Klasse ohne Leidenschaft reicht halt nicht

Hans Christoph Steinemann Hans Christoph Steinemann | 
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Jubel bei den Schweden (hinten) und abgrundtiefe Enttäuschung bei den Schweizern: Valon Behrami, Yann Sommer, Haris Seferovic und Granit Xhaka (v. l.). BILD KEY

Die Klasse, die die Schweizer Nati hat, ist unbestritten. Aber alleine die reicht eben nicht, um bei einer WM zu bestehen, kommentiert Sportredaktor Hans Christoph Steinemann.

Unbestritten ist, dass die Schweizer ­Nationalmannschaft über fussballerische Klasse verfügt. Das wissen alle. Doch dieses Wissen über das grosse ­eigene Können, kann auch zu (zu) hoher Einschätzung verleiten. Im WM-Achtel­final konnten die Schweizer einmal mehr nicht zeigen, wie gut sie sind. Fussball wird immer resultatbezogen sein, daran gibt es nichts zu deuteln. Daher ist das 0:1 gegen Schweden extrem bitter, aber leider auch eine Bestätigung dafür, dass sich die Schweizer in den ganz entscheidenden Spielen fast nie durchsetzen ­können: sei es im WM-Achtelfinal von 2014 gegen Argentinien, im EM-Achtel­final 2016 gegen Polen oder im letzten Spiel um den WM-Qualifikations­gruppensieg gegen Portugal.

Schweden ist sicher kein Gegner, der eine feine Klinge führt, aber darauf kommt es in solchen Matches nicht an. Die Skandinavier haben gestern das gezeigt, was es in einem K.-o.-Spiel braucht: ­Leidenschaft, Leidenschaft, Kampf bis zum Umfallen und irgendwann den goldenen Torschuss. «Typisch Schweden eben», wie es Starspieler Emil Forsberg von RB Leipzig, der Schütze zum 1:0, am Schweizer Fernsehen richtig und nicht etwa überheblich analysierte. Er sei nicht sicher, ob der Sieg für sie verdient sei, meinte er schmunzelnd, aber diese Frage interessiert hinterher auch niemanden mehr. Der Sieger hat letztlich immer recht. Sie hätten den Gegner gut studiert und durchaus Schwächen in der Verteidigungsmitte ausgemacht ...

Genau in der Mitte haben es die Schweizer in der entscheidenden Szene beim Tor zum 1:0 verpasst, den Torschützen nachhaltig anzugreifen. Da fehlte es auch an Solidarität und Absprache in der Schweizer Abwehr. Xhaka rutschte in dem Moment, als Forsberg an ihm vorbeizog, an der Strafraumgrenze unglücklich aus, und Behrami war irgendwie zu weit weg. Kam hinzu, dass Akanji den Ball fast aus Verzweiflung ablenkte, was ihn für Goalie Sommer unhaltbar machte. Eigene Chancen waren und ­blieben leider Mangelware.

Einzelne für das Ausscheiden verantwortlich zu machen, wäre in der Enttäuschung nicht das Richtige. Das Kollektiv gewinnt – und verliert zusammen. Schade war indes, dass einige der «Stars» nicht die Grösse hatten, vor die Kamera zu stehen. Das sollten die jungen Grossverdiener, die gegenüber ihren ihnen stets wohlgesinnten Fans in der Verantwortung stehen, unbedingt tun.

Wenn die Schweizer dereinst einmal den Viertelfinal eines grossen Turnieres erreichen wollen, gilt es, in Sachen Professionalität gewiss noch einen Zacken zuzulegen – sei es auf dem Platz oder daneben. Insgesamt haben sie in Russland mit einem Sieg und zwei Remis nicht enttäuscht – und im Land gar eine kleine Euphorie entfacht. Doch sie haben eben eine von der Konstellation her einmalig scheinende Chance verpasst. Wenn Nationaltrainer Petkovic nach dem Match sagt, «bei uns haben etwas die Emotionen gefehlt», dann ist klar: Klasse ohne genügend Leidenschaft ist halt zu wenig.

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