Erbsenburger statt Schweinsschnitzel

Sind vegane Fleischersatzprodukte ein Wachstumsmarkt? Produzenten aus der Region berichten von ihren Erfahrungen.
von Vincent Fluck
Das Kerngeschäft von Reto Wipf ist nachhaltig erzeugtes Freilandfleisch. Auf seinem Hof in Marthalen scharren und wühlen 5000 Hühner und 250 Mastschweine in der Erde herum. Das Fleisch dieser Tiere verkauft er über den Hofladen, den Online-Shop sowie über Restaurants und Metzgereien der Umgebung.
Im Angebot hat der Weinländer Landwirt auch vegane Fleischersatzprodukte. Zurzeit sind das Falafel, Vegiburger und Chiliburger. Zu einem grossen Teil bestehen sie aus Gelberbsen, die auf dem 45-Hektar-Betrieb angebaut werden. Auf den Geschmack kam er an der Fachtagung «Protein Power» der landwirtschaftlichen Schule Strickhof in Winterthur. Dort vernetzte er sich mit Vertretern der Zürcher Start-up-Firma Fabas, die sich auf die Entwicklung von Fleisch- und Milchalternativen auf Basis von Hülsenfrüchten spezialisiert haben. Mit ihnen erarbeitete er die Rezepturen für die Falafel und Burger, die nun von einer Zürcher Grossmetzgerei hergestellt werden. Die fertigen Produkte, die zu 70 Prozent aus Erbsen und zu 30 Prozent aus Schweizer Gemüse bestehen, werden anschliessend wieder auf den Martella-Hof gebracht und dort über dessen Verkaufskanäle vertrieben. Mit dem Anbau von Sommereiweissgelberbsen – so der genaue Name – hat Wipf im Jahr 2021 begonnen. Seit letztem Jahr baut er auch grüne Linsen an. Diese sind zurzeit lediglich in unverarbeiteter Form erhältlich, zum Beispiel als Grundlage für einen Linseneintopf. Denkbar ist es aber, sie zu einem späteren Zeitpunkt in verarbeiteter Form anzubieten, zum Beispiel als «Vegi-Balls», Fleischbällchen auf Linsenbasis.
« Die anfängliche Euphorie ist verflogen. »
Reto Wipf vom Martella-Hof glaubt, dass der Markt gesättigt ist.
Der Anteil der veganen Produkte am Gesamtumsatz des Hofes sei klein, räumt Reto Wipf ein. Dennoch bezeichnet er sie als sinnvolle Ergänzung. Mittlerweile gebe es viele Menschen mit fleischlos lebenden Familienangehörigen und Freunden. Wenn es etwa darum gehe, an einem schönen Sommertag spontan Grilladen einzukaufen, bräuchten sie auch vegane Alternativen. Wenn der Hofladen diese nicht anbiete, würden sie in den Tankstellenshop gehen und dort auch gleich ihr Fleisch einkaufen. Über die Weihnachtsfesttage habe sich zudem gezeigt, dass auch für ein Fondue Chinoise fleischlose Alternativen gefragt seien. Dieses Bedürfnis lasse sich mit den Falafeln gut abdecken.
Generell findet Wipf, dass man vom Schwarz-Weiss-Denken wegkommen müsse. «Es geht immer mehr in die Richtung, dass man zwischendurch als Fleischesser auch mal einen veganen Burger isst und dass jemand, der sonst auf Fleisch verzichtet, auch mal ein Pouletbrüstchen zu sich nimmt.» Sein Hof sei in der Lage, beiden Konsumentengruppen etwas zu bieten. «Wir sind relativ flexibel. Wenn die Leute mehr Ersatzprodukte wollen, dann produzieren wir diese, und wenn sie mehr nachhaltiges Fleisch wollen, dann produzieren wir gerne mehr von dem. Wir wollen dem Kunden wirklich die Optionen geben. Das ist unsere Philosophie.»
Wenn es fleischlose Produkte sein sollen, dann müssen sie nachhaltig sein und aus der Region stammen, findet Wipf. Bei vielen im Handel erhältlichen Fleischersatzprodukten sei dies aber nicht der Fall. «Deren Grundzutaten werden irgendwo auf der Welt produziert, hierhergeflogen und mit Emulgatoren versetzt. Das ist natürlich weit weg von nachhaltig.»
Hummus aus heimischen Kichererbsen
Ein anderer Betrieb aus der Region, der sich mit veganen Alternativen befasst, ist die Juckerfarm. Der Grossbetrieb mit bis zu 400 Mitarbeitenden und vier Standorten im Grossraum Zürich hat sich einen Namen mit dem Anbau von Kürbissen gemacht. Diese stammen zum grossen Teil vom Hof in Rafz. Da gedeihen auch Spargeln, Beeren und Wintergemüse. Seit 2020 sind zudem Kichererbsen auf dem Programm. Dazu gekommen sei es eher zufällig, erzählt Sven Studer.

Er war zwei Jahre lang Betriebsleiter in Rafz und ist seit seiner Wahl in den Gemeinderat von Laufen-Uhwiesen für interne Beratung und Weiterbildung zuständig. «Wir waren beim Jahresgespräch bei Coop. Beim Hinausgehen sagten sie: ‹Ja, Schweizer Hummus wäre eine coole Sache›.» Das Jucker-Team in Jona habe dann herumprobiert und aus hofeigenen Produkten – mit den Hauptbestandteilen Kichererbsen und Rapsöl – einen Hummus entwickelt. «Bei Coop waren sie erstaunt, als wir nur ein halbes Jahr nach dem Gespräch ein Muster zum Probieren vorbeibrachten.» Er selber sei zwar eher der Fleischesser, aber auch ihm munde das ursprünglich aus der arabischen Küche stammende Produkt seiner Kollegen sehr. «Wenn Hummus, dann Juckerfarm-Hummus», sagt er und lacht über den spontan formulierten Werbespot.
« Wir glauben, das ist mehr als nur eine Nische. »
Sven Studer von der Juckerfarm in Rafz sieht im Haferdrink zusätzliches Potenzial.
Anfänglich gingen die Jucker-Leute davon aus, dass Kichererbsen eine anspruchslose, vom Klimawandel begünstigte Kultur sei und auf den eher trockenen Böden des Rafzerfelds gut gedeiht. Sie mussten dann aber feststellen, dass dem nicht so ist. 2021 verfaulte wegen des nassen Wetters die ganze Ernte. Auch 2024 war wegen des vielen Regens ein anspruchsvolles Jahr. Erschwerend kam ein neuer Schädling dazu, die Baumwoll-Kapseleule, eine aus dem Süden stammende Raupe, die unter anderem auch Mais befällt. Bis jetzt ist es einigermassen gelungen, den Schädling mit natürlichen Mitteln und bodenschonendem Anbau einzugrenzen. Für etwas Entspannung sorgt auch die gute Lagerfähigkeit von Kichererbsen: Ernteeinbrüche im einen Jahr lassen sich mit Reserven aus dem Vorjahr überbrücken. Eine Herausforderung anderer Art sei der Preis, so Studer. «Wir müssen um fünf Franken pro Kilo lösen können, da sich der Anbau sonst nicht lohnt.» Im internationalen Markt erhalte man Kichererbsen jedoch für unter einem Euro in bester Qualität. «Da sind wir sehr stark unter Druck.»
Kräftiges Wachstum beim Haferdrink
Eine andere Kultur, die vegane Abnehmer anspricht, ist der Hafer. Seit vier Jahren wird er auf dem Hof in Rafz angepflanzt. «Vom Anbau her ist er für einen Bauern relativ einfach, analog zu anderem Sommergetreide. Da mussten wir nicht viel lernen», sagt Sven Studer. In der Schweiz wird der Hafer jedoch wegen der tiefen Importpreise fast nur noch als Futtermittel angebaut. Für die Juckerfarm geht die Rechnung trotzdem auf, weil sie das Erntegut – analog zu den Kichererbsen – weiterverarbeitet und entsprechende Wertschöpfung erzeugt. Zum einen wird die Ernte für Haferflocken und Müeslimischungen verwendet. Zum anderen wird daraus Haferdrink hergestellt, eine Milchalternative. 2022 betrug die Produktionsmenge rund 62'000 Liter und verdoppelte sich bis 2024 auf 135'000 Liter. Hauptabnehmerin ist die Detailhandelskette Coop. Der Rest wird über diverse kleinere Abnehmer und die Jucker-Hofläden vertrieben. Studer geht davon aus, dass das Wachstum weiter anhält. «Wir glauben, das ist mehr als nur eine Nische», sagt er. Die auf dem Hof in Jona installierte Produktionsanlage habe noch zusätzliche Kapazitäten.

Im Gegensatz zur Hafermilch scheint der Absatz beim Hummus zurzeit zu stagnieren. 2023 wie 2024 lag der Umsatz bei etwas mehr als 40'000 Franken. Auch Reto Wipf in Marthalen geht davon aus, dass seine Falafel und seine veganen Burger eine Obergrenze erreicht haben und zurzeit kein weiteres Wachstum erwarten lassen. «Die anfängliche Euphorie ist verflogen», sagt er.
Mittelweg zwischen Fleisch und Erbse
Dass sich der Erfolg mit veganen Angeboten nicht automatisch einstellt, stellte auch Jürgen Martin aus Schaffhausen fest. Der umtriebige Mann ist zwar bereits seit ein paar Jahren im Rentenalter, reisst aber immer wieder neue Projekte an. Als Marketingmann halte er Ausschau nach unbefriedigten Bedürfnissen grösserer Zielgruppen, erzählt er. Angesichts der hohen Zahl an Einpersonenhaushalten wollte er anfänglich ein vegetarisches Fertiggericht auf den Markt bringen, das sich in der Mikrowelle aufwärmen lässt. Er präsentierte seine Ideen den Verantwortlichen der Produktelinie «Betty Bossi». «Damals sah es aus, dass die vegetarische Story extreme Zuwachsraten hätte», sagt er. Beim Kalkulieren stellte sich jedoch heraus, dass sein vegetarisches Gericht teurer geworden wäre als ein Fleischgericht und deshalb kaum Erfolg gehabt hätte.
« Damals sah es aus, dass die vegetarische Story extreme Zuwachsraten hätte. »
Der Schaffhauser Marketingmann Jürgen Martin ist ernüchtert.
Er ging deshalb weg vom rein vegetarischen Produkt und schwenkte 2022 um auf Würste aus einer Mischung von 70 Prozent tierischen und 30 Prozent pflanzlichen Eiweissen. Damit wollte er Fleischesser und Flexitarier ansprechen, die nicht auf den Fleischgenuss verzichten, aber gleichzeitig etwas fürs Klima tun wollten. Er liess von Lebensmittelfachleuten Bratwurst- und Cervelat-Prototypen herstellen und gab sie einer kleinen Testgruppe zum Probieren. «Es waren zwar nur 20 Personen, aber sie haben keinerlei Unterschied zu Vollfleischprodukten bemerkt.» Ihre Kaufbereitschaft lag bei über 84 Prozent. «Doch der Handel hat nicht mitgemacht», stellt der Marketingmann ernüchtert fest. «Ich bin damit zum falschen Zeitpunkt gekommen.» Deshalb schubladisierte er das Projekt, das den Namen «70!30 meat & plants» trug, im vergangenen Jahr. «Ich kann aber jederzeit wieder loslegen und meine Unterlagen hervorholen», sagt er. «Vielleicht ändern sich die Zeiten ja wieder.» Die Rezeptur sei relativ einfach und könne grundsätzlich von jedem Metzger umgesetzt werden.
Von diesem Rückschlag lässt sich Jürgen Martin nicht entmutigen. Er verfolgt seit Kurzem eine neue Idee in einem ganz anderen Bereich: Nachhaltige Kleidung aus Biobaumwolle, die nach Kundenvorstellungen personalisiert wird.
Die Wurst für Allergiker
Auch Reto Wipf vom Martella-Hof in Marthalen ist zuversichtlich, dass sich immer wieder neue Chancen auftun, um Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Aktuell preist er eine Bratwurst an, die gänzlich aus Fleisch besteht, jedoch «keinerlei deklarationspflichtige Inhaltsstoffe» enthält. Er bewirbt sie als «Alternative für Allergiker».
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