchmaschine Google im Jahr 1999. Bild: Screenshot Google

Unter dem Titel «Computerfreaks fühlen sich integriert» publizierten die Schaffhauser Nachrichten am 19. April 2001 einen Artikel der beispielhaft zeigt, wie sehr sich die Kommunikationsgesellschaft seitdem verändert hat.

In unserer Serie «Reise in die Vergangenheit» fassen wir Ihnen eine Auswahl der interessantesten, amüsantesten oder auch kontroversesten Meldungen aus dem Archiv der Schaffhauser Nachrichten nochmals zusammen. Die Artikel sind für Abonnenten kostenlos verfügbar.  

Das Internet gehört zu einer der revolutionärsten Erfindungen des späten 20. Jahrhunderts. Seit der britische Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee 1989 am CERN in Bern die Grundlagen des World Wide Webs legte, hat es unsere Welt nachträglich und in nahezu allen Bereichen verändert. Eine Welt ohne Internet - das ist heute kaum vorstellbar.

«Computerfreaks fühlen sich integriert»

Umso spannender ist es, wenn man heute einen Blick zurück wagt: In die Zeit, in der das Internet nur von einigen wenigen Personen aktiv genutzt wurde. In den Schaffhauser Nachrichten erschien am 19. April 2001 ein Artikel mit dem Titel «Computerfreaks fühlen sich integriert», der sich mit der Internetnutzung von «Computerkids» beschäftigte. Eine Lektüre zeigt, wie wenig das Internet zu jener Zeit in der Gesellschaft verankert war - und wie stark das Bild des einsamen Aussenseiters vorherrschte, der sich in den neuen digitalen Gefilden bewegte.  

Schon der erste Satz des Artikels sagt vieles aus:  

«Wer einen grossen Teil seiner Freizeit in Internet-Gesprächsforen verbringt, ist vielmehr sozial gut integriert. Diesen überraschenden Schluss zieht eine Studie des Nationalfonds.» 

In dieser Nationalfondsstudie wurden gut 100 der intensivsten Nutzerinnen und Nutzer der fünf gut frequentierten schweizerischen Internet-Gesprächsforen SWIXchat. SFDRSchat. MICS. ch.talk und ch.comp befragt. Also sozusagen die Pioniere des Internets in der Schweiz. Die Ergebnisse waren, so scheint es zumindest, erstaunlich: 

Mit nur gerade 24 Prozent ihrer Kontaktpersonen verkehrten die Befragten in der Erhebungsperiode 1997 bis 1999 ausschliesslich virtuell, wie es weiter hiess. Zwei Drittel ihrer wichtigsten Internet-Gesprächspartnerinnen und -partner hätten die Studienteilnehmer regelmässig sowohl online als auch persönlich getroffen. 

Und weiter: 

Die Befragten sind denn sozial auch sehr gut verankert: Im Durchschnitt verfügten sie über ein soziales Kernnetz von 16 Personen, mit denen sie regelmässig innerhalb und ausserhalb des Internets Kontakt hatten.

Die Studie zieht ebenfalls Vorteile aus der Internetnutzung. Denn «Online-Kommunikation fördert gemäss der Untersuchung das Knüpfen neuer Beziehungen. Es würden Kontakte ermöglicht, die über den unmittelbaren sozialen und geografischen Raum hinausreichten. Mehr als die Hälfte der ersten Kontakte der Internet-Freaks erfolgte laut Studie im Netz.»

Und sie liefert dem Zeitgenossen auch interessante Neuigkeiten zu zwischenmenschlichen Beziehungen über das Internet: 

Die Beziehungen im Internet seien im Vergleich zu persönlichen Beziehungen aber weniger eng. Als «persönlich nahe stehend» bezeichneten die Befragten nur 11 Prozent der Internet-Bekanntschaften, aber 50 Prozent der persönlichen Beziehungen.

Stabile Gruppen entstehen laut den Autoren der Studie zwar selten. Vor allem in den Chats hätten sie aber auch starke Cliquen ausgemacht, die sich sowohl online wie offline trafen und so eine «eigene Spielart von Jugendkultur» entwickelt hätten.

Internet: Ein Neuland

Die obigen Aussagen zeigen exemplarisch, wie seltsam und fremd das Internet der Gesellschaft jener Zeit vorgekommen sein muss. Einerseits liest man heraus, dass das vorherschende Bild des Internetnutzers wohl dem eines einsamen Aussenseiters entsprach. Mit Blick darauf, dass das Internet zu jener Zeit noch überhaupt nicht verbreitet war geschweige denn in der Gesellschaft angekommen, lässt sich dieses Bild natürlich einfach erklären. Trotzdem ist es interessant zu sehen, wie stark das Internet damals noch völliges Neuland war. Es war eine Zeit, in der noch herausgefunden werden musste, wie sich soziale Beziehungen über das Internet knüpfen lassen - und wie stabil sie sind. Und die Vorteile einer grenzübergreifenden Kommunikation wurden erst in ihren Ansätzen erkannt.

Die Aussagen unterstreichen schliesslich, wie sehr sich unsere Kommunikation durch das Internet verändert hat: Heutzutage ist es völlig normal, Beziehungen über internetbasierende Messenger wie Whats-App zu knüpfen. Und auch das Bild des einsamen Aussenseiters hat sich geändert: Er ist massentauglich geworden.

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