Kalte Schatten des Krieges

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Alfred Wüger von den Schaffhauser Nachrichten
Alfred Wüger. Bild: Selwyn Hoffmann

Alfred Wüger über einen blutigen und schrecklichen ersten Weltkrieg und das Europa von heute.

Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Dies sagt der griechische vorsokratische Philosoph Heraklit. Wenn das stimmt, dann ist der Krieg auch der Vater des Friedens. Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende, ein grosses, blutiges Sterben. 1914 waren – nach dem Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip – Millionen auf die Schlachtfelder gezogen, so, als hätten sie es nicht erwarten können. 1918, als der Krieg endete, hätte die Welt gereinigt sein müssen. Kunst und Literatur haben die schwere Zeit ­realistisch geschildert, zum Beispiel Otto Dix, dessen Werke auch im Museum zu Allerheiligen hängen.

Bundesstaat und Staatenbund

Stellt man die Geschichte indes absichtlich verfälscht dar, spricht man von Geschichtsklitterung. Nach dem Ersten Weltkrieg bekam die Geschichtsklitterung – zumal in Deutschland – starken Aufwind. Die Dolchstosslegende – im Friedensvertrag von Versailles sei dem Deutschen Reich ein Dolch in den Rücken gestossen worden – wurde erfunden. Diese Legende erwies sich als enorm wirkmächtig. Denn das Kriegsende war für Deutschland zum falschen Zeitpunkt gekommen. Der Frieden wurde als ein aufgezwungener empfunden. Der Krieg hatte in einer Niederlage geendet, in der Demütigung. Dazu kamen ganze Heerscharen von Soldaten, die nun dastanden: ohne Aufgabe, ohne Perspektive.

Auf den Ersten Weltkrieg folgte der Zweite. Als logische Folge sozusagen, denn die Spannungen waren noch nicht ausgestanden. Die Weimarer Republik erwies sich als ein Versuch in Demokratie. Ein Versuch, der scheiterte, weil die Regierung zu schwach war, um den vielen verschiedenen Kräften im Land ein gemeinsames verpflichtendes Ziel zu geben.

Da schlug die Stunde eines Gefreiten, der in Belgien verwundet worden war und im Lazarett in Pasewalk beschloss, diese Niederlage nicht hinzunehmen. Zu gross war seine persönliche Kränkung. Dieser Mann war Adolf Hitler.

Der Zweite Weltkrieg endete mit dem Untergang des Dritten Reiches. Aber nicht nur Deutschland, ganz Europa lag in Trümmern. Der kleine Kontinent war geteilt in Ost und West. Russland und die Alliierten hatten den Krieg gewonnen. Der stählerne Stalin und die westlichen Siegermächte erstarrten im Kalten Krieg. Es wurde im Westen die Montanunion gebildet, und ein neues Europa entstand, ein Europa, das mittlerweile in ein politisches Halbkonstrukt auf tönernen wirtschaftlichen Füssen überführt wurde. Häme? Nein! Sollte die Europäische Union auseinanderfallen, wäre das eine Katastrophe, denn der Kontinent fiele zurück in Kleinstaaterei, deren sofort ausbrechende Egozentrik unfähig wäre, auf Einwanderer integrierend zu wirken.

Die Schweiz verhält sich im Hinblick auf den Staatenbund der Europäischen Union betont eigenständig und distanziert. Warum kann die Schweiz als Bundesstaat abseitsstehen? Unter anderem auch, weil sie von der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges verschont geblieben ist. Ein Grund zum Übermut ist dieses Verschontsein indes nicht. Eher ein Grund zur Demut und zur Dankbarkeit. Das vereinte und noch immer um Einheit ringende moderne Europa ist aus der Katastrophe von Auschwitz hervorgegangen. Und trotz aller Fragwürdigkeiten hat das Ringen um Europa doch immerhin dazu geführt, dass in den letzten Jahrzehnten weitgehend Frieden in Europa herrschte.

Mehr Demokratie für Europa

Wird der Friede heute noch genügend gewürdigt? Wenn man nach Deutschland schaut und den Erfolg der AfD sieht, kann man den Eindruck gewinnen, dass hier mit dem Feuer gespielt und die Solidarität mit den Schwachen aufs Spiel gesetzt wird. Aber Deutschland ist ein funktionierender Rechtsstaat, ganz im Gegensatz zur Weimarer Republik. Damit Deutschland aber nicht der einzige Motor in der Europäischen Union bleibt, ist es erforderlich, dass sich alle Staaten in der Union für die Union einsetzen. Heute mehr denn je und mit dem Willen zu Reformen. Je stärker die Bevölkerung an politischen Entscheidungen beteiligt ist, desto grösser ist die Chance für dauerhaften Frieden.

Allerdings scheint zurzeit ein anderer Geist die politischen Ereignisse zu prägen. Starke Männer dominieren das ­Geschehen. Von Donald Trump und Wladimir Putin über Recep Tayyip Erdogan bis zu Jair Bolsonaro, der unlängst in Brasilien an die Macht ge­kommen ist, und zwar mit dem unverhohlenen Anspruch, die Demokratie abzu­bauen, kommen Befürchtungen auf. Und wie demokratisch in Deutschland eine AfD regieren würde, will man im Grunde nicht durch das Experiment herausfinden.

Europa soll nicht scheitern. Der Weg zum Erfolg führt über mehr Demokratie und nicht über weniger. Könnte die Schweiz hier ein Vorbild sein?

 

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