Ein Opfertshofer erobert mit seinen Forschungen die Welt

Iris Fontana | 
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Unbeschlagene Brille dank Infrarot und Goldbeschichtung. Bild: Iwan Hächler, ETH Zürich

Seine Entwicklungen werden in der akademischen Welt gefeiert. So gewann der gebürtige Opfertshofer Iwan Hächler für die Entwicklung seiner Nanobeschichtung, die unter anderem brillenklare Sicht ohne Beschlagen verspricht, das ETH Pioneer Fellowship. Mit dieser Unterstützung kann er seine Forschungsergebnisse nun in ein kommerzielles Unternehmen überführen. Die Aussichten sind vielversprechend, die Einsatzbereiche vielfältig. Mit Schaffhausen fühlt sich der Weltenbummler immer noch stark verbunden – er bezeichnet die alte Heimat gar als seine Inspirationsquelle.

Wer momentan durch Wissensmagazine im deutschen Fernsehen zappt, stösst fast unweigerlich auf die Forschungsergebnisse von Iwan Hächler. Auf die Frage, wie sich der Erfolg anfühle, sagt Hächler trocken, dass er nicht wisse, ob mediale Präsenz als Erfolg zu werten sei. Er vertrete die klassische Schweizer Mentalität: Zuerst leisten und dann den Erfolg geniessen, wenn Leute sein Produkt für nützlich befinden. Aber klar sei es gut, eine gewisse Reichweite zu haben. Das habe er bei seinem letzten Forschungsprojekt schon gelernt. Da ging es um Trinkwassergewinnung aus der Luft, was ebenfalls ein ziemlich grosses Medienecho ausgelöst hat.

Die Sonne als Erweckungserlebnis

Wer ist dieser Mann, der so bescheiden auftritt mit seinen jugendlich aufgestellten, blonden Haaren und dem unverdächtigen Schaffhauser Dialekt? Ursprünglich aus Opfertshofen, hat sich der 32-Jährige aufgemacht in die grosse Welt der Forschung. Mit einem kleinen Umweg. Als sich Hächler nämlich nach seinem ETH-Bachelorabschluss in Maschinenbau überlegte, in welchem Gebiet er seinen Master machen möchte, dachte er zuerst an die Beratung. Denn sein Teilzeitjob bei ABB gefiel ihm: der Verkaufsbereich, das ganze Psychologische, aber auch die Produktentwicklung. So belegte er Wirtschaftsfächer. Mit jeder Woche Studium jedoch verleidete ihm die Sache mehr – Mitte des Semesters schmiss er hin. Und suchte mit Nachdruck nach dem Richtigen. Bis die Erleuchtung kam. Auf dem per Velo zurückgelegten Arbeitsweg fuhr er täglich an einer Tesla-Schnellladetankstelle vorbei. Und an einem schönen, sonnigen Frühlingsmorgen traf es ihn wie der Blitz: «Es ist die Sonnenergie! Das ist mein Bereich».

Offene Türen

Iwan Hächler absolvierte einen Forschungsaufenthalt in den USA im Bereich Solare Trinkwasser (Entsalzung). Spätestens jetzt wusste er, dass er sich fortan ganz den Bereichen Wasser und Energie widmen will. Aus familiären Gründen beschloss er nach dem Forschungsaufenthalt – trotz des Angebots, in den USA zu bleiben – zurückzukommen. In Zürich wollte er im Bereich Strahlungsenergie und Wasser forschen und doktorieren. Und just wurde zum richtigen Zeitpunkt am Thermodynamik-Institut eine Stelle frei.

Dr. Iwan Hächler

Dr. Iwan Hächler

Der 32-jährige Iwan Hächler ist gebürtiger Opfertshofer und lebt heute im Kanton Zürich. Von Klein auf liebte er es, zu «chluttere» und wollte bis zu seinem obligatorischen Schulabschluss Velomechaniker werden. Nachdem er bereits in einem Velogeschäft schnupperte, rieten ihm seine Eltern, trotzdem die Aufnahmeprüfung zur Kanti zu machen: schaden könne es ja nicht und sie würden ihn zu nichts zwingen. Da er bei der Prüfung gut abschnitt, sagte er sich, dass er ja auch nach der Kanti noch Velomech werden könne. Seit jeher ist sein 92-jähriger Grossvater, ein Traktormechaniker, sein grösstes Vorbild. Das färbte ab. Und so kam es, dass er nach der Kanti doch nicht ins Velobusiness einstieg, sondern an der ETH Maschinenbau studierte.

Nanomaterial als Beitrag an die Umwelt

Sein Forschungsziel lautete, etwas im Kleinen zur Behebung der Umweltprobleme beizutragen. So kam er zur Entwicklung von Nanomaterialen. In einem ersten Projekt entwickelte er mit seinem Team ein Material, das kein Sonnenlicht absorbiert (und sich damit nicht aufheizt), gleichzeitig aber alle Wärme abstrahlt. Durch den Prozess wird das Material kühler als seine Umgebung. Ist dann noch eine gewisse Luftfeuchtigkeit vorhanden, bildet sich wie bei einer kalten Scheibe im Winter ein Kondensat. So kann bei einer gewissen Luftfeuchtigkeit kontinuierlich Wasser aus der Luft produziert werden, ohne Energie zu benötigen (von der Materialherstellung abgesehen).

lnfrarot als unsichtbare Wärmequelle

Das zweite Projekt nahm sich der Frage an, was zu tun ist, wenn zu viel Wasser vorhanden ist: Beispiel beschlagene Autoscheibe. Das jetzige System mit Heizspirale ist sehr ineffizient. Also überlegte sich das Team, was es für Alternativen gibt und wieder landeten sie bei der Sonnenenergie. 50 Prozent der Sonnenenergie ist als Infrarot nicht wahrnehmbar, aber doch Energie – unsichtbare eben. Daraus entstand die Idee, ein Material (Beschichtung) zu entwickeln, das im sichtbaren Licht durchsichtig ist, gleichzeitig jedoch die Infrarotstrahlung absorbiert. Dadurch erwärmt sich das beschichtete Material und es kommt zu keinem Beschlag. Die Idee liess sich umsetzen und das Endergebnis wurde zum globalen Patent angemeldet.

Grosse akademische Lorbeeren

Die Erfindung wurde in der akademischen Welt gross gefeiert: Hächler heimste diverse Preise ein, unter anderem auch das ETH Pioneer Fellowship, welches zehn Start-Ups pro Jahr finanziert und ihnen die Räumlichkeiten und Ressourcen der ETH zur Verfügung stellt, inklusive Coaching. Eine solide Ausstattung, um in Ruhe den Aufbau der kommerziellen Nutzung anzugehen.

Die Beschichtung funktioniert selbst bei Bewölkung (aber genug Helligkeit). Bild: Iwan Hächler, ETH Zürich.
Die Beschichtung funktioniert selbst bei Bewölkung, wenn genug Helligkeit vorhanden ist. Bild: Iwan Hächler, ETH Zürich

 

Breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten

Als erstes versuchte Hächler nun zusammen mit seinem Partner und einem Betriebsökonomen, den erfolgversprechendsten Markt mit dem besten Anwendungsbereich zu finden. Da es sich bei der Erfindung um eine Beschichtung handelt, ist der Einsatzbereich riesig, was Vor- und Nachteil ist. Mögliche Anwendungsbereiche sind Sport-/Sonnenbrillen, aber auch Gebäudearchitektur, ebenso wie Autoscheiben, Sensoren, Gesichtserkennung und vieles mehr. Vorteil der Forscher: Die Herstellung der Beschichtung ist mit einer industriellen Standardmethode umsetzbar. So müssen Firmen vor dem Einsatz nicht noch grosse Investitionen tätigen, sondern können die Technologie ganz einfach in ihre Prozesse integrieren: Kosteneffektiv und skalierbar. Weiter kommt Hächler entgegen, dass er mit Lizenzen arbeiten wird. So kann seine Firma auch bei kleiner Grösse schon sehr viel Wert generieren.

Sport- und Sonnenbrillen als mögliches erstes Einsatzfeld

Das grösste Potential sieht Iwan Hächler momentan im Sport- und Sonnenbrillenbereich. So wird dieser Markt als erstes genau analysiert. «Es ist natürlich ein riesen Privileg, die Zeit und Unterstützung zu haben, uns in einem solch geschützten Rahmen unternehmerisch vorbereiten zu können», erklärt er. Auf die Frage, ob Corona mit der Forschungswahl zu tun hatte, erwidert er: «Wir forschten schon vor Corona in diesem Bereich, haben aber während der Pandemie die entsprechende Applikation noch spezifischer untersucht», und fügt mit einem Lachen hinzu: «Bezüglich Firmengründung sind wir leider ein paar Jahre zu spät, sonst würde ich nun wohl eher in Kalifornien die Sonne geniessen. Aber der Vorteil ist sicher, dass sich die Leute heute den Nutzen der Innovation besser vorstellen können.» Denn aus der Pandemiezeit kennt jeder Brillenträger das Problem mit beschlagenen Gläsern.

Die Brillenbeschichtung im Test (Video)

 

Aufbau eines Spin-Offs

Ist der Zielmarkt einmal eruiert, steht die Firmengründung als Spin-Off der ETH auf dem Plan. «Und dies ist das Inspirierende für mich», erklärt Hächler. «Ich wuchs in Opfertshofen auf und mein Traum war es immer, Velomech zu werden. Ich ging bei Hansueli Russenberger in Merishausen ein und aus. Es war eine unglaubliche Inspiration für mich, zu beobachten, wie er sein eigenes Geschäft führt.» Neben Russenberger war ihm Beat Moretti eine zweite Lichtgestalt. «Als ich bei ihm als Maler gearbeitet habe, sagte er in einem Gespräch zu mir: ‘Iwan, du musst auch einmal Unternehmer werden.’ Das habe ich nie mehr vergessen – es blieb mir im Kopf und hat mich immer wieder motiviert.» Und ergänzt: «Das meine ich todernst, hier in Schaffhausen wuchs ich auf, hier sind meine Wurzeln und hier kommt meine Inspiration her. Ich mag in den USA forschen, in England unterrichten, aber das Unternehmerische, die Inspiration und das Herzblut, die kommen aus dem kleinen Kanton.»

Funktionsweise der Innovation

Die hauchdünne transparente Nanobeschichtung aus Gold kann Sonnenlicht in Wärme umwandeln. Aufgetragen auf Glas oder auch anderen Oberflächen, kann sie deren Beschlag verhindern. Dazu wird eine in der Industrie bereits weit verbreitete, technisch einfache Beschichtungsmethode genutzt. In einem Reinraum im Vakuum werden kleinste Mengen Gold auf die Oberfläche aufgedampft.

Das Spezielle an der Technologie ist, dass sie Sonnenstrahlung selektiv aufnimmt. Die Beschichtung absorbiert einen grossen Teil der Infrarotstrahlung und heizt sich dadurch um bis zu acht Grad auf. Dabei lässt sie jedoch die Strahlung im sichtbaren Bereich hindurch, weshalb die Beschichtung transparent ist.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Antibeschlagsmethoden, deren Oberflächen oft mit wasseranziehenden Molekülen beschichtet sind, heizt die neue Methode die Oberfläche auf und verhindert so, dass die Luftfeuchtigkeit an der Oberfläche kondensiert. Sie heizt sozusagen passiv und benötigt dafür bei Sonneneinstrahlung keine zusätzliche Energie. Ausserdem ist das Material biegsam.

Hört man Gold, denkt man an hohe Materialkosten, doch Hächler beruhigt: «Mit der Menge an Gold, das wir in unserem Handy haben, können wir etwa 50 bis 100 Brillen herstellen. Die Beschichtung ist so dünn, dass die Kosten vernachlässigbar sind.»

Die Beschichtung unter dem Mikroskop

Nanobeschichtung

Die Beschichtung ist sandwichartig aufgebaut. Kleinste und extrem dünne Goldcluster liegen zwischen zwei Titandioxid-Schichten, einem elektrisch isolierenden Material. Aufgrund ihrer Lichtbrechungseigenschaften erhöhen sie die Wirksamkeit der Wärmegewinnung. Die oberste Schicht wirkt zudem wie ein Lack und schützt die Goldschicht vor Abrieb. Ausserdem berühren sich die Gold-Cluster seitlich geringfügig, so dass die Goldschicht elektrisch leitet. Dies macht es möglich, die Beschichtung auch ohne Sonnenlicht mit Strom zu heizen.

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