Liebe, Tod und Ameiseneier

Ulrich Schweizer | 
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«Am Ende geht es immer um die Liebe», trägt Steingruber in sein Tagebuch ein. Und um Leben und Tod, wie man beim Lesen von Ralf Schlatters neuem Roman feststellt.

Felix Steingruber ist Kammerjäger und damit von Berufs wegen mit der planmässigen Vernichtung von Insekten beschäftigt, wie er am Anfang seines Tagebuchs festhält: «Ich töte Tiere. Täglich. Ich habe schon tausende von Tieren getötet. Der Tod ist Teil meines Lebens. Die Leute bezahlen mich fürs Töten von Tieren!» Weniger pathetisch lesen sich die Notizen zu seinen Aufträgen: «Frau Bühlmann, Kakerlaken. Ich vermute: alleinstehend, Alkoholikerin. Wenn Einsamkeit einen Geruch hat, dann diese Mischung aus Restalkohol und Mentholpastillen.» Steingruber lebt zusammen mit Frau Obermüller (nicht der bekannten Schweizer Journalistin, sondern einer Katze). Weil er ein schlechtes Gewissen hat, besucht er ab und zu seine verwitwete Mutter zu Kaffee und ­Kuchen und begleitet sie auch für zwei Wochen auf die Ostseeinsel Rügen.

Beginn einer zarten Romanze

Den Tipp, ein Tagebuch zu führen, hat Steingruber aus einem Ratgeber zum Thema «Angst vor dem Tod». Den hat er sich in der Bibliothek ausgeliehen, nachdem er geträumt hatte, es bleibe ihm noch «plus, minus ein Jahr» zu leben. Dabei lernt er die Bibliothekarin Bernadette kennen und verliebt sich. Sein erster Besuch bei ihr ist zwar noch fast rein beruflicher Natur: Sie hat Silberfischchen im Keller. Er möchte mit ihr anbandeln, stellt sich aber nicht sehr geschickt an. Damit sie ihn wieder als Kammerjäger ruft, deponiert er Ameiseneier in ihrem Haus, zudem wird er Stammkunde in der Bibliothek.

Es dauert ein Weilchen, bis er den Mut aufbringt, sie zu einem Tangokurs einzuladen. Steingruber notiert dazu im Tagebuch: «Sie wurde rot, dann lachte sie verlegen, dann sagte sie: ‹Warum auch nicht!› Ich glaube, das ist der sinnvollste Satz dieses ganzen verfluchten Tagebuchs.»

Lakonische Kommentare zur Welt

«Warum auch nicht! – Keine Ahnung, warum. – So kann man das natürlich auch machen.»: Das sind Sätze, mit denen der Kammerjäger immer wieder verwundert oder resigniert kommentiert, was auf der Welt so geschieht und was ihm zustösst, auch in Variationen: «Kann man es tatsächlich auch so machen? So kann man das nie und nimmer machen!» Und im letzten Tagebucheintrag: «So kann man das alles ja auch machen. Warum auch nicht.»

Ende Juni geht’s zum Tanz, doch das Liebesglück währt nicht lange: Bernadette wird tags darauf operiert, ihre Lebenserwartung beträgt danach laut ihrem Arzt «plus, minus ein halbes Jahr». Während seine Geliebte schwächer und schwächer wird, verzweifelt Steingruber an der Welt, denkt an Mord, an Selbstmord …

Der Autor Schlatter versteht es in seinem neuen Roman, Todtrauriges und Groteskes, tiefen Ernst und Komik mit leichter Hand zusammenzuführen.

Schweizer Kleinkunstpreis 2017

Ralf Schlatter, 1971 in Schaffhausen geboren, lebt seit 2001 als freier Autor und Kabarettist in Zürich. Mit Anna-Katharina Rickert tritt er seit 2003 mit dem Kabarett «schön&gut» auf. Zusammen haben sie den Schweizer Kleinkunstpreis 2017 gewonnen und sind mit ihrem fünften Programm, dem Stück «Mary», auf Schweizer Tournee – am 27. und 28. April im Casino­theater Winterthur.

Am 11. Mai tauft Schlatter seinen neuen Roman «Steingrubers Jahr» um 19 Uhr im Lesesaal der Stadtbibliothek Schaffhausen.

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