Der Traurigkeit Flügel verleihen

Die Berliner Melancholiker Element of Crime gastieren in der Kammgarn. Ohne Rock-’n’-Roll-Posen, dafür mit Musik und Worten für die stillen, traurig-schönen Winkel der Seele.
Herr Regener, Sie leben und arbeiten seit 1982 in Berlin. Was gefällt Ihnen an dieser Stadt?
Sven Regener: Ich komme aus Bremen, einer eher kleinen Stadt mit einer halben Million Einwohner, etwa so wie Zürich. Ich wollte immer in einer Grossstadt leben. Mir gefällt die Anonymität. Niemand kümmert sich darum, was du machst oder nicht machst, die soziale Kontrolle ist gering. Du kannst auch tot auf der Strasse liegen, und es kümmert niemanden.
Die Lieder von Element of Crime sind sehr oft in diesem grossstädtischen Milieu angesiedelt, stimmungsmässig da, wo es ausfranst, in dunklen Winkeln oder im Morgengrauen, wenn die Kneipen schliessen.
Regener: Diese Stimmungen, Zeiten und die damit verbundenen extremen Zustände bei den Leuten faszinieren mich. Das ist guter Stoff für Songs, die silbergraue Stunde, der frühe Morgen, das böse Erwachen, das Sichfinden und Wiederverlieren, da sind oft die schönsten und die schlimmsten Erlebnisse angesiedelt. Schönheit und Traurigkeit schlendern Arm in Arm, wenn die Nacht ausfranst, die erste Strassenbahn kommt, wenn die Luft kalt ist, die Vögel zu singen anfangen und von den Flüssen der Nebel kommt. Man kann aber auch über andere Sachen singen.
Gibt es eine Art Glück in der Melancholie?
Regener: Das ist das Schöne an der Kunst. Sie erlaubt es, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und darzustellen. Im richtigen Leben sind traurige Dinge einfach nur traurig, in der Kunst kann das Traurige auch schön sein.
Element of Crime sind mittlerweile eine alte Maschine. Eine Songzeile aus dem neuen Album lautet «Was ich sagen kann, ist längst gesagt, und was ich tun will, trau ich mich nicht zu tun». Weshalb dann noch unterwegs sein?
Regener: Wir sind noch immer dieselbe Band, tun, was wir wollen und was wir können. Das waren noch nie die grossen Rock-’n’-Roll-Posen, die sind uns zuwider, wir sind da eher so ein Antiding. Aber wir machen unsere Musik und hoffen, dass sich jemand dafür interessiert. Wir haben aber nicht das Gefühl, uns ständig neu erfinden zu müssen. Und klar geben wir nicht mehr alle Jahre ein Album raus, dieser Prozess verlangsamt sich. Man soll ja auch keine neuen Songs schreiben, bevor die alten nicht aufgebraucht sind, hat mal jemand gesagt.
Ich kann mich an ein Radiointerview mit Ihnen erinnern, Ende der Achtzigerjahre, auf dem Schweizer Sender DRS 3, um halb zwölf Uhr mittags, nach einem Konzert am Vorabend in Zürich. Sie waren grade mal aufgestanden und tönten entsprechend. Pflegen Sie diesen Rock-’n’-Roll-Lifestyle heute noch?
Regener: (lacht) Ja, ich kann mich erinnern, da haben wir in einer Absteige in Zürich übernachtet, wo noch die Spritzen der Vorgänger im Papierkorb lagen. Das war schon krass, aber irgendwie auch toll, so als junge Band in die grosse weite Welt des Rock ’n’ Roll hinauszuziehen. Da gingen wir nach den Konzerten jeweils noch in die Discos abfeiern für den Rest der Nacht. Das muss heute nicht mehr sein. Hotelpartys hingegen, die machen immer noch Spass. Die Hotels sind mittlerweile auch besser geworden, das macht es angenehm, da noch ein wenig abzuhängen.
Wie gut befreundet muss man sein, um jahrzehntelang gemeinsam in einer Band zu spielen und zu touren?
Regener: Natürlich sind wir eine Art Kumpels, sonst würde das ja gar keinen Sinn machen. Es gibt schon Geschichten von Leuten, die von verschiedenen Seiten die Bühne betreten, weil sie sich sonst in die Quere kommen würden, so ist das bei uns nicht. Das Wichtigste ist aber die musikalische Ebene. Solange die stimmt, sind Probleme lösbar, umgekehrt würd’s nicht funktionieren. Ich habe ja auch viele Kumpels, mit denen ich keine Musik mache.
Sie sind 55, ein Alter, in dem viele Figuren, die einen geprägt und begleitet haben, für immer verschwinden. Dieses Jahr waren es einige. Wie gehen Sie damit um? Und können Sie, wie es in einem andern Lied heisst, «in harter Zeit Träume und Wünsche bewahren»?
Regener: Natürlich tut es weh, wenn Menschen, die man gern hat, sterben, wie letzthin auch unser guter Schweizer Freund Beat MC Anliker vom Café Mokka in Thun, aber das muss man aushalten. Wir können nun mal nicht bestimmen, wer wann geht. Bei vielen ist’s halt nicht 80, sondern 50 plus. Die Träume und Wünsche im Song, das war eigentlich eher ironisch gemeint, so eine Art Aldi-Bannerspruch. Aber ich würde sagen, im Alter werden die Wünsche kleiner, die Träume grösser. Man kann ja nicht mehr sagen, ich mach das jetzt die nächsten 30 Jahre. Ausklammern sollte man das Alter nicht, aber sich auch nicht zu sehr davon bedrücken lassen.
Element Of Crime
Mittwoch, 16. November, 20 Uhr, Kammgarn, Schaffhausen.
Element of Crime: Grossstadtmöwen mit Sinn für Humor
Element of Crime sind eine Band aus Berlin und sehen auch so aus. Mit ihrem melancholisch-düsteren Sound geistern EOC seit Mitte der Achtzigerjahre durch die Indie-Rock-Szene. Dabei sangen sie erst auf Englisch, bevor sie in den Neunzigerjahren ins Deutsche wechselten. Dem angeschrammten, an Velvet Underground erinnernden Sound blieben sie treu. Ihr neustes Album «Lieblingsfarben und Tiere» ist 2014 erschienen. Sinn für Humor haben die Herren jedoch durchaus. Das Bild, das bei einem Sommerausflug in die Innerschweiz entstand, ist auf ihrer Website mit folgender Legende versehen: «Diese Wiese liegt direkt unterhalb der original Rütliwiese am Urnersee, wo der Sage nach die Schweiz gegründet wurde. Die Frage ist nun, warum das Foto auf dieser Wiese und nicht weiter oben gemacht wurde! Mögliche Antworten: a) aus Respekt (‹Dürfen wir das überhaupt?›), b) aus Ungeduld (‹Wiese ist Wiese!›), c) aus Unwissen (‹Das ist sie aber jetzt, oder?›) oder d) aus Faulheit (‹Ich kann nicht mehr!›). Es sind mehrere Antworten möglich.»(dzu)