«Niemand vertraut den Medien blind»

Anna Kappeler | 
Noch keine Kommentare
Laut Medienprofessor Vinzenz Wyss sind die Leser wegen Fake News zunehmend verunsichert. Bild: Key

Der Professor für Journalistik hält in Schaffhausen einen Vortrag über Fake News. Im Interview erklärt er, wieso der Begriff inflationär benutzt wird und wie die Journalisten das Vertrauen der Leser zurückgewinnen können.

Herr Wyss, Fake News ist zum Modebegriff geworden. Wie definieren Sie ihn?

Vinzenz Wyss: Fake News sind erstens ver­öffentlichte Meldungen, die keinen Bezug zu einem aussermedialen Sachverhalt haben. Das Publikum schreibt diesen zweitens dennoch einen Realitätsbezug zu. Und drittens wissen die Produzenten von Fake News sehr genau, dass es eben gerade keinen Realitätsbezug gibt.

Der Begriff «Fake News» ist omnipräsent. Was kann der Begriff überhaupt leisten?

Der Begriff ist heute – etwas salopp ­gesagt – abgelutscht. Er wurde seit 2016 ­inflationär in den Massenmedien benutzt und war 2017 auf dem Höhepunkt seines Gebrauchs. Das ist auch auf Donald Trump zurückzuführen, der den Begriff ganz bewusst brauchte, um ihm nicht genehme Medien zu diffamieren. Seit dem Herbst 2017 ist der ­Begriff wieder etwas am Verschwinden. Dennoch: Der Begriff hat bei vielen Menschen eine skeptische Sensibilisierung dahingehend ausgelöst, dass kaum mehr jemand einfach allen Nachrichten und ihren Quellen blind vertraut. Und das ist gut so.

Apropos Trump: Fake News werden auch dazu verwendet, Wahlkämpfe zu beeinflussen. Bedroht das die Demokratie?

Leider wissen wir darüber zu wenig. ­Sicher ist, dass dies versucht wird und letztlich die demokratische Idee schwächt, die ja davon ausgeht, dass gerade Bürgerinnen in einer direkten Demokratie gut informiert sind. Gerade diese Bedrohung zeigt, wie wichtig verantwortungsvoller und kritischer Journalismus ist. Fake News bedeuten keinen Weltuntergang. Allerdings: Medienkompetenz wird wichtiger denn je. Die Leute müssen begreifen, wie Medien funktionieren und wie sie – insbesondere gegenüber anderen Kommunikatoren im Netz – versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

«Medienkompetenz ist wichtiger denn je. Die Leute ­müssen versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen.»

Und das geht so einfach?

Ich denke, dass der einzelne damit überfordert ist, sogenannte Faktenchecks durchzuführen. Genau dazu braucht es ja die Institution des Journalismus. Gegenwärtig wird aber ein Vertrauensverlust gegenüber den Medien immer unüberhörbarer – etwa unter Stichworten wie Lügenpresse oder Mainstreammedien. Gerade dieser Vertrauensverlust könnte dem Funktionieren einer Demokratie gefährlich werden. So weit sind wir aber zum Glück in der Schweiz noch nicht. Aus Umfragen wissen wir, dass etwa in Deutschland die Glaubwürdigkeit der Medien schon viel stärker gelitten hat. Nur noch 40 Prozent der Deutschen haben ein grosses oder ein sehr grosses Vertrauen in die Medien, in der Schweiz sind es noch 60 Prozent. Obwohl dieser Wert seit Jahren stabil ist, kann ich mir vorstellen, dass er künftig erodiert. Gerade im Zeitalter der alternativen Fakten im Netz wird ein Teil des Publikums zunehmend verun­sichert oder sucht sich das, was es hören will.

Wie können Medienschaffende das Vertrauen ihres Publikums zurückgewinnen?

Sie müssen mehr auf der Metaebene kommunizieren. Offenlegen, warum sie etwas machen und was sie nicht machen, was ­objektive Berichterstattung überhaupt sein kann und selbstkritisch zeigen, wo ihre Grenzen liegen. Journalisten sollten zeigen, wie sie beim Recherchieren vorgegangen sind. Hier sehe ich viel Potenzial zur Rück­gewinnung des Vertrauens in die Medien. Aber die meisten Journalisten haben diese Art von Transparenz nie gelernt. Da gibt es noch viel zu tun.

Sprechen wir über die Rolle des Staates: Muss er etwas tun gegen die Verbreitung von Fake News? Kann er das überhaupt?

Ich glaube nicht, dass der Staat etwas gegen die Verbreitung tun kann, ich halte das auch nicht für seine Aufgabe. Er kann aber als Ermöglicher auftreten und Bedingungen schaffen, dass verantwortungsvoller Journalismus überhaupt noch ein Publikum finden kann.

Ist das ein Problem?

Der Zugang zu einem über klassische Massenmedien vermittelten Journalismus wird je länger je mehr unwahrscheinlicher. Die Leute informieren sich zunehmend über andere Quellen, und der Journalismus ist gerade auf Social-Media-Plattformen wie etwa Facebook nur ein Akteur unter vielen. Auf Facebook etwa treten strategische Akteure in den Vermittlermarkt oder der Zugang zu Informationen wird durch undurchsichtige Algorithmen gesteuert.Der Staat – und damit meine ich uns alle – muss realisieren, dass Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft zentral ist.

Was also soll der Staat tun?

Zunächst braucht es die Einsicht, dass der unverzichtbare Journalismus im freien Markt je länger je mehr und insbesondere im Digitalen ein Finanzierungsproblem hat. Der Staat sollte Bedingungen schaffen, damit sich das Journalistische im Digitalen besser entfalten und sein Publikum erreichen kann. Das kann in Richtung direkter Medienförderung gehen, wie etwa bei gebührenfinanzierten Service-public-Medien. Das Angebot von Qua­litätsjournalismus alleine reicht aber noch nicht. Denkbar wäre auch die Einrichtung von für alle erreichbaren Plattformen, die nicht von Facebook- oder Google-Algorithmen kontrolliert werden; vergleichbar etwa mit dem Zugang zum Strom- oder Eisenbahnnetz.

Statt nur die SRG soll also auch eine Medieninfrastruktur staatlich gefördert werden?

Schauen Sie, die bisherige Medienordnung wird im Digitalen auf den Kopf gestellt. Auch die bisherige Medienförderung muss also vollkommen neu ausgestaltet werden. Dazu ist ja ein neues Mediengesetz in Arbeit.

Gerade Facebook steht unter Druck, Fake News überprüfen zu lassen. Ist das der richtige Ansatz?

Ich halte das zwar für eine Sisyphos-Arbeit. Dennoch finde ich, dass man nichts unversucht lassen sollte, auch die Tech-­Giganten und deren Verantwortung in die Pflicht zu nehmen. Die Schweiz kann da nicht viel machen; hier hat Facebook ja nicht mal eine Adresse. Aber vielleicht kann man zusammen mit der EU versuchen, Facebook entsprechende Auflagen zu machen. Allerdings haben Studien eben auch gezeigt: Selbst wenn Fake News als solche gekennzeichnet werden, gibt es Menschen, die sie trotzdem für wahr halten. Vor allem dann, wenn sie ihre Meinung – beispielsweise zur Flüchtlingskrise – bestätigen oder wenn sie sie wiederholt hören. Ein Impfgegner etwa wird immer die Seiten suchen, die ihn in seiner Haltung bestätigen – und umgekehrt.

Sie sprechen die berühmt-berüchtigte Bubble an, die Blase der Gleichgesinnten. Wie kommt man daraus heraus?

Diesen Echokammern-Effekt hat es immer schon gegeben. Im Netz aber verstärkt er sich. Und: Dagegen tun kann man nicht viel.

«Wer die Nachricht teilt, bestimmt deren Glaubwürdigkeit.»

Das ist pessimistisch.

Ja. Es bräuchte Akteure, die bekannt und reichweitenstark sind, als vertrauenswürdig gelten und zwischen den Bubbles vermitteln. Das ist je länger je mehr schwierig. Ich mache ein Beispiel: Menschen glauben einer Nachricht mehr, wenn sie deren Absender vertrauen. Stossen sie im Netz ­beispielsweise auf einen Artikel der NZZ, kennen die Zeitung aber nicht, halten sie denselben Artikel für weniger glaubwürdig, als wenn der gleiche Text etwa von einem Politiker ihres Vertrauens im Netz geteilt wurde. Wir nennen dieses Phänomen in der Medienwissenschaft den Wahrheitseffekt. Wer teilt, bestimmt die Glaubwürdigkeit.

Kein Licht am Horizont?

Naja, ich will nicht den Teufel an die Wand malen, sondern bloss die gesellschaftliche Bedeutung eines glaubwürdigen Journalismus betonen. Aus US-Untersuchungen wissen wir, dass weniger als zehn Prozent der Leute regelmässig Fake-News-Seiten folgen. Und selbst solche Nutzer von Fake-News-Kanälen – dazu zähle ich etwa auch Breitbart – konsumieren daneben noch viel häufiger sogenannte Mainstreammedien. Vielleicht auch nur, um ihre Vorurteile bestätigen zu können. Der Konsum von Fake News ist also kein Massenphänomen, auch wenn deren Verbreitung über Social Media heute wahrscheinlicher geworden ist.

Kommen wir nochmals auf die Schweiz zu sprechen. Besteht die Gefahr, dass die hiesigen Medien zur Gesinnungspresse werden?

Als die Werbewirtschaft noch auf die Medien zuging, waren die Forumsmedien ein Erfolgsmodell. Mit dem Wegbrechen der Werbewirtschaft als Finanzierungsquelle werden Haltungen im Kundenkontakt wieder wichtiger, so wie wir das etwa von der Parteipresse her noch kennen. Ich sehe aber ein Problem bei der erneuten Ausbreitung von Gesinnungsmedien: Fängt das Mediensystem an zu kränkeln, haben es potenzielle Geldgeber leichter, Medien aufzukaufen und als Sprachrohr zu missbrauchen. Die Gefahr besteht, dass ehemals journalistische Organe so etwa von politischen Akteuren für die Durchsetzung derer Interessen instrumentalisiert werden. Umso wichtiger bleiben öffentliche Medien mit Leistungsauftrag. Diese müssen ihre Geldflüsse offenlegen, sach­gerecht und vielfältig berichten und über ein Beschwerdemanagement verfügen. Diese ­Errungenschaft sollten wir gerade vor dem Hintergrund der Fake-News-Debatte nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Das Referat von Vinzenz Wyss «Wenn die Wissensordnung erodiert – zum Umgang mit Fake News» findet am 15. Februar um 19.30 Uhr in der Kantonsschule Schaffhausen statt.

 

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren