Das Augenmass und die Politautomaten

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Marcel Wenger

Wenger meint...

Das Nein der Stimmenden zur dritten Reform der Unternehmenssteuer war wuchtig. Es war ebenso wuchtig wie die Pro-Kampagne von Parteien, Wirtschaftsverbänden und Beratungsfirmen, die schon über ihre Lobbyisten im Parlament teilweise umstrittene Elemente wie die «zinsbereinigte Gewinnsteuer», das «Step-up-Verfahren» oder die europaweit strapazierte «Patentbox» ausgestaltet hatten. Die Drei- bis Vier-Millionen-Kampagne war rund zehnmal aufwendiger als ­diejenige der Gegenseite. Vor diesem Hintergrund gerät die 60:40-Niederlage erst recht zum Debakel. Vertrauen sieht anders aus. Damit wiederum tun sich ­einige «Politautomaten» schwer, die sonst die Schweizer Volkssouveränität und unsere Schweizer Eigenständigkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit als das einzig wahre Mass unseres Staates verkaufen – natürlich nur in Sonntagsreden und wenn damit National- und Ständeratssitze ge­wonnen werden können. Kommt es bei Sach­abstimmungen einmal anders ­heraus, ortet man «emotionale Ver­führung» oder «bewusste Täuschung».

Unser bester Finanzminister jedenfalls ist sich bis zum Entstehungsdatum dieser Kolumne keiner Schuld bewusst. Dass er es unterlassen hat, bei circa drei Milliarden Franken Steuerausfällen eine belastbare Gegenfinanzierung vorzuschlagen, scheint nicht in sein Verständnis von Finanzpolitik zu passen. «Die Vorlage war gut», gibt er trotzig zu Protokoll, ohne allerdings zu erwähnen, für wen sie «gut» hätte sein können. Dass er es versäumt hat, die Städte und Gemeinden in eine massvollere Reform einzubinden – immerhin ein Verfassungsauftrag in Artikel 50 BV –, hat ihn auch nicht weiter belastet. «Ich bin eben ein Landei», bekannte er freimütig am 2016er-Städtetag in Schaffhausen. Dem ist nichts beizufügen, was seine Motivation als oberster Säckelmeister unseres Landes besser beschreiben könnte. Man kann nur hoffen, dass er den Auftrag der Stimmenden verstanden hat: Sie wollen eine Revision, die finanziert ist und nicht am Schluss des Prozesses als Leistungsabbau oder Steuerzuschlag auf der Haushalts-rechnung steht.

Damit dies gelingt, müssen vielleicht auch andere Akteure umdenken. Mehr Augenmass wäre bei verschiedenen sensiblen Dossiers in Bundesbern vor allem auch in der Grossen Kammer unseres Parlaments gefordert. Einmal abgesehen davon, dass der «Migrationsberg» nun letztlich ein «Einladungsmäuschen» fürs ­Vorstellungsgespräch geboren hat, waren auch die Schacherei um die ­bescheidenen 70 AHV-Franken für Neurentner oder die beantragte rücksichtslose Anhebung der Franchisen-Untergrenze bei den ­Krankenkassen für viele Stimmberechtigte eine Provokation. Sie haben dazu beigetragen, dass beim Mittelstand die Verlustängste gewachsen sind und deshalb auch die Bereitschaft zu grosszügigeren Steuerlösungen für Unternehmer und ihre Firmen abgenommen hat. Angesichts der riesigen Steuerverluste durch die USR II absolut verständlich. Etwas mehr Augenmass und Kompromissbereitschaft im ­Dossier «Altersvorsorge» oder «KVG» hätte die USR III beflügeln können. Das Abstimmungsresultat im Kanton Waadt dazu spricht Bände. Aber fürs «Augen»-Mass müsste man halt hinschauen und nicht nur einseitig vor sich hin lobbyieren oder mit dem ­Referendum drohen, wenn es nicht genauso hinkommt, wie man von PWC oder KPMG oder BAK beraten wurde. Politautomaten auch hier. Wäre es bald sinnvoller, von einem Algorithmus statt von der ewigen Interessen- und Parteimechanik regiert zu werden? «Politik ist mehr als Mechanik», höre ich Betroffene rufen. Natürlich, aber dann schaut hin, hört zu und macht endlich echte Politik! Vielleicht zur Abwechslung auch einmal bei EU und OECD.

Wenn gewisse Leute sich nicht bald einkriegen und anfangen, miteinander Lösungen zu erarbeiten statt nur Losungen auszutauschen, wäre der Ersatz der Politautomaten durch einen Algorithmus gegenüber dem heutigen Zustand wenigstens ein ­Beitrag zur Schadensminderung. Das ist natürlich reine Satire, denn: Der «Sonderfall Schweiz» braucht engagierte Staatsbürgerinnen und -bürger für die vielen Reformprojekte dringender denn je.

Marcel Wenger war von 1989 bis 1996 Baureferent und von 1996 bis 2008 Stadtpräsident von Schaffhausen.

Die An- und Einsichten unserer Kolumnisten publizieren wir gerne, weisen aber darauf hin, dass sie selbstverständlich nicht mit jenen der Redaktion übereinstimmen müssen.

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