Bratwurst mit Herz: Daniela Jandl ist die neue Seele vom Imbiss zum Tiergarten an der Choligass

Der kleine Imbiss zum Tiergarten in Stein am Rhein ist längst mehr als ein Ort für schnellen Hunger. Hier treffen sich Einheimische, Touristen und Stammgäste seit Jahrzehnten wegen «der besten Bratwurst der Region». Nach dem Abschied von Urgestein Adi Schmidt führt nun Daniela Jandl den Stand mit Leidenschaft, Akribie und frischem Wind weiter.
Von aussen unscheinbar, in der kleinen Küche ein Ort voller Geschichten: Ein kleiner Imbiss zum Tiergarten an der Choligass 1 in Stein am Rhein hat sich über Jahre hinweg zum Geheimtipp für Einheimische und Touristen entwickelt.
«Jede Woche ist hier wie eine Wundertüte.»
Nach dem Rückzug von Imbiss-Legende Adi Schmidt hat nun Daniela Jandl übernommen – mit Respekt vor dem Erbe und einer eigenen Handschrift. Doch wie viel Adi Schmidt steckt noch im neuen Imbiss? Und wie geht es Daniela Jandl mit der Verantwortung, diesen besonderen Ort zu führen?
Mittwoch, 15 Uhr, Regen
Es ist ein grauer Mittwochnachmittag in Stein am Rhein. Der Regen fällt leise, der Himmel hängt schwer über dem Städtchen. Vor dem kleinen Imbiss an der Choligass: leere Tische, kein Gast in Sicht. «Es liegt am Wetter», sagt Daniela Jandl schulterzuckend, während sie sich die Schürze zurechtrückt.
Langeweile kommt trotzdem nicht auf. In einer Stunde wird eine Reisegruppe aus Kasachstan erwartet – 40 Gäste, 40 Bratwürste. In der kleinen Küche laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Henri Dosch, seit fünf Saisons im Team, steht konzentriert am Grill. Auch wenn er selbst Vegetarier ist, sitzt jeder Handgriff, wenn es um Fleisch geht. Die Wurst muss exakt vorbereitet sein – Zimmertemperatur, nicht direkt aus dem Kühlschrank. Erst angebraten, dann warm gehalten, schliesslich fertig gegrillt. Alles mit dem Ziel, dass sie bis zum letzten Bissen heiss bleibt.
«Jede Woche ist hier wie eine Wundertüte», sagt Daniela Jandl. Sie wirkt ruhig, fast gelassen – aber man spürt die Spannung unter der Oberfläche. Es ist die Art von Ruhe, die man nur hat, wenn man weiss, was man tut.

Der Alltag ist Ausnahmezustand
«Planung ist schön, aber sie funktioniert hier selten», sagt sie. Währenddessen läuft eine ältere Dame aus Höri vorbei, winkt und ruft: «Das ist die beste Bratwurst weltweit!» Ein anderer Stammgast bestellt ein Bier – nicht aus Durst, sondern aus Gewohnheit. «Seit 30 Jahren komme ich hierher. Hier trifft man Leute, redet, lacht.»
Und tatsächlich: Kurz darauf kommen zwei junge Frauen, bestellen Hamburger. Der eine wird vegetarisch zubereitet – auch das gehört heute zum Repertoire.
«Ich wollte eigentlich nur überbrücken – kurz in die Gastro reinschnuppern.»
Die Karte ist liebevoll auf Tafeln handgeschrieben, gestaltet von Danielas Tochter Annelie Hellmann. Ein Familienbetrieb im besten Sinne. Auch Danielas Partner Helmut Boos hilft oft mit, ebenso wie Nachbarin Ruth Wegelin, die jeden Morgen frisches Brot vom Bäcker bringt. «Sie ist mein Engel», sagt Daniela Jandl.

Wer ist Daniela Jandl?
Die Geschichte der Imbisschefin beginnt ganz woanders: in einer Zahnarztpraxis. 26 Jahre lang arbeitete Daniela in diesem Umfeld, zuletzt als rechte Hand des Chefs. Sie war eingespielt, organisiert, multitasking-erprobt. Doch irgendwann kam der Moment des Abschieds: Der Zahnarzt ging in Rente – Daniela entschied sich, neu anzufangen.
«Früher kamen sie mit Zahnschmerzen, heute mit Hunger. Die Stimmung hier ist besser.»
«Ich wollte eigentlich nur überbrücken – kurz in die Gastro reinschnuppern», sagt sie. Doch was als Aushilfe begann, wurde zur Berufung. Adi Schmidt, der langjährige Imbissbetreiber, erkannte schnell ihr Potenzial. Er baute sie ein, führte sie systematisch ein – mit dem Ziel, den Stand eines Tages an sie zu übergeben. Dieser Tag kam im Januar. Und mit ihm ein neuer Lebensabschnitt.
«Ich liebe die Arbeit mit Menschen», sagt Daniela Jandl. «Früher kamen sie mit Zahnschmerzen, heute mit Hunger. Die Stimmung hier ist besser», sagt sie.

Was geblieben ist – und was sich verändert hat
Adi Schmidt hinterliess grosse Fussstapfen. Doch Daniela Jandl geht den Weg nicht im Schatten, sondern mit Respekt und Mut zur eigenen Note. «Ich habe vieles übernommen. Adis Konzept war brillant: ein Ort für Touristen und Locals gleichermassen.»
Doch ihre Handschrift ist spürbar: Tischdecken, Blumen, handgeschriebene Karten. Und: Es gibt jetzt auch lokalen Wein. Die Currywurst – nach wie vor das Flaggschiff – wird mit hausgemachter Sauce serviert. Geheimrezept. Jeden Morgen frisch gemacht. Daneben: das Schnitzelbrot – ebenfalls selbst gewürzt, paniert, gebraten. «Kein Convenience-Food, sondern ehrliche Küche.» Die Gäste merken keinen Unterschied zum «alten» Imbiss. «Und das ist das schönste Kompliment», sagt die neue Inhaberin.
Die Stunde vor dem Sturm
16 Uhr – die Reisegruppe aus Kasachstan ist überfällig. Die vorbereiteten Würste beginnen, langsam an Glanz zu verlieren. «Für die Würste sehe ich langsam schwarz», sagt Daniela Jandl halb ernst, halb lachend. Anrufen geht nicht – die Reiseleiterin spricht kaum Deutsch. Man wartet.
Doch wie von Zauberhand füllt sich der Imbiss mit Laufkundschaft. Der Regen hält niemanden ab. Alle vier Tische sind besetzt. Es riecht nach Bratwurst, Schnitzel, Pommes. Der kleine Imbiss wird zur Bühne. 16.45 Uhr. Noch immer kein Bus. 17 Uhr. Erlösung. Der Reisebus parkt.
Die Gäste steigen aus und kommen. Jetzt muss jeder Handgriff sitzen. Es zischt, dampft, riecht. Die Spannung löst sich in einem kollektiven Aufatmen. Eine Entschuldigung lässt auch nicht lange auf sich warten.

Ein Ort mit Seele
Daniela Jandl steht jeden Tag an der Front. Bis zu 16 Stunden. Sie kauft ein, bereitet vor, kocht, serviert, putzt. Dienstag ist Ruhetag – sonst hat der Imbiss geöffnet von 11.30 Uhr bis 22 Uhr. «Allein wäre das nicht zu schaffen», sagt sie. Der Familienzusammenhalt ist ihre Kraftquelle.
«Ich möchte mindestens die nächsten zehn Jahre hierbleiben.»
Die Touristen kommen tagsüber, die Einheimischen abends. Viele Gäste sind Wiederholungstäter. Einige täglich. Manche erzählen von früher, von Adi, von alten Zeiten. Doch sie bleiben – wegen des Essens, der Atmosphäre, der Daniela.
Und was bringt die Zukunft?
Daniela Jandl hat keine Eile. «Ich möchte mindestens die nächsten zehn Jahre hierbleiben», sagt sie. «Vielleicht ist das nicht das Ende, aber jetzt ist es mein Platz.» Dass sie dabei nicht reich wird, weiss sie. Aber sie bekommt etwas anderes zurück: «Begegnungen, Wertschätzung, ein Lächeln nach dem letzten Bissen.»
«Hier sind alle willkommen. Es ist ein Ort, der Menschen zusammenbringt.» Und während wieder ein Auto langsam vorbeifährt, ein Stammgast winkt und sich für später anmeldet, weiss man: Der kleine Imbiss zum Tiergarten an der Choligass ist nicht nur ein Imbiss. Er ist ein Stück gelebtes Stein am Rhein. Und Daniela Jandl – sie ist seine neue Seele.