«Schaffhausen lässt andere Kantone weit hinter sich»

Iris Fontana | 
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Weg mit den Papierakten: Die IPS Irsch Group hat mit der Digitalisierung ernst gemacht. Bild: ZVG

Warum ist die Schweiz eigentlich das Land der Erfinder und weshalb ist auch Schaffhausen mit Blick auf Patente gut unterwegs? Wir gehen der Sache mit Patentanwalt Manfred Irsch auf den Grund und lernen, dass Patente anmelden nicht nur kompliziert, sondern vor allem auch teuer ist. Und wenn es richtig Streit zwischen den grossen Playern gibt, wird um hunderte von Millionen gestritten.

Was war die ungewöhnlichste Erfindung, die Sie in ihrer langen Laufbahn eintragen liessen?

Manfred Irsch: Erfindungen sind meistens eine ziemlich trockene, technische Sache. Natürlich gibt es auf der Welt auch verrückte Patente, zum Beispiel wurde in den USA eines über die richtige Schaukeltechnik von Kindern eingereicht. Dass es nicht zu viel Verrücktes gibt, liegt wohl vor allem daran, dass Patentieren sehr teuer ist. Deshalb klären seriöse Firmen im Vornherein die Chancen und Kosten genau ab. Und «verrückte» Einzelerfinder können sich ein Patent nur in den allerseltensten Fällen leisten. Zudem sind Erfindungen, die den Naturgesetzen widersprechen und nicht funktionieren können, nicht patentierbar.

Die Schweiz ist in Prozenten zur Einwohnerzahl immer noch mit grossem Abstand führend bei der Zahl der Patentanmeldungen. Was macht die Schweiz zu einem Land der Erfinder?

Irsch: Viele Firmen in der Schweiz sind in hochtechnologischen Nischen tätig. Die Kritik, dass die Innovationskraft nur aus dem Pharmabereich komme, stimmt so nicht. Es ist der industrielle Firmen-Mittelstand in der Grösse von 50 bis 2000 Mitarbeitern, der mit einem ganz hohen, technischen Entwicklungsniveau die Innovation in der Breite trägt. Ich denke, dass die Schweiz sich anders auch nicht behaupten könnte. Wir müssen aufgrund unserer Rahmenbedingungen auf die Hochtechnologie setzen und dies beinhaltet auch den Schutz wertvoller Erfindungen und teurer Forschungen.

Wie steht Schaffhausen im Schweizer Vergleich da?

Irsch: Schaffhausen ist, so klein der Kanton ist, ein sehr spannender Standort. Er braucht sich nicht zu verstecken und lässt einige grössere Schweizer Kantone weit hinter sich. Die Region ist auch aufgrund ihrer Nähe zu deutschen Industriestandorten sehr interessant.

In welchen Bereichen reichen Schaffhauser Firmen am meisten Patente ein?

Irsch: Die Branchen sind relativ vielfältig. Biotechnologie, Spezialitätenchemie, aber vor allem auch Maschinenbau im breitesten und klassischen Sinn sowie die Verpackungsindustrie sind hier stark vertreten.
 

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Als Patentanwalt: Was sind die häufigsten Streitpunkte?

Irsch: Ganz ehrlich: In den 23 Jahren, in denen ich in diesem Beruf tätig bin, war ich nur zweimal vor Gericht. Die meisten unserer Kunden kommen aus dem Maschinenbau und dieser agiert wenig aggressiv. Es wird selten gestritten, man hat zum Teil Auseinandersetzungen, einigt sich aber in der Regel immer aussergerichtlich. Im Bereich Computer-, Bio-, und Gentechnologie sieht das anders aus; auch im Bereich Lifestyle und Marken. Selbstverständlich vertreten wir unsere Mandanten aber auch im Marken- und Designrecht.

Wird da um grosse Summen gestritten?

Irsch: Bei Fällen wie beispielsweise Rolex geht es wahrscheinlich um zig Millionen, natürlich auch in der Pharma. Bei einem Streit zwischen Samsung und Apple um ein Tablet-Design lag die Streitsumme bei einer Milliarde Dollar. Aber das sind wirklich Ausnahmen.

Mit wie hohen Kosten muss man rechnen, wenn man ein Patent anmelden will?

Irsch: Es ist wichtig zu wissen, dass in jedem europäischen Land, in dem eine Firma Schutz haben will, ein separates Patent eingereicht werden muss. Einzige Ausnahme ist seit dem ersten Juni das neue europäische Einheitspatent, für das sich einige europäische Staaten zusammengeschlossen haben. Die Schweiz gehört jedoch nicht dazu. Und in jedem Land muss natürlich auch gezahlt werden, was sich dann multipliziert. Daher empfehlen wir Unternehmen zuerst zwingend abklären, wo seine Märkte liegen und wo potentielle Mitbewerber aktiv sind, um zu bestimmen, wo Patente eingereicht werden sollen.

Und was heisst das nun in Zahlen?

Irsch: Wir rechnen konservativ mit 2000 Franken pro Land und Jahr während den ersten zehn Jahren. Durchschnittlich müssen unsere KMU-Kunden ihre Patente in fünf bis sechs Ländern einreichen, da erreichen sie dann schnell einmal die Hunderttausender-Grenze. Ausserdem muss man das Patent in jedem Land in der entsprechenden Landessprache einreichen, was Übersetzungskosten mit sich bringt. Weiter variieren die Patentgebühren stark von Land zu Land. In der Schweiz sind sie vergleichsweise niedrig.

Was macht die Digitalisierung mit dem Patentwesen?

Irsch: Digitalisierung ist enorm wichtig für uns, da wir mit einem ausserordentlich hohen Fachkräftemangel konfrontiert sind. Bei der Digitalisierung geht es um die Frage der Prozessreorganisation, in der ein unglaubliches Potential verborgen liegt. In unserer Firmengruppe IPS Irsch Group konnten wir durch die Reorganisation den Personalbedarf um zwei Drittel reduzieren, insbesondere in der Administration, aber auch bei den Patentanwälten.

Und Künstliche Intelligenz (KI)?

Irsch: Bei der KI sind die Auswirkungen momentan noch schwer abzuschätzen. Bei Patenten sind neue technische Zusammenhänge und sprachliche Feinheiten enorm wichtig – eine Fähigkeit, die KI meines Erachtens im Moment noch nicht ausreichend beherrscht. Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass ein Patent ja zwingend immer etwas ganz Neues sein muss, das noch nicht existiert und somit auch nicht im Stand der Technik «gefunden» und «neu zusammengesetzt» werden kann. Deshalb denke ich, dass die KI – zumindest in der Ausarbeitung eines Patentes – auch in Zukunft, wenigstens in den nächsten Jahren, keine übergeordnete Rolle spielen wird. Anders sieht es bei der Vorbereitung von Klagen und genereller Recherchearbeit aus.

Zum Schluss der Blick in die Zukunft: In welchen Bereichen prognostizieren sie in den nächsten zehn Jahren die meisten Erfindungen?

Irsch: Sicher im Medizinalbereich. Dann glaube ich auch an Erfindungen im Bereich der Quantencomputer, in welchem ein unglaubliches Potential für alle möglichen Anwendungen schlummert. Ich persönliche glaube, dass dieses fast noch grösser ist als im Bereich KI, obwohl diese beiden Bereiche dann sicher auch einmal kombiniert werden.

IPS Irsch Group

Mit der Auflösung der Patentabteilung der Sulzer AG und der Übernahme der Mehrheit aller Sulzer Mandate und dessen Patentabteilungspersonals wurde 2014 aus dem Einzelunternehmen IPS die IPS GmbH und 2021die IPS Irsch AG mit Sitz in Frauenfeld. Im gleichen Jahr wurden die Patent-Anwaltskanzlei G&A in Neuhausen sowie die Ammann Patentanwälte AG in Bern gemeinsam mit der PMD GmbH in die IPS Irsch Group integriert. Das Hauptgeschäft der Gruppe sind Patente, Designs, Marken, Urheberschutzrechte und Recherche. Zum einen betreut die Gruppe ihre Mandanten international in allen Fragen des gewerblichen Rechtschutzes, zum anderen berät sie ehrenamtlich Start-ups in ihrer Gründungsphase.

Dr. Manfred Irsch

Manfred Irsch

Dr. Manfred Irsch, Jahrgang 1961, ist von Haus aus Festkörper-Physiker und hat an der Universität Saarbrücken promoviert. 2001 zog es ihn in die Schweiz, wo er zwölf Jahre für Sulzer tätig war, zuletzt als stellvertretender Leiter der Patentabteilung. Während dieser Zeit absolvierte er Weiterbildungen zum europäischen und Schweizer Patentanwalt. 2014 wurde die Patentabteilung bei Sulzer aufgelöst und Irsch machte sich selbständig. Der eingebürgerte Schweizer ist ausserdem politisch aktiv in der thurgauischen FDP. Er wohnt in Altnau am Bodensee.

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