Jedes Kind hat sein eigenes Tempo: Warum hetzen wir sie denn dann?

Ralph Denzel | 
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Als Eltern gehören «Standortgespräche», «Lernfortschrittsgespräche» oder wie man es auch immer nennt zum ständigen Begleiter. Seit Sohnemann seinen ersten Schritt über die Schwelle eines Kindergartens gemacht hat, bin ich gefühlt andauernd bei irgendwelchen Erzieherinnen, Lehrerinnen oder sonstigen Betreuungspersonen, die mich über den neusten Stand meines Sohnes informieren. Darüber will ich mich nicht beschweren, ich bewundere die Arbeit dieser Leute und bin froh, dass sie alle einen so guten Job machen. Vor allem, da fast alle eines eingesehen haben: Meinen Sohn kann und sollte man nicht hetzen.

Perfekt drückte es seine Kindergartenlehrerin bei seinem ersten «Standortgespräch» aus: «Ihr Sohn macht alles in seinem Tempo, dafür macht er es dann richtig. Wenn er sich sicher ist, dann macht er es auch.»

Das begann schon mit dem Sprechen. Laberten andere Kinder in seiner Kindergartengruppe den Erzieherinnen schon ein Ohr ab, blieb mein Junior schweigend wie ein Grab. Eines Tages dann jedoch, öffnete er dem Mund und hörte nicht mehr auf zu erzählen. Bei ihm kamen dann aber direkt richtige Sätze heraus, in dem meisten Fällen grammatikalisch korrekt und sehr gut artikuliert.

Jetzt ist er in der Schule – dachte ich zuerst, dass er in Mathe nie auf einen grünen Zweig kommt, legte er mir vor wenigen Tagen voller Stolz eine 2 (in der Schweiz eine 5) auf den Tisch. Für mich war das eine total neue Erfahrung, dass man auch Noten im oberen Spektrum in Mathe haben kann.

Es gibt tausende Beispiele die ich hier anführen könnte. Momente, in denen er erstmal «Zeit» brauchte, bis er sich traute. Ob Radfahren, Schwimmen, der Purzelbaum – alles dauerte teils länger bei ihm, dafür kann er es jetzt so gut, dass man sich bei keinem dieser Punkte Sorgen machen muss.

Das Problem sind dabei vielmehr die Eltern, wie ich feststellen musste. Ja, ich war beunruhigt, als seine Klassenkameraden im Kopf schon weit über die 10er-Reihe rechnen konnten, mein Junior aber noch Probleme mit 3+4 hatte. Ja, ich war nervös, als er beim Schwimmkurs als einziger noch kein Seepferdchen hatte. Ja, ich habe mir Sorgen gemacht, als viele seiner Klassenkameradinnen und –kameraden schon mit Rädern in die Schule kamen, mein Sohn aber das Gleichgewicht nicht halten konnte.

Aber er hat mich jedes Mal aufs Neue überrascht und mir gezeigt: Ich kann es eben doch! Vielmehr war ich der, der viel zu ungeduldig war, was leider auch ein bisschen ein Gesellschaftsproblem ist. Man erwartet zu bestimmten Punkten von Kindern definierte Leistungen. Wenn sie das bis zu «Tag X» noch nicht können, kommen sie im schlimmsten Fall nicht mehr mit. Dabei ist doch gerade die Individualität das, was Kinder so einzigartig macht. Nicht jeder ist ein Sprinter, mancher ist ein Marathonläufer. Er braucht vielleicht länger, bis er am Ziel ist, aber er kommt auch an.

Daher versuche ich, wann immer es möglich ist, meinem Sohn den Raum und vor allem die Zeit zu geben, die er braucht, um in seinem Tempo das zu erreichen, was von ihm gefordert ist. Ich weiss, dass er das schaffen kann, auch wenn es manchmal «etwas länger» dauert.

Wie sagt man aber so schön: Gut Ding will Weile haben.
 

Hier schreibt Ralph:

 

39 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender

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