Mit dem Rotstift auf Fehlerjagd

Sidonia Küpfer | 
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Den roten Kugelschreiber in der Hand, den Duden auf dem leicht schrägen Tisch – so geht SN-Korrektorin Eva Zoller auf die ­Suche nach grammatikalischen und stilistischen Böcken. Bild: Selwyn Hoffmann

Die Hüter der Rechtschreibung fallen vor allem dann auf, wenn etwas schief­gelaufen ist. Eva Zoller ist seit zwanzig Jahren Korrektorin bei der Meier + Cie AG. Sie berichtet aus ihrem Alltag als Fehlerjägerin – und erinnert sich an einen peinlichen Lapsus.

«Scheinbar» oder «anscheinend»? «Gewöhnt» oder «gewohnt»? Das SN-Korrektorat hat den Durchblick. Wer hier arbeitet, weiss, dass «anscheinend» so viel wie «offenbar» bedeutet, dass «scheinbar» aber einen Sachverhalt erklärt, der nicht wirklich so ist. Und dass man sich immer an etwas gewöhnt – wer aber Erfahrung hat auf einem Gebiet, der ist etwas gewohnt. Keinesfalls sollte man «gewohnt» reflexiv verwenden (ich bin mich gewohnt). Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Korrektoren. Denn fast alle Texte, die in den SN erscheinen, kommen ­ihnen unter die Augen. Manche, wenn gerade wenig los ist, manche aber auch um 23.35 Uhr, wenn im Grunde schon Zapfenstreich war – jetzt pressiert es richtig, denn der Abschluss rückt unerbittlich näher.

Seit 20 Jahren gehört Eva Zoller dem Korrektorat an. In dieser Zeit hat sie unzählige Fehler aufgespürt und mit Rotstift angezeichnet. Und obwohl sie schon manchen Redaktor vor peinlichen Fehlern bewahrt hat, bleibt in ihrem Job doch immer eines entscheidend: «Man wird immer daran gemessen, was man übersehen hat.» Und das kommt im scharfen Schuss immer mal wieder vor. «Eines ist klar: Jeder Fehler ärgert uns Korrektoren am meisten.» Unvergessen ist den älteren Kollegen etwa der Tippfehler, der aus den österlichen Atomkraftprotesten «Osterärsche» (statt Ostermärsche) gemacht hat – was für einen Unterschied ein einzelner Buchstabe doch ausmacht. «Das war zwar peinlich», sagt Zoller – «aber Jahre später kann man doch darüber schmunzeln.»

Lieblingsgebiete und Pausen

Die sechs Korrektorinnen und Chefkorrektor Christoph Meyer arbeiten jeweils siebeneinhalb Stunden. «Die Pausen sind dabei zentral. Sonst gerät man plötzlich in eine Art automatisches Lesen, wobei man vermeintlich gut vorwärtskommt, die Fehler aber gar nicht mehr sieht.» Die meisten Korrektoren haben Lieblingsgebiete: «Hintergrundseiten mit vertiefenden Berichten nehme ich mir, wenn es geht. Das lese ich sehr gerne», sagt Zoller. Weniger umkämpft sind die Sportartikel.

Zoller ist gelernte Schriftsetzerin. Aber wie alle Teammitglieder hat auch sie die berufliche Weiterbildung zur Korrektorin absolviert. Ein gutes Sprachgefühl sei eine wichtige Voraussetzung. Die Rechtschreibregeln könne man lernen, weiss Zoller. Und natürlich kennen sie und ihre Kolleginnen auch die Stärken und Schwächen der Redaktionsmitglieder. «Wenn wir merken, dass ein Redaktor Mühe mit den grammatischen Zeiten hat, dann haben wir natürlich ein besonders scharfes Auge darauf, ob irgendwo ein Plusquamperfekt hingehört», sagt sie.

Und doch kommt es immer wieder zu Fehlern. «Man kann leider nicht immer alles sehen, dazu müssen wir stehen», erklärt die erfahrene Korrektorin. Auch wenn es nach aussen vielleicht keinen Unterschied macht: Für sie gibt es eine Hierarchie der Fehler. «Ein Tippfehler – wir nennen ihn ‹Dreckfehler› – tut mir etwas weniger weh, aber ein Fallfehler, das schmerzt richtig.» Dabei helfe aber, dass am nächsten Tag die nächste Zeitung erscheine und sie die Chance hätten, es besser zu machen.

In der Welt der Rechtschreibung gab es in jüngerer Zeit eine grosse Revolution: die Rechtschreibreform. Bei Zoller kommt auch 20 Jahre danach keine Begeisterung auf: «Die Erwartungen waren sehr hoch und haben sich in meinen Augen nicht erfüllt. Gewisse Regeln sind einfach nicht logisch. Da frage ich mich, warum man keine leichtere Lösung gesucht hat.» Zudem wurden 2004 und 2006 noch weitere Nachänderungen gemacht. «Mir scheint, das hat viel Unsicherheit gestiftet», sagt Zoller.

Auch nach sieben Stunden Korrekturlesen hat die Singenerin oft noch nicht genug. Wenn sie nach Hause kommt, greift sie meist erneut zu einem Text: «Ich liebe die alte Sprache und lese gerne Fontane, Theodor Storm oder Gerhard Hauptmann.» Dann aber geht es nicht um die Jagd nach Fehlern, sondern nur um den ­Genuss.

Korrektorat Kampf gegen Fehlerteufel

Unser Korrektorat ist ein gut eingespieltes Team von sechs Frauen und einem Mann. Wir arbeiten ­allein oder zu zweien in einer Tag- und zu zweit in einer Nachtschicht. Tagsüber korrigieren wir vor allem Akzidenzen (Inserate sowie Todesanzeigen und Leidzirkulare), Beilagen und Buchpublikationen, von vier Uhr nachmittags bis kurz vor Mitternacht konzentrieren wir uns auf die aktuelle Ausgabe der SN. Ausser auf die orthografische und grammatikalische Richtigkeit achten wir dabei auch auf schöne Worttrennungen und auf Typografisches wie korrekte Auszeichnungen (kursiv oder fett). Manchmal können wir unsere Logik spielen lassen: Sind auf dem Foto gleich viele Personen wie in der Legende? Oder unsere Pingeligkeit: Wurde der Name einer Person oder einer Institution im Haupttext und im Anriss durchgehend gleich geschrieben?

Ein häufiges Vorurteil ist, Korrektor(inn)en seien korrekte Menschen, die für korrekte Texte sorgen. Dabei ist ihnen wohl wie kaum jemandem sonst (ausser Pfarrern und Ehetherapeuten) die angeborene Unzulänglichkeit der menschlichen Natur bewusst. So heisst es im Verhaltenskodex des deutschen Verbandes der Freien Lektorinnen und Lektoren, alle Werbeaussagen seien zu unterlassen, «die eine hundertprozentige Fehlerfreiheit in Texten versprechen». Weil aber auch hier wie so oft Quantität in Qualität umschlägt, nehmen wir – wie Sisyphos gegen den Felsen – ­jeden Tag mit frischen Kräften den Kampf gegen den Fehlerteufel wieder auf.

Christoph Meyer, Leiter Korrektorat

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