Kaiserschnitte beeinflussen die Evolution

Der Trend zu Kaiserschnitten – auch ohne direkten medizinischen Grund – macht sich bereits in der Evolution des Menschen bemerkbar. Wiener Forscher haben herausgefunden, dass «echte» Geburtsprobleme zunehmen.
In der Schweiz ist die Kaiserschnittrate wie in vielen anderen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Inzwischen kommt hierzulande jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf die Welt. In Brasilien sind es sogar mehr als die Hälfte der Babys. Für längst nicht alle diese Operationen gibt es medizinische Gründe wie das Vorliegen eines zu engen Geburtskanals im Vergleich zum Kopfumfang des Kindes – ein sogenanntes Becken-Kopf-Missverhältnis. Wie oft dieses Missverhältnis vorkommt, «ist schwierig zu schätzen, man nimmt aber an, dass die tatsächliche Rate zwischen zwei und sechs Prozent liegt», sagt der österreichische Forscher Philipp Mitteröcker von der Uni Wien der Nachrichtenagentur APA.
Früher bestand Lebensgefahr
Der Mensch ist dafür besonders anfällig: Denn einerseits ist ein nicht allzu breites Becken für den aufrechten Gang von Vorteil und mindert die Gefahr, dass es bei der Geburt zum gefährlichen Gebärmuttervorfall kommt. Andererseits erhöht sich mit zunehmender Grösse des Kindes dessen Überlebenschance.
Lag in der Vergangenheit ein solches Missverhältnis vor, bedeutete das vor dem Einsatz von Kaiserschnitten für viele Mütter und Babys akute Lebensgefahr bei der Geburt. Das war gleichzeitig ein massiver evolutionärer Nachteil. Aus dieser Sicht ist der Eingriff, der ab den 1950er-Jahren immer breiter angewendet wurde, ein Segen.
Die Wissenschaftler um den Evolutionsbiologen Mitteröcker haben sich nun angesehen, wie sich das Quasi-Wegfallen dieses einst sehr wichtigen Kriteriums auf das Überleben von Mutter und Kind auswirkt. Sie schätzten mithilfe von mathematischen Evolutionstheorie-Modellen ab, wie sich der Anteil an Becken-Kopf-Missverhältnissen in den vergangenen 50 bis 60 Jahren entwickelte.
Über die Vor- und Nachteile der in vielen Ländern «riesigen Kaiserschnittraten» gebe es mittlerweile sehr viele medizinische Diskussionen. «Dabei nimmt man in der Regel aber an, dass die tatsächliche Rate an Geburtsproblemen konstant ist. Wir zeigen, dass das nicht sein kann. Dass es einen Prozess gibt, der diese Rate vermehrt hat», so Mitteröcker. Dies, weil mehr Mütter etwa das Merkmal «schmäleres Becken» an ihre Nachkommen weitergeben. Bei einer konservativeren Annahme von drei Prozent Becken-Kopf-Missverhältnissen vor dem Kaiserschnitt ergab sich nach dem Wegfall des Selektionsdrucks eine Steigerung auf 3,3 bis 3,6 Prozent. Eine solche 10- bis 20-prozentige Zunahme in einem derart kurzen Zeitraum hat die Wissenschaftler überrascht.
«Ich glaube aber nicht, dass eines Tages alle Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt kommen müssen», so Mitteröcker. Denn der Selektionsdruck wird auch an anderen Stellen von der modernen Medizin abgeschwächt, indem sich zum Glück etwa die Überlebenschancen von Frühgeborenen stark erhöht haben.
Kein ewig fortlaufender Trend
Ein Gebärmuttervorfall sei ebenfalls meistens nicht mehr tödlich. Nicht zuletzt setze auch der Stoffwechsel der Mutter dem Wachstum des Kindes eine Grenze. «Dieser Trend kann also nicht ewig fortgesetzt werden», ist sich der Wissenschaftler sicher.
Den Forschern gehe es jedenfalls nicht um Kritik am Kaiserschnitt an sich. Es sei ihnen aber zum ersten Mal gelungen, mathematisch zu beschreiben, wie die Medizin den Lauf der Evolution ändert und wie schnell das geschehen kann.