ChatGPT schreibt Maturaarbeiten: Künstliche Intelligenz dringt in Bildung und Verwaltung vor
Ein Chatbot beantwortet Anfragen ausserhalb der Öffnungszeiten. Kantischüler lassen sich für ihre Abschlussarbeit von ChatGPT assistieren. Langsam aber sicher dringt künstliche Intelligenz auch in die Bildung und Verwaltung vor. Langsam – es gibt noch einiges zu tun.
Nachdem sich zuvor vor allem Computer-Enthusiasten mit ihnen auseinandergesetzt hatten, wurden KI-Anwendungen im vergangenen Jahr fast jedem und jeder ein Begriff. «Entwirf mir ein Kündigungsschreiben.» «Erkläre mir die Quantenphysik, als sei ich 12 Jahre alt.» Solche und ähnliche Aufforderungen haben Millionen von Privatnutzern in die Textbox von ChatGPT und vergleichbaren Applikationen eingetippt.
Auch in der Privatwirtschaft hat die künstliche Intelligenz Einzug gehalten – unterstützt bei der Entwicklung einer Marketingkampagne, hilft bei der Komplettierung eines Programmiercodes oder bietet sich als immer gutgelaunter Kundenberater an.
Im Dezember hat sich der Regierungsrat erstmals dazu geäussert, wie künstliche Intelligenz auch in der Bildung und Verwaltung eingesetzt werden könnte. Ihr Potenzial für «radikale Veränderungen» sei gross, schreibt er an GLP-Kantonsrat Tim Bucher, der zu diesem Thema einen Vorstoss lanciert hat.
«KI kann für alle möglichen Schritte beim Verfassen einer Abschlussarbeit verwendet werden
Barbara Sulzer Smith, Rektorin Kantonsschule Schaffhausen
Aufwendige Aufgaben in der Verwaltung könnten von künstlicher Intelligenz nicht nur mitbearbeitet, sondern sogar komplett übernommen werden. Als mögliches Einsatzgebiet wird die Erstellung von standardisierten Dokumenten genannt sowie die automatisierte Informationsaufbereitung für verschiedene Zielgruppen. Weiter könne die KI einfache juristische Abklärungen erledigen und zum Beispiel die künftige Studentenanzahl an der PH Schaffhausen voraussagen.
«Mit der gebotenen Vorsicht»
Trotz des selbst erkannten Potenzials räumt der Regierungsrat ein, die Einführung von KI-Werkzeugen noch nicht angedacht zu haben; auch Leitlinien, wie die Technologie innerhalb der Verwaltung zu verwenden wäre, seien noch nicht erarbeitet worden. Nachdem Schaffhausen eine grundlegende Digitalisierungs-Strategie als einziger Kanton in der Schweiz immer noch vermissen lässt, sind fehlende Hinweise im Umgang mit der neuen Technologie nicht verwundernswert. Trotzdem sei den Mitarbeitenden die vorsichtige Verwendung von KI-Werkzeugen grundsätzlich erlaubt, schreibt der Regierungsrat.
Zumindest ein KI-gestütztes Pilotprojekt wurde im Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt bereits umgesetzt: Ein weiblich klingender Chatbot, der ausserhalb der Büroöffnungszeiten die gängigsten Kundenfragen beantworten kann. Beim Schnelltest erkannte der Bot den Inhalt der Anfrage – «ich möchte mein Fahrzeug zulassen» – auf Hochdeutsch zunächst nicht. Die gleiche Anfrage auf Schweizerdeutsch verstand er aber problemlos und gab postwendend Instruktionen, welche Dokumente für eine Zulassung einzureichen seien.
Künftig soll sich der Bot auch während der Öffnungszeiten zu Wort melden und Mitarbeitende in stressigen Phasen unterstützen. Darüber hinaus setzt die Schaffhauser Polizei bereits jetzt auf die Fähigkeit der KI zur Mustererkennung, so können beispielsweise kinderpornographische Inhalte in Bilddateien gefunden werden.
Abschlussarbeiten mit KI verfassen
Auch im Bildungsbereich sieht der Regierungsrat Potenzial für künstliche Intelligenz, insbesondere Programme wie ChatGPT, die selbst Texte, Bilder oder Programmiercode hervorbringen können. Leitlinien hat der Regierungsrat auch hier nicht erlassen, verschiedene Bildungsinstitutionen gehen deshalb verschieden damit um. In der Kantonsschule Schaffhausen ist man der neuen Technologie gegenüber sehr aufgeschlossen. Schülerinnen und Schüler dürfen die Abschlussarbeiten (Maturaarbeit und Selbstständige Arbeit) künftig mit der Unterstützung von Programmen wie ChatGPT, DeepL und Wombo Dream verfassen, was den Schreib- und Denkprozess wesentlich beschleunigen dürfte.
«KI kann für alle möglichen Schritte beim Verfassen einer Abschlussarbeit verwendet werden: für die Themenfindung, die Gliederung, die Recherche und so weiter», stellt Rektorin Barbara Sulzer Smith klar. Als «Forschungsliteratur» im Quellenverzeichnis dürfe die Technologie aber nicht verwendet werden, dafür müsse ihr Einsatz an den entsprechenden Stellen und jeweils am Schluss der Arbeit in einem eigenen KI-Verzeichnis vermerkt werden. Das Berufsbildungszentrum (BBZ) arbeitet derweil gerade an einer internen Informationskampagne, die Lehrpersonen zum verantwortungsvollen Einsatz der Technologie befähigen soll.
Laut Abkärungen des Regierungsrats könnten sich Schülerinnen und Schüler künftig vermehrt mit maschinellen Assistenten austauschen, die bei Fragen weiterhelfen und Feedback auf Arbeiten geben. Ferner könnte KI-Tutoren selbst Aufgaben generieren, die auf den Lernstand der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten sind. Als Zweiteffekt erhofft sich der Regierungsrat eine Entlastung der Lehrpersonen; sie könnten sich anderen Aufgaben widmen, während einige ihrer Schützlinge mit den Maschinen zu Gange sind.
Weitere Wünsche
Der Urheber des Vorstosses ist mit der Antwort der Regierung nur mittelmässig zufrieden. «Sie liest sich ein wenig, als sei sie mit ChatGPT geschrieben worden», sagt Bucher scherzend. Positiv zu vermerken seien die beiden Pilotprojekte der Polizei und des Strassenverkehrs- und Schiffsamts. «Es ist gut, dass bereits erste Impulse gesetzt wurden. Ich wünsche mir im Bildungs- und Pflegebereich aber weitere Akzente, die den Innovationscharakter von Schaffhausen hervorkehren und über die Kantonsgrenzen hinaus auffallen würden.»
Allenfalls könne damit auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel gefunden werden. Für entsprechende Projekte müssten in der Verwaltung nicht gleich neue Stellen geschaffen werden. «Man könnte sich auch intern anders organisieren und Schwerpunkte verlagern – oder mit anderen Kantonen zusammenarbeiten und so Ressourcen bündeln.»
Enttäuschend sei hingegen, dass innerhalb der Verwaltung noch keine klaren Leitlinien für den korrekten Umgang mit KI formuliert worden seien und zum Beispiel Fragen des Datenschutzes damit unbeantwortet bleiben. «So werden KI-Instrumente wohl entweder gar nicht benutzt – aus Angst etwas falsch zu machen – oder sie werden benutzt, aber nicht in angemessener Weise. Das ist ein unbefriedigender Zustand.» Zuletzt wünscht er sich im Bildungsbereich kantonsweite Leitlinien für jede Stufe. «Heute gibt es je nach Bildungseinrichtung unterschiedliche Vorgaben, Leitlinien könnten da eine grössere Einheitlichkeit schaffen.»