Warum Schaffhausen besser dasteht als Zürich und Co.

Iris Fontana | 
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In Schaffhausen begünstigen die überschaubaren Verhältnisse den Austausch zwischen Lehrbetrieben, Berufsbildnern und Lehraufsicht. Symbolbild: iStock by Getty Images

Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik rütteln auf: 22,8 Prozent der Lernenden in der Schweiz, die 2017 eine Ausbildung begonnen haben, lösten ihren Lehrvertrag auf. In absoluten Zahlen sind das 11'810 Lernende. Wie präsentiert sich das Bild in Schaffhausen? Wir haben bei Philipp Dietrich, Leiter Dienstelle Berufsbildung und Berufsberatung des Kanton Schaffhausen, nachgefragt.

Herr Dietrich, sind sie überrascht von den vielen Lehrvertragsauflösungen?

Philipp Dietrich: Nein, eigentlich nicht. Wir bekommen die aktuellen Zahlen in regelmässigen Abständen vom Bund zugestellt. Und ich bin nicht überrascht, weil es sich nicht um ein neues Phänomen handelt. Trotzdem tut es einem jedes Mal weh, wenn man solche Zahlen sieht.

Wie präsentieren sich die Zahlen für den Kanton Schaffhausen?

Dietrich: Im Kanton Schaffhausen stehen wir glücklicherweise sehr gut da. Die zitierte Studie kommt zum Schluss, dass 22,8 Prozent der Jugendlichen, welche 2017 eine Lehre begonnen haben, den Lehrvertrag auflösten. In Schaffhausen liegt diese Quote bei unter 10 Prozent. Wenn man diese Zahl noch um wirtschaftliche und strukturelle Bedingungen (siehe Box) bereinigt, ergibt sich nochmals ein tieferer Wert. Im Gegensatz zu unserem Nachbarkanton Zürich, der in etwa im Landesdurchschnitt liegt, haben wir also deutlich bessere Zahlen.

Worauf führen Sie die Unterschiede zurück?

Dietrich: Eine wissenschaftlich belegte Antwort ist natürlich nicht möglich. Aber wir haben in Schaffhausen den Vorteil, dass aufgrund der überschaubaren Verhältnisse oft sehr enge Beziehungen zwischen den involvierten Schlüsselpersonen bestehen. Lehrbetriebe, Berufsbildner und unsere Lehraufsicht kennen sich gut, arbeiten eng zusammen, es findet eine verbundpartnerschaftliche Art der Lehrlingsbetreuung statt. Dies ist sicher begünstigend für die Ausbildungsqualität und die Betreuung der Lernenden. So kann auch unsere Lehraufsicht rasch aktiv werden, wenn und wo es nötig wird. Quasi als Mediator führt die Aufsicht in einem solchen Fall mit dem Betrieb und den Lernenden, und vielfach auch mit den Eltern, Gespräche. So können oft Lösungen gefunden und drohende Lehrvertragsauflösungen verhindert werden.

Sind Lehrvertragsauflösung mit Lehrabbrüchen gleichzusetzen?

Dietrich: Nein. Da gilt es klar zu unterscheiden. Oft wird von «Lehrabbrüchen» gesprochen. Das verzerrt streng genommen die Realität. Abbrüche bedeuten, vorübergehend gar keine Anschlusslösung im Bereich der Lehre zu haben. Sie sind, zum Glück, seltener. Ein beträchtlicher Teil der Vertragsauflösungen erfolgt aus formellen Gründen, etwa wenn sich beim Lehrbetrieb etwas an der Rechtsform ändert oder bei einem Niveau-Wechsel innerhalb der Lehre. Die Lernenden erhalten dann neue Verträge. Und auch die meisten Lernenden, die einen Lehrvertrag auflösen, finden anschliessend eine Lösung, beispielsweise in einem anderen Lehrbetrieb im selben Lehrberuf. Wenn jemand in dieser Situation wirklich nicht weiss, welcher Beruf tatsächlich der richtige ist, ist das BIZ eine wichtige Anlaufstelle. Dank unserer Beratung, oft auch unterstützt durch unser Case Management Berufsbildung, wird in der Regel eine Lösung gefunden.

Philipp Dietrich
Philipp Dietrich, Leiter Dienststelle Berufsbildung und Berufsberatung Kanton Schaffhausen. Bild: ZVG


«Viele Lehrstellenanbieter kennen sich, es findet eine verbundpartnerschaftliche Art der Lehrlingsbetreuung statt. Dies ist sicher begünstigend für die Ausbildungsqualität und die Betreuung der Lernenden.»

Was sind denn die Hauptgründe für Vertragsauflösungen?

Dietrich: Gesundheitliche Aspekte spielen eine grosse Rolle. Beispielsweise Allergien, welche erst nach einer gewissen Zeit auftreten und gar nicht im Zusammenhang mit negativen Erfahrungen im Beruf stehen müssen. Dann natürlich auch leistungsbezogene Themen. Wenn die Leistungen nicht dem Soll entsprechen, führt dies zu Auf- oder Abstufungen. Ebenfalls von Bedeutung ist die falsche Berufswahl: Um diese zu verhindern, ist es wichtig, dass die Jugendlichen schon in der Oberstufe versuchen, so nah wie möglich die Berufsrealität ihres Wunschberufs kennen zu lernen.

Informationen dazu gäbe es ja genug…

Dietrich: Ja, definitiv. Ich finde es immer sehr bedauerlich, wenn ich mit einem Fall von falscher Berufswahl konfrontiert bin. Denn es gibt so viele Angebote, um Berufe kennenzulernen wie Beratungen, Unterstützung durch Lehrpersonen, das BIZ mit seiner BIZ-App, verschiedenste Websites sowie zahlreiche Berufsinfos, Info-Anlässe und Berufsbesichtigungen von Betrieben und weitere.

Welche Rolle spielen die Lehrpersonen in diesem Prozess?

Dietrich: Ich finde, dass die Lehrpersonen gute Arbeit leisten. Heute gibt es das Schulfach «Berufliche Orientierung», welches ab der zweiten Oberstufe eine Wochenlektion umfasst. Damit wurde das Thema Berufswahl direkt in den Stundenplänen verankert. Dies ist ein grosser Vorteil und auch für die Lehrpersonen einfacher. Es ist ja immer ein Zusammenspiel zwischen dem Jugendlichen, den Lehrpersonen und den Eltern, wobei letztere oft das Zünglein an der Waage sind.

Gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern?

Dietrich: In Schaffhausen liegt das Verhältnis etwa bei 60% Männern und 40% Frauen, die einen Lehrvertrag auflösen.

Welche Berufe sind speziell betroffen?

Dietrich: Die Situation tritt akzentuierter im Gastgewerbe, dem Verkauf sowie im Baugewerbe auf. Bei diesen Berufen handelt es sich oft um wirkliche Knochenjobs, physisch wie psychisch anstrengend. Es gibt Lernende, denen das zu viel wird. Das kann im Vornherein in einer BIZ-Beratung noch so oft angesprochen werden – wenn ein Jugendlicher sich nicht wirklich mit dieser Frage auseinandersetzt, kommt es dann im Job zum Aha-Effekt und im schlimmsten Fall zu einer Lehrvertragsauflösung.

Welche Anstrengungen werden von den Berufsverbänden unternommen?

Dietrich: Verbände stecken zum Teil wirklich viel Energie in die Qualität der Berufsbildner. Daneben gibt es Initiativen auf Bundesebene wie beispielsweise die Lancierung von «Top-Ausbildungsbetrieben», bei der versucht wird, mit Zertifikaten zu arbeiten. Es gibt auch Branchen, die eigene Coaching-Angebote einsetzen, sowohl für ihre Lernenden als auch ihre Berufsbildner. Weiter werden für Berufsbildner auch immer wieder Auffrischungskurse angeboten, wo Themen wie ‘Schwierige Gespräche führen’ und ‘Wie gebe ich Feedback’ thematisiert werden. Ausserdem wird versucht zu sensibilisieren, wie Jugendliche heute ‘ticken’, es werden verschiedene Generationen und ihre Werthaltungen angesprochen, aber auch der Bereich der zunehmenden psychischen Probleme.

Worin sehen Sie die Gründe für die negative Entwicklung?

Dietrich: Die Hintergründe für Lehrvertragsauflösungen sind vielfältig. Letztlich muss die Chemie zwischen den beteiligten Menschen stimmen, das ist wie bei den Erwachsenen auch. Zudem muss die Phase der Persönlichkeitsentwicklung mitbedacht werden. Die Jugendlichen sind in der Adoleszenz und damit auch in einer Identitätssuche. In dieser Phase kommt nun die grosse Umstellung von der Schule in die Arbeitswelt und mit diesem Schritt ändert sich nochmals einiges an den Grundinteressen und eigenen Werten der Jugendlichen.

Verschiedene Faktoren der Lehrvertragsauflösungen

  • Technische Faktoren: Vertrag wird aufgelöst und gleich wieder ein neuer abgeschlossen: Beispiel: Namenswechsel einer Firma, oder Umstufungen, z.B. von einer Drei- zu einer Vierjährigen Lehre  
  • Wirtschaftlich-strukturelle Faktoren: Beispiel: Konkurs einer Firma
  • Falsche Berufswahl

 

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