Hohe Nachfrage, kaum Bewerbungen: Kinderbetreuung im Dilemma

Iris Fontana | 
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Gut ausgebildetes Fachpersonal ist eine knappe Ressource in Kinderbetreuungseinrichtungen. Archivbild: Roberta Fele.

Fachkräftemangel im Bildungsbereich ist ein heiss diskutiertes Thema. Wenig hingegen hört man diesbezüglich von Kinderbetreuungseinrichtungen. Ist die Personalknappheit hier weniger ausgeprägt? Immerhin baut die Wirtschaft stark darauf, dass arbeitstätige Eltern ihre Kinder fremdbetreuen lassen können. Wir fragen nach bei Kindertagesstätten (KiTa) in der Region und bei Nadine Wolfer. Sie ist im Kanton Schaffhausen Fachverantwortliche Familien- und schulergänzende Betreuung (FEB/SEB) sowie Leiterin der Abteilung Kind, Jugend, Familie (KJF).

Zugegeben: Man kann es bald nicht mehr hören. Viele Branchen leiden darunter, dass sie offene Stellen kaum mehr besetzen können. Oder nur zu viele Betriebe überfordernden Bedingungen, die so mancher potenzielle Mitarbeiter im Bewerbungsgespräch auf den Tisch legt. Ein Anruf bei Nadine Wolfer genügt und es wird klar: So ist es auch in der Kinderbetreuung. «Viele Betreuungseinrichtungen wie KiTas, Horte und Mittagstische bekunden Mühe bei der Rekrutierung von pädagogischem Fachpersonal», sagt die Fachfrau und weist darauf hin, dass im Kanton Schaffhausen auf den gängigen Stellenportalen deutlich mehr Ausschreibungen aufgeschaltet sind als dies noch vor zwei oder drei Jahren der Fall war. Diese Feststellung erhärtet sich bei einer kleinen Umfrage bei Betrieben in der Region. So vernimmt man aus einer KiTa in der Stadt Schaffhausen, dass offene Stellenausschreibungen teilweise über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden können. Es sei wirklich sehr schwierig, gutes, ausgebildetes Personal zu finden, das zudem in den Betrieb passe und die geforderten Voraussetzungen mitbringe. Auch im oberen Kantonsteil ist die Rede von sehr wenigen Bewerbungen, die bei offenen Jobs reinkämen. Man habe zuweilen schlicht keine Auswahl bei der Stellenbesetzung.

Wachsendes Angebot, mehr Bedarf

Der Hauptgrund für den Fachkräftemangel: Immer mehr Betreuungsangebote und die wachsende Zahl an entsprechenden Einrichtungen seit 2018. Nadine Wolfer erklärt: «Eine neue KiTa zu eröffnen, geht immer auch mit einem höheren Bedarf an Fachkräften einher, da ein Grundstock an Stellen in allen Bereichen besetzt werden muss.» Dadurch habe die Nachfrage an pädagogischem Fachpersonal zugenommen, mehr Lehrabschlüsse habe es in diesen vier Jahren jedoch nicht gegeben. Konkret: Im besagten Zeitraum wurden rund 300 bis 400 neue Betreuungsplätze geschaffen, aber lediglich 40 bis 50 Lernende pro Jahr ausgebildet. Ausserdem seien kaum finanzielle Ressourcen vorhanden, um bessere Rahmenbedingungen schaffen zu können, sagt Wolfer. Und das in einem Beruf, der hohe physische und psychische Anforderungen stelle. Weiter erschwerend komme hinzu, dass die Löhne tiefer seien als in den umliegenden Kantonen, womit durch Abwerbungen das Problem weiter verschärft werde. Die Nachfrage bei einer Betreuungseinrichtung im Klettgau bestätigt: Es stehen kaum genügend Fachkräfte zur Verfügung, um die steigende Nachfrage nach Plätzen zu decken. Die Löhne sind tiefer als im schulischen oder pädagogischen Umfeld (Lehrer, Sozialpädagogen etc.). Kein Wunder also, nutzen qualifizierte Lernende ihre Lehre als Sprungbrett für ein weiterführendes Studium. Natürlich nicht per se schlecht, aber mit negativen Konsequenzen für den Ausbildungsbetrieb und die Betreuungslandschaft. Mehrere KiTa-Mitarbeitende geben zudem zu bedenken, dass auch die schlechten Arbeitsbedingungen abschreckten. Das Fachpersonal sei, gerade nach der sehr belastenden Coronazeit, erschöpft. Dies äussere sich in vielen Krankheitsausfällen, auch psychischer Art. Dieser Umstand habe die Personalfluktuation zusätzlich verstärkt.

Massnahmen, um Mitarbeitende zu halten

Mit verschiedenen Massnahmen wollen die Betreuungseinrichtungen Gegensteuer geben, um die Mitarbeitenden zu halten. Internes Karriere- und Talentmanagement, Schulungen und Weiterbildungen im Pädagogischen sowie im Führungsbereich werden ebenso genannt wie Teamentwicklungen, die Ausbildung von Lernenden, Investitionen in die Teamkultur und besondere Anreize wie Mutterschaftsurlaub mit angepassten Wiedereinstiegsmöglichkeiten. Und natürlich, wo immer möglich, auch finanzielle Wertschätzung durch Lohn und Bonus.

Wünsche an die Politik und die Gesellschaft

Ausreichend sind all die guten Massnahmen jedoch kaum. Das wird klar, wenn man nach den Wünschen an die Politik und die Gesellschaft fragt. Die Liste ist lang. Nadine Wolfers Hauptwunsch ist, dass die Betreuungseinrichtungen bei guter Qualität mehr finanzielle Unterstützung erhalten. Dieser Forderung schliessen sich alle Befragten an. Weitere Punkte sind die Verbesserung und Klärung der Rahmenbedingungen, grössere Anerkennung für die Wichtigkeit der Kinderbetreuung sowie der Wunsch, dem Bildungssystem zugeordnet zu werden, wo ein klarer Bildungsauftrag und ein System mit funktionierenden Rahmenbedingungen bestehe. Zudem wird die Verbesserung und insbesondere Vereinheitlichung der Subventionssysteme zwischen Stadt und Land als zentrales Bedürfnis geäussert, da private Institutionen auf dem Land – wenn überhaupt – nur geringe Subventionsbeiträge von den einzelnen Gemeinden erhalten. Weiteres wichtiges Thema ist die Möglichkeit für Quereinstiege in den Job. Ohne weitere politische Massnahmen, so lautet der Tenor, seien die Aussichten düster und die Attraktivität für Berufseinsteiger gering.

Diese Massnahmen schlägt die Fachfrau vor

Nadine Wolfer ist im Kanton Schaffhausen Fachverantwortliche Familien- und schulergänzende Betreuung (FEB/SEB) sowie Leiterin der Abteilung Kind, Jugend, Familie (KJF). Angesprochen auf mögliche Massnahmen gegen den Fachkräftemangel nennt Wolfer folgende Punkte:

  • Erhöhung der Subventionen bzw. Betreuungsgutscheine und Subventionierung bis in höhere Einkommensklassen, damit die Organisationen den Tarif anheben und damit höhere Löhne und mehr bzw. ausreichend ausgebildetes Personal finanzieren können.
  • Finanzielle Unterstützung, um fehlende Elternbeiträge infolge Platzabbau oder Reduktion der Öffnungszeiten auszugleichen und damit Schliessungen zu vermeiden.
  • Aus- und Weiterbildungszuschüsse für bereits vorhandenes diplomiertes Personal, unqualifiziertes Assistenzpersonal, Personal mit ausländischem Diplom oder Quereinsteigende.
  • Finanzielle Unterstützung, um die Stellenprozente der Berufsbildner zu erhöhen, damit diesen mehr Zeit für die Begleitung des unqualifizierten Personals (Lernende, Assistenzpersonal etc.) zur Verfügung steht.

Die Forderungen der neuen Bundesrätin Baume-Schneider

Eine Studie, verfasst von der neugewählten Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider und Eliane Fischer, Präsidentin von Alliance Enfance, kommt zum Schluss, das eine nationale Politik für den Bereich «Frühe Kindheit» notwendig sei, um bestehende Lücken im System zu schliessen und die Qualität anzuheben. Zwar seien viele Anstrengungen auf staatlicher Ebene unternommen worden, aber diese glichen bisher eher einem unkoordinierten Flickenteppich. Vielfach gehe es bei der Debatte rund um familien- und schulergänzende Angebote und Strukturen allein um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Aspekte jedoch, welche die Kindsentwicklung beträfen, kämen zu kurz. Gemäss dem Bericht, welcher auch durch eine Studie des UNICEF gestützt wird, liegt die Schweiz beim Thema «frühe Kindheit» (Alter zwischen Geburt und vier Jahren) im internationalen Vergleich im Hintertreffen.

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