Die Probleme der Schaffhauser Hausärzte: «Wir sind desillusioniert», sagt der Präsident der Ärzteschaft

Iris Fontana | 
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Seit einer gefühlten Ewigkeit ein Politikum: Die Hausärzte. Unser Archivbild zeigt eine Demonstration auf dem alten Bushof im Jahr 2009. Bild: Selwyn Hoffmann

Nicht nur die steigenden Krankenkassenprämien sind eine riesige Herausforderung für die Gesundheitspolitik – der Mangel an Hausärzten stellt das Schweizer System ebenso vor Probleme, und das seit Jahren. Martin Bösch, Präsident des Hausärztevereins Schaffhausen (HAV-SH), sieht sich und seine Kollegen von der Bundespolitik im Stich gelassen. Wir reden mit ihm über die Gründe für die Nachwuchssorgen und über die Situation im Kanton Schaffhausen. Hier, so sagt er, sei wenigstens die Zusammenarbeit mit der Politik besser.

Das Bundesamt für Statistik hat die Mitarbeiterstruktur von Arztpraxen und ambulanten Zentren untersucht. Jeder vierte Arzt im Land ist über 60 Jahre alt – droht der Schweiz ein Notstand?

Martin Bösch: Die Statistik zeigt seit Jahren einen drohenden Hausärztemangel auf. Bereits 2006 haben wir Schweizer Hausärzte mit einer Demonstration in Bern unseren Befürchtungen Ausdruck verliehen und spätestens seit der Initiative «Ja zur Hausarztmedizin» 2011 besteht in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Thematik. Die Bundesräte Couchepin und Berset konnten sich jedoch nicht mehr als Lippenbekenntnisse zum Erhalt einer starken Hausarztmedizin abringen.

Das tönt alles andere als optimistisch…

Bösch: Nach über 15 Jahren Engagement sind wir Hausärzte desillusioniert. Ein weiteres Problem liegt darin, dass für die Statistik lange nur die Anzahl praktizierender Ärzte gezählt, jedoch keine Vollstellenäquivalenz-Zahlen erfasst wurden. So argumentierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) lange, dass kein Problem bestehe. Ein Grossteil der Hausärzte arbeitet jedoch zwischenzeitlich in Teilzeit. Den standeseigenen Zahlen schenkte das BAG lange keinen Glauben.

Offensichtlich ist: Es gibt ein Nachwuchsproblem.

Bösch: Leider Ja. Trotz der Erhöhung der Anzahl Studienplätze wird der Bedarf an Ärzten mit Studienabschlüssen in der Schweiz in den kommenden Jahren nicht gedeckt werden können, was unter anderem auch an den Teilzeitarbeitsmodellen liegt. Laut Prognosen müssten sich zudem 50 Prozent der Studienabgänger zu einer Ausbildung in Allgemeiner Innerer Medizin entschliessen, um die Kapazitäten der hausärztlichen Grundversorgung sicherzustellen.

Dr. med. Martin Bösch

Dr. med. Martin Bösch

Martin Bösch absolvierte sein Medizinstudium 1984-1991 an der Universität Zürich. Danach folgte die Facharztausbildung Innere Medizin FMH im Kantonalen Spital Herisau AR sowie im Kantonsspital St. Gallen. 1998 übernahm Bösch die Stelle als Oberarzt Innere Medizin am Kantonsspital Schaffhausen. 2002 folgte dann der Schritt in die Hausarztpraxis Beringen, in der er bis heute tätig ist. Ausserdem ist Bösch Präsident des Hausarztvereins Schaffhausen und im Vorstand von «docSH»: https://www.docsh.ch/ 
Bösch ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.

Wie präsentiert sich die Lage im Kanton Schaffhausen?

Bösch: Ähnlich wie im Schweizer Durchschnitt – es fehlt an Nachwuchs. Im Gegensatz zur nationalen Politik fühlen wir Schaffhauser Hausärzte uns vom Kanton jedoch viel besser unterstützt. Wir arbeiten zusammen und suchen gemeinsam nach Lösungen. So haben wir 2015 unter der Führung des Schaffhauser Gesundheitsamts ein Regional- und Standortentwicklungsprojekt gestartet, dessen Erkenntnisse 2018 in einem Abschlussbericht veröffentlicht wurden.

Und wie lauten diese?

Bösch: Grundsätzlich sind in Schaffhausen gute Rahmenbedingungen vorhanden, es ist jedoch trotzdem schwierig, alle Stellen zu besetzen. Nachteilig wirken sich die periphere Lage und das – im Vergleich zu Zürich – tiefere Einkommensniveau aus, das mit dem tiefen Schaffhauser Taxpunktwert zusammenhängt. In der Rekrutierung und Ausbildung junger Hausärzte sind die Spitäler Schaffhausen zentral. Ausserdem ist eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten wichtig: Nur mit gemeinsamen Bemühungen kann eine Entlastung der angespannten Situation erreicht werden. Es müssen alle Hebel in den Bereichen Nachwuchsförderung, Hausärzteausbildung und -vermittlung sowie Nachfolgeplanung in Bewegung gesetzt werden, um auch in Zukunft für Jungärzte ein attraktives Aus-, Weiterbildungs- und Jobangebot in Schaffhausen anbieten zu können. Als Folge des Berichts wurde «docSH» gegründet, ein Verein, der Hausärzte unterstützt, die an einer Niederlassung im Kanton interessiert sind.

Man hört immer wieder, dass es vor allem auf dem Land schwierig ist, Nachfolgeregelungen für Hausärzte zu finden.

Bösch: Wichtiger als der Stadt-Landgraben ist der Wunsch von Ärzten – allen voran von Einsteigern nach Abschluss der Facharztausbildung – als Angestellte in einer Infrastruktur zu arbeiten, in der man die Verantwortung nicht alleine trägt. Solche Modelle gibt es halt in der Stadt, in der Gruppenpraxen verbreiteter sind, mehr als auf dem Land. Damit zusammen hängt auch das Angebot von niedrigen Stellenpensen. Früher haben Landärzte oft mehr als 100 Prozent gearbeitet. Muss ein solcher Arzt aufgrund seiner Pensionierung ersetzt werden, braucht es heute oft zwei oder gar drei Ärzte.

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Warum entscheiden sich junge Ärzte gegen eine Hausarztlaufbahn und werden stattdessen Fachärzte?

Bösch: Schädlich ist vor allem das schlechte Image, mit dem der Hausarztberuf vielerorts noch immer behaftet ist. Er wird zuweilen als wenig attraktiv angesehen, was oft auf Unwissen basiert. Vielfach herrscht noch die Vorstellung vor, dass ein Hausarzt einen langweiligen Job hat, in dem er nur mit Schnupfen im Winter und Heuschnupfen im Sommer konfrontiert ist und dass es im Spital die viel spannenderen Fälle gibt. Zum Teil wird dies leider auch noch an den Universitäten so vermittelt.

Wie ist es in der Praxis?

Bösch: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich in meiner Praxis oft viel spannenderen Krankheitsbildern begegne als dies während einem Routinetag im Spital der Fall war.

Eine Rolle dürfte auch die finanzielle Sicherheit spielen, oder?

Bösch: Ja, das ist für gewisse Ärzte sicher ein Argument. Es braucht schon etwas Mut für eine hausärztliche Tätigkeit. Diese Voraussetzung kombiniert mit der grösseren Dienstbelastung und der geringeren Einkommensperspektive ist nicht gerade ein gutes Verkaufsargument.

Was unternimmt Ihr Verein, um die Situation zu verbessern?

Bösch: Auf nationaler Ebene versuchen wir als FMH und Hausärzte Schweiz weiterhin – auch nach vielen Misserfolgen – politisch Einfluss zu nehmen. Es ist einfach sehr schade, dass die Beziehung zwischen Bund und Hausärzten derart schlecht ist, dass der einzige Weg für Verbesserungen oft nur die Ergreifung einer Initiative ist. Auf kantonaler Ebene versuchen wir, die zukünftigen Ärzte von Beginn ihrer Ausbildung an zu begleiten. Wir vernetzen und bieten Praktikumsplätze an, so dass sich Studenten selbst ein Bild machen können. Mein Job ist es zudem, in Zusammenarbeit mit dem Kanton den Notfalldienst möglichst attraktiv zu gestalten. So konnten wir in den vergangenen Jahren die Belastungen der Hausärzte drastisch reduzieren. Wenn man nicht will, muss man heute als Hausarzt keinen Nachtdienst mehr leisten. Dies macht die Arbeit auch gerade für Ärzte mit Kleinkindern attraktiver.

Nochmals kurz zusammengefasst, was müsste die Politik konkret tun?

Bösch: Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, die das Hausärztedasein mindestsens so attraktiv macht wie die Spezialistentätigkeit. Dann findet sich auch wieder einfacher Nachwuchs. Um die Disziplin zu attraktiveren, muss zudem über die fachliche Dimension hinausgedacht werden. So ist der Abbau von administrativen Hürden essenziell.

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