«Wir sind für Herrn Hayek wohl ein Vorzeigekanton»

Iris Fontana | 
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Die Kantiaufnahmeprüfungen werden auch weiterhin ein gewohnter Fixpunkt im Frühling darstellen. Archivbild: Melanie Duchene

Der Fachkräftemangel feuert die Diskussion über den Stellenwert der Berufsbildung im Vergleich zur Tertiärbildung weiter an. Wir vom Zahltag haben uns mit Patrick Strasser, Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungsdepartements, über Kantiaufnahmeprüfungen, Maturitätsquote, Niveauvergleiche, «Professional Bachelor» und den Fünfpunkteplan von Nick Hayek unterhalten.

Gestern haben die Kantiaufnahmeprüfungen begonnen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kantiprüfung?
Patrick Strasser:
Das war 1986, vor langer Zeit. Ich habe nicht mehr wirklich Erinnerungen an die Prüfung selbst. Das Einzige, was ich noch im Hinterkopf habe, ist, wie kalt es an einem der Prüfungsmorgen war, als ich auf den Bus wartete.

In anderen Kantonen wurde die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium abgeschafft. Wie stehen Sie zur Beibehaltung der Aufnahmeprüfung?
Strasser:
Ich finde es gut, dass es die Prüfung nach wie vor gibt, insbesondere, da wir «nur» das Kurzzeit-Gymnasium haben, also die Schüler erst ab der zweiten Oberstufe überhaupt an die Kanti wechseln können. Ich würde die Sache anders beurteilen, wenn wir ein Langzeitgymi hätten, was ja bestimmte politische Kräfte auch fordern. Da sähe ich die Gefahr, dass bereits sehr junge Kinder unter Druck geraten und eventuell schon als Fünftklässler Zusatzunterricht absolvieren müssten, um die Prüfung zu bestehen. Ausserdem gibt es ja auch die Empfehlung der Oberstufenlehrer, sollte ein Kandidat, der die Voraussetzungen für die Kanti erfüllt, doch durchfallen.

Patrick Strasser: Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungsdepartements. Archivbild: Roberta Fele.
Patrick Strasser: Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungsdepartements. Archivbild: Roberta Fele.

 

Wie hoch ist in Schaffhausen die Maturitätsquote und wie hoch liegt diese im schweizweiten Schnitt?
Strasser:
Wenn wir von Maturitätsquote sprechen, sollte sowohl die gymnasiale als auch die Berufsmaturitätsquote berücksichtigt werden. Bei ersterer liegen wir schweizweit auf den hinteren Rängen, bei zweiterer belegen wir einen Spitzenplatz. Addieren wir beide, liegen wir im Durchschnitt. Nur die gymnasiale Quote zu betrachten, ist zu einseitig, denn die Berufsmaturität hat ebenso ihren Wert. Hier zeigt sich die Stärke unseres Kantons in der Berufsbildung: Die Quote der Volksschulabgänger, die eine Berufslehre absolvieren, liegt bei 80%. Dieser Schnitt ist in den Ostschweizer Kantonen ähnlich, da geniesst die Berufslehre noch einen sehr hohen Stellenwert. Je weiter man nach Westen kommt, desto höher liegt die Gymnasialquote: Es wird ein eigentlicher Ost-West-Graben sichtbar, was sicher auch mit der «französischer» geprägten Mentalität zusammenhängt.

 

Wie hoch ist das Niveau der Schaffhauser Matura im Vergleich zu anderen Kantonen?
Strasser
: Direkte Vergleiche wie beispielsweise beim Pisa-Test gibt es nicht, aber man kann es indirekt vergleichen, wenn man die Abbruchquote an den Hochschulen betrachtet. Da weisen die Schaffhauser Maturanden relativ tiefe Zahlen auf. Das zeigt nicht unbedingt, dass das Maturitätsniveau höher ist bei uns, sondern gibt vielleicht eher einen Hinweis darauf, dass potentiell diejenigen die Maturität absolvieren, die auch die Voraussetzungen mitbringen für ein anschliessendes Studium.

Momentan wird im Parlament gerade um die Einführung des «Professional Bachelors» gerungen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Strasser:
Hier müssen wir differenzieren. Meiner Ansicht nach sollte dieser nicht an Absolventen einer EFZ-Ausbildung verliehen werden. Für Abgänger einer Höheren Fachschule (HF) kann ich mir dies jedoch vorstellen. Ich mag zwar den Begriff «Professional Bachelor» nicht, aber wenn dieser für die Absolventen von Vorteil ist, insbesondere bei der internationalen Jobsuche, dann sehe ich das pragmatisch und bin bereit, diese «Kröte» halt zu schlucken.

Nick Hayek hat einen Fünfpunkteplan gegen den Fachkräftemangel vorgestellt und will Lehrberufe attraktiveren. Wichtigste Forderung: Es brauche einen besseren Austausch, beziehungsweise eine institutionalisierte Kommunikation zwischen Lehrbetrieben, Schulen und Behörden in Bezug auf die Berufslehre. Ihre Antwort?
Strasser
: Dies mag vielleicht ein Problem in den Kantonen sein, in denen Herr Hayek tätig ist, bei uns findet der Austausch zwischen Lehrbetrieben, Schulen und Berufsbildungsamt nicht nur statt, sondern ist sogar sehr eng. So wären wir für Herrn Hayek wohl ein Vorzeigekanton mit unserem hohen Anteil an Berufslernenden. Mit der «Kommission Schule und Beruf» verfügen wir zudem auch über eine institutionalisierte Kommunikation, in der sich Verantwortliche der verschiedenen Bereiche Gedanken über die Nahtstelle zwischen Schule und Beruf machen. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass der Fachkräftemangel nicht ganz so akut wäre, wenn mehr Kantone ein solches Verhältnis von akademischem und berufsbildendem Weg hätten wie wir.

Weiter wird die Pflicht gefordert, dass alle Betriebe, die Fachkräfte benötigen, auch solche ausbilden müssen. Dazu müssten jedoch die gesetzlichen Hürden gesenkt werden, die viele kleine Unternehmen davon abhalten, Lehrstellen anzubieten. Wie präsentiert sich die Situation in unserem Kanton?
Strasser:
Ich glaube nicht, dass dies im Kanton Schaffhausen ein Problem ist, wenigstens wurde ich noch nie von einem Kleinunternehmer angegangen, der mir sagte, dass er aufgrund des grossen administrativen Aufwands keine Lehrstelle anbietet. Das Berufsbildungsamt pflegt einen sehr engen Austausch mit den lokalen Wirtschaftsbetrieben und die Zusammenarbeit ist sehr pragmatisch. Dies ist sicher der Vorteil eines kleinen Kantons, in dem man sich kennt. Meiner Ansicht nach hängt es viel eher von der Persönlichkeit des Unternehmers ab, ob er Lehrstellen anbietet oder nicht.

Als weiteren Punkt fordert Hayek eine bessere Anerkennung der Lehre in der gesamten Gesellschaft. Wie kann dieses Ziel Ihrer Ansicht nach erreicht werden?
Strasser
: Wir bemühen uns sehr, zu informieren und die Berufsbildung attraktiv zu präsentieren. So besuchen beispielsweise Vertreter der Berufsberatung alle Oberstufenklassen und stellen den Schülern die verschiedenen Ausbildungswege vor – insbesondere auch, wie weiterführende Wege nach einer Berufslehre aussehen können. Ebenso werden Elterninformationen abgegeben. Auch in dieser Beziehung glaube ich, dass das Kurzzeitgymi von Vorteil ist, so dass sich nicht schon Fünftklässler Gedanken darüber machen müssen, welchen der beiden Wege sie einschlagen wollen.

… aber am gesellschaftlichen Image der Berufslehre muss noch gearbeitet werden?
Strasser: 
Genau. Viele Eltern haben leider noch immer die Einstellung, dass ihr Kind im Leben nur erfolgreich sein kann, wenn es die Kanti besucht und studiert hat. Dies erachte ich als falsch und sehr schade. Denn auch der Weg über die Berufslehre mit anschliessender Weiterbildung kann sehr erfolgreich verlaufen. Leider verstehen immer noch zu wenig Menschen die Vorteile unseres dualen Bildungssystems, diese Vorbehalte spürt man gerade auch bei gut ausgebildeten Immigranten aus unseren Nachbarländern oder dem angelsächsischen Raum.

«Bachelor Professional» in Deutschland

Der Bachelor Professional und der Master Professional sind in Deutschland seit dem 1. Januar 2020 zugelassene Berufsabschlussbezeichnungen, die von den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern vergeben werden. Sie sollen die Gleichwertigkeit mit den akademischen Graden sowie die Praxisnähe zum Ausdruck bringen. Quelle: Wikipedia

Nach Abschluss ihrer Fortbildung erhalten Fachwirte, Fachkaufleute, IT Operative Professionals und Meister (Handwerk / Industrie) den Abschluss Bachelor Professional. Quelle: ComPers.de (Bachelor Professional - Alle Infos zum neuen Titel)

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