«Wir verzeichneten eine Umsatzsteigerung von 100 Prozent»

Iris Fontana | 
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Die Recyclingwirtschaft ist für unsere Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Archivbild: Selwyn Hoffmann.

Jeder von uns hat täglich damit zu tun, aber viele Gedanken darüber macht sich kaum jemand: Müll. Wie geht es eigentlich der für unsere Gesellschaft lebenswichtigen Entsorgungsbranche? Wie steht es um die Wegwerfgesellschaft und wie entwickelt sich das Abfallwesen in Zukunft? Über diese und weitere Fragen haben wir uns mit Alex Locher, Geschäftsführer der Arnold Schmid Recycling AG, unterhalten. Und so manche überraschende Antwort erhalten.

Herr Locher, war Corona für Sie Fluch oder Segen?

Alex Locher: Das Jahr 2021 war wirtschaftlich gesehen für die Abfallbranche, national wie international, eines der besten Jahre seit jeher. So konnte unsere Firma eine Umsatzsteigerung von rund 100 Prozent gegenüber 2019 verzeichnen. Ganz grundsätzlich kennt unsere Branche seit 2008 nur noch eine Entwicklungsrichtung, seitwärts oder leicht ansteigend.

Das heisst, Sie haben eigentliche Boomjahre hinter sich?

Locher: Ja, für uns Recyclingbetriebe waren die Corona-Jahre gute Jahre, weil unsere Branche eigentlich keinen Lockdown erlebte. Unsere Lieferanten im Bereich Bauschrott arbeiteten mehr oder weniger normal weiter und setzten einige der grössten Bauprojekte der letzten Jahre im Kanton um: Viele grosse Abbrüche und damit verbunden auch Neubauten wie der Herblinger Markt, der Coop Neuhausen, das Rhytech-Areal und weitere wurden in dieser Zeit realisiert. Neben der Baubranche profitierte davon natürlich die Transportbranche, unsere Direktkunden. Auch der Lebensmittelkonsum ist gestiegen. Ganz grundsätzlich kauften die Privaten eher mehr ein, vor allem Elektronikgeräte und Kleider, was sich bei uns in der Entsorgung von Elektroschrott und Altkleidern niederschlug, da die Menschen mehr Zeit zum Ausmisten und Shoppen hatten.

Wie sieht die aktuelle Situation in der Branche aus? 

Locher: Ich spüre einen Rückgang. Neben der angelieferten Abfallmenge sind natürlich auch die Rohstoffmärkte für uns ein Indikator. Der Baustahl, den Baufirmen brauchen, ist im Einkauf im Moment noch sehr teuer, obwohl der Schrottpreis sinkt. Hier besteht also eine Gegenläufigkeit, welche ungesund ist und ein Indiz dafür sein kann, dass es um das Vertrauen der Bauunternehmer und deren Lieferanten nicht allzu gut bestellt ist. So rechnen die internationalen Produktionsfirmen mit einer Abkühlung in der Baubranche und die Stahlwerke fahren dementsprechend ihre Produktion bereits wieder zurück, was zu einer Angebotsverknappung führt.

Wie steht es um die Wegwerfgesellschaft? Findet das oft eingeforderte ökologische Umdenken statt?

Locher: Davon spüren wir gar nichts. Die vom Bundesamt für Umwelt erhobenen Statistiken zeigen, dass in den letzten zehn Jahren das Volumen des Abfalls über alle Segmente des Privatsektors hinweg nicht gesunken, sondern tendenziell eher gestiegen ist. So werden laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU in der Schweiz jährlich rund 700 Kilogramm Abfall pro Person generiert. In den Corona-Jahren stellten wir zudem auch eine Zunahme der Kartonmengen, wohl verursacht durch den ganzen Onlineversand, fest. Der Grossteilt der von unserem Betrieb umgesetzten Gesamttonnage, ist Industrieabfall. Auch dort haben die Schrottmengen zugenommen. Es ging mehr Buntmetall, aber auch mehr Sperrgut für die Kehrichtverbrennungsanlage ein. Die Mengen haben dem verzeichneten Wirtschaftswachstum entsprochen. Auch hier spüren wir 2023 eine Verlangsamung.

Haben sich die Abfallmaterialien verändert in den letzten Jahren?

Locher: Am Materialmix selbst hat sich nicht gross etwas verändert in den vergangenen zehn Jahren, mit Ausnahme von Papier. Dort schlugen sich die Digitalisierung, das papierlose Büro sowie der Einbruch in der Medienbranche bei Printprodukten spürbar nieder.

Welcher Abfall ist am lukrativsten, bei welchen besteht eher ein Überangebot?

Locher: Turbulent war beispielsweise die Entwicklung von Karton in den beiden letzten Jahren. 2021 erlebten wir einen regelrechten Preissturz. Es gab Momente, in denen wir – obwohl wir selbst Karton pressen und auf dem Weltmarkt anbieten – Geld drauflegen mussten. Nach diesem Tief stieg der Preis spannenderweise nur noch an. Dies hatte wohl auch mit der gesteigerten Kartonnachfrage während Corona zu tun. Und nun wendet sich das Blatt wieder und die Preise tendieren erneut Richtung Null. Wie sieht es bei anderen Materialien aus? Locher: Am lukrativsten sind klar Buntmetalle wie Kupfer, Zinn, Zink und Nickel. Aber auch da gibt es preisliche Berg- und Talfahrten. Diese Stoffe werden alle am London Metall Exchange (LME) gehandelt. Insbesondere Nickel und Kupfer sind momentan sehr hochpreisig, wobei leider nicht immer nur Realwerte ausschlaggebend sind, sondern auch Spekulationen am Markt ein Problem darstellen.

Wie steht es um das viel gepriesene Recycling?

Locher: Was viele Leute vielleicht nicht wissen, ist, dass die Schweiz im Bereich der Wertstoffe autark ist. So verarbeiten beispielsweise die beiden grossen Schweizer Stahlwerke nur Eisenschrott aus der Schweiz und verwenden keine neuen Rohstoffe (Erz) im Produktionsprozess. Umgeschmolzener Stahl weist im Gegensatz zu neuem eine bessere Ökobilanz aus. Generell gilt: Bei allen Materialien wie Glas und allen Buntmetallen ist das Umschmelzen von gutem Qualitätsmaterial energieärmer als die Neuproduktion aus Rohstoffen. Auch bei Zellstoffen wie Karton und Papier ist dies so. Daher sind Altmaterialien begehrt, das heisst, wenn ein Produktionswerk auf Recyclingmaterial zugreifen kann, tut es das.

 

Und wie gut steht nun die Schweiz da bezüglich Recyling?

Locher: In der Schweiz gibt es ja die vorgezogene Recyclinggebühr, welche die anfallenden Entsorgungskosten bei nicht kostendeckenden Prozessen abdeckt. In Deutschland zum Beispiel wird zwar mehr getrennt als in der Schweiz, aber die Qualität der Trennung ist nicht sehr hoch, was bedeutet, dass einfach Mehrarbeit in der Sortierung anfällt. Heute geht in Europa der Trend eher weg von zu viel Trennung beim Verbraucher. Diese wird wieder mehr an die Produktionsbetriebe ausgelagert. Hilfreich sind bei der Sortierung natürlich auch die neuen Technologien wie optische Trennverfahren und Radioaktivitätsdetektionen, mit denen Material auf einem Fliessband maschinell identifiziert und getrennt werden kann.

Wie wichtig ist die Grösse eines Abfallbetriebs?

Locher: Wir verfolgen mit unserer Muttergesellschaft eine Wachstumsstrategie in der Schweiz, wie auch international in Österreich, Deutschland, Slowenien und Polen. Denn unser Geschäft bleibt am Ende des Tages ein Rappengeschäft. Das heisst, wir brauchen eine gewisse Grösse, um uns bei unseren Endabnehmern positionieren zu können. Auch logistisch ist es wichtig, nicht nur Kleinstmengen zu transportieren, sondern optimal mit Vollladung fahren zu können.

Was bedeutet das konkret für Schaffhausen?

Locher: Die Infrastrukturkosten sind in einem Betrieb wie dem unsrigen sehr hoch: Für unsere Anlagen benötigen wir in Herblingen eine Fläche von 25 Hektaren, in Beringen 17 und in Neunkirch zwölf. Ausserdem ist unsere Branche maschinenintensiv. Und natürlich ist auch die Spezialisierung unserer Mitarbeitenden ein Dauerthema. Es gibt die Ausbildung zum Recyclist, mit dem Ziel, die Produktionsprozesse in nötiger Qualität zu optimieren. Um Fachkräfte mit solcher Spezialisierung anstellen zu können, muss ein Unternehmen eine gewisse Grösse aufweisen. Auch, um in der Lage zu sein, marktfähige Löhne zu zahlen und junge Leute zu motivieren, diesen Beruf zu ergreifen. Gerade, weil unser Beruf leider nicht gerade zu den begehrtesten gehört.

Sie haben ein Imageproblem?

Locher: Als Branche der Kreislaufwirtschaft nehmen wir eine wichtige Aufgabe im Bereich der Ökologie wahr. Aber dies wird weder von Privatpersonen noch von der Politik genügend wertgeschätzt. Wir haben neben dem ökologischen Aspekt auch ökonomisch das Ziel, soviel Materialien wie möglich im Kreislauf zu behalten. Doch leider werden wir – böse gesagt – immer noch als die kleinen Lumpensammler wahrgenommen, um die man lieber einen Bogen macht, anstatt die Wichtigkeit unserer Branche in der Kreislaufkette zu erkennen. Deshalb wünsche ich mir, insbesondere von der Politik, eine Wahrnehmungsveränderung verbunden mit der Erstellung von nötigen Rahmenbedingungen.

Alex Locher und Arnold Schmid Recyling AG

Der gelernte Chemielaborant Alex Locher ist seit 25 Jahren in der Entsorgungs- und Recyclingbranche tätig, mit Zwischenstationen bei einer Sonderabfallentsorgungsgesellschaft und einem lokalen Transportunternehmen. Seit viereinhalb Jahren ist Locher Geschäftsführer der Arnold Schmid Recycling AG. Das Unternehmen beschäftigt 33 Mitarbeitende an drei Betriebsstandorten und setzt 65'000 Tonnen Entsorgungsmaterial pro Jahr in allen Kundensegmenten um. Durch Firmenzukäufe ist die Firma im Kanton auch in Beringen und Neunkirch aktiv.

Das Werk in Herblingen. Bild: ZVG

Glossar

Der Begriff «Buntmetalle» ist eine Sammelbezeichnung für eine Untergruppe der schweren Nichteisenmetalle unter Ausschluss der Edelmetalle und der Leichtmetalle. Zu ihnen zählen Metalle wie Kadmium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Blei, Zinn, Zink.
Quelle: Wikipedia

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