Als der Bund fleischlose Tage einführte
Der Erste Weltkrieg, garstiges Wetter und Missernten führten in der Schweiz 1917 zum letzten Mal zu einer grossen Hungerkrise. Die Schaffhauser Nachrichten schrieben heute vor hundert Jahren über fleischlosen Tagen, die der Bund eingeführt hatte.
Der erste Weltkrieg hatte die Schweiz schwer getroffen. Die Schweiz kämpfte zwar selbst nicht im Krieg mit, war aber durch verschiedenste Auswirkungen des Kriegsgeschehens direkt davon betroffen. Dazu kamen 1916 ein eisiger Frühling und ein verregneter Sommer mit Schneefall bis auf 500 Metern anfangs Juni als Höhepunkt. Aufgrund des schlechten Sommers 1916 brachen die Erträge aus der Kartoffelernte drastisch ein. Gleich um 60 Prozent gingen zwischen 1916 und 1917 die Milcherträge der Schweizer Kühe zurück, die aufgrund des von Schnee und Regen verdorbenen Heus ebenfalls hungerten. Unser Land erlebte eine Krise, die damals in der industrialisierten Schweiz nicht mehr für möglich gehalten wurde. Die unterbezahlten Industriearbeiter froren mit ihren Familien in den schlecht geheizten Wohnungen und assen mehr schlecht als recht. Aufgrund der Nahrungsmittelknappheit schossen die Lebensmittelpreise bis zum Höhepunkt der Krise im Jahr 1918 in schier unfassbare Höhen. Auf heutige Einkommensverhältnisse umgerechnet kostete damals einen Liter Milch 6.30 Franken. Für ein Kilo Brot musste man sogar 12.80 Franken auf den Tisch legen, während ein Kilo Schweinefleisch unglaubliche 154 Franken kostete. Zum Vergleich: Heute kostet ein Kilogramm Schweinefleisch je nach Qualität und Produkt zwischen 20 und 40 Franken. In einem Jahr ohne Krieg hätte die Kältewelle wahrscheinlich eine vorübergehende Preiserhöhung ausgelöst, in Kombination mit dem Weltkrieg resultierte aber eine gefährliche Versorgungskrise.
Zweifel am Erlass des Bundesrates
Der Bund war damals gefordert, musste reagieren und tat das auch, wie in den Schaffhauser Nachrichten vom 10. März 1917 zu lesen war. Durch eidgenössische Vorschrift wurden Dienstag und Freitag zu fleischlosen Tagen gemacht. Fortan war es verboten, an diesen Tagen Fleisch vom Rind, Schwein, Ziege, Schaf und Pferd zu verspeisen.
«Gestern hatten wir schon den zweiten fleischlosen Tag in unserem Lande. Für unzählige Schweizer Familien bedeutet das keine Neuerung und keinen Eingriff in die bisherige Lebenshaltung: hatten doch schon bis anhin die so unheimlich in die Höhe geschnellten Preise Fleischgerichte zur Ausnahme bei der weniger bemittelten Bevölkerung gemacht.»
Auf der Redaktion der Schaffhauser Nachrichten war man wohl nicht zu 100 Prozent überzeugt von der Entscheidung aus Bern. Die Zeitungsmacher zweifelten an der Umsetzung des Verbots. So bezeichneten sie die «Herren Bundesräte» als grosse Idealisten und Optimisten die glauben, dass das Schweizervolk «ohne Fleischkarten und ohne intensive Kontrolle die beiden fleischlosen Tage streng und gewissenhaft einhaltet». Als «verächtlich» bezeichneten die Journalisten diejenigen Schweizer, die ihr Fleisch bereits am Vorabend beim Metzger holen, um auch am Dienstag und Freitag ihr volles Fleischgericht auf dem Tisch zu haben. Verständnis zeigt der Autor des Artikels aber für alle Schweizer die trotz Verbot Fleischreste vom Vortag an einem Dienstag oder Freitag verspeisen, da bei diesen vor allem im Sommer schnell Verderbnis droht.
«Die Fleischreste aufzusparen auf die Gefahr hin, dass sie ungeniessbar werden, würde dem Sinn der ganzen Massregel zuwiderlaufen. Wir neigen deshalb zu der Anschauung, dass das ‹Vorige› vom normalen Tagesbedarf auch am fleischlosen Tage aufgegesssen werden darf. Wer aber mehr als gewöhnlich kauft, um am fleischlosen Tage möglichst viele ‹Resten› zu haben, der verstösst gegen die Verordnung.»
Die fleischlosen Tage wurden bereits nach drei Monaten wieder aufgehoben. Bis sich die Schweiz von der Nahrungsknappheit erholte, ging es noch wesentlich länger. Der Markt für Lebensmittel war aus dem Gleichgewicht geraten.