«Allein wäre das alles gar nicht möglich»

Louise Østergaard | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Alle Menschen sind gleich und haben ein Anrecht auf ein friedliches, respektvolles Miteinander. Und alle sind willkommen. Diese Einstellung widerspiegelt sich im Arbeitsklima und wird vom gesamten Team gelebt. Jaël Schüle vor dem Bistro-Büssli am Lindli. Foto: Roberta Fele

Jaël Schüle meistert den Balanceakt zwischen Familienleben und Selbstständigkeit und findet im Chaos die heile Welt.

«Wir haben uns hier unsere kleine, heile Welt aufgebaut. Ein Wohlfühl­ort, der alle willkommen heisst, wo man seine Probleme für einen Moment hinter sich lassen kann», sagt Jaël Schüle, Mitgründerin und -inhaberin von «Lunas Crêpes», und zeigt auf das liebevoll gestaltete Old­timer-Büssli. «So geht es zumindest mir: Wenn mich das Weltgeschehen runterzieht, oder mich politische Entscheidungen zur Weissglut treiben, dann weiss ich immerhin, dass wir hier eine Bubble geschaffen ­haben, in der eigentlich alles in Ordnung ist.» Das Bistro am Lindli ist seit über zehn Jahren fester ­Bestandteil der Schaffhauser Gastroszene und von der Flaniermeile am Rhein nicht mehr wegzudenken. Doch «Lunas Crêpes» ist nicht Jaëls einziges Baby – ihr Familienleben ist mindestens genauso lebendig wie das berufliche.

Zerbrochene Eier? Mach Crêpes!

Jaël ist Mutter von vier Kindern: Ronja Luna (22), Naijwa (19), Basil (14) und Elin (7). Die drei älteren stammen aus einer früheren Beziehung, das jüngste Kind hat sie mit ihrem heutigen Partner Peter, mit dem sie seit neun Jahren zusammenlebt. «Wir sind eine kunterbunte Patchworkfamilie und leben, bis auf Ronja Luna, die schon auf eigenen Füssen steht, alle unter einem Dach.» Das perfekte Familienidyll gäbe es zwar nicht, dennoch fühlt sich Jaël im Grunde sehr entspannt.

Dreamteam: Jaël Schüle und Mirjam Zimmermann

Begonnen hat alles mit einer Bratpfanne, einem Schwingbesen und vielen verquirlten Eiern: Mit ihrem damaligen Lebenspartner reiste Jaël durchs Land, um an Hippiefestivals Crêpes zu verkaufen. Mit Erfolg: Bald musste ein Crêpe-Eisen angeschafft werden, doch inzwischen hatte der Ex-Partner keine Lust mehr auf die Eierspeise, also machte Jaël für eine Weile allein weiter. 2013 kam Mirjam Zimmermann ins Spiel. Eine gemeinsame Saison reichte, um zu merken, dass sie fortan gemeinsame Wege gehen wollten.

Mit grossem gegenseitigem Vertrauen und Freude am Zusammenspiel gründeten die beiden eine GmbH und wagten den nächsten Schritt. Der Wunsch nach einem stilvollen Oldtimer-Büssli erfüllte sich überraschend, als Mirjams Vater einen solchen entdeckte. Der Bus war bald gekauft – und der Grundstein für die Crêperie gelegt. Dann kam die städtische Ausschreibung für den Standort am Lindli – und das «Lunas» wurde Realität. Seit 2014 führen die Frauen das Bistro als gleichwertige Inhaberinnen mit viel Herzblut. Ihre gute Chemie prägt nicht nur das Arbeitsklima im engen Bus, sondern schafft auch für Gäste einen Ort, an dem sich alle willkommen fühlen.

Das war aber nicht immer so: «Wie eine Katze habe ich schon mehrere Leben gelebt – mindestens zwei. Und das vorherige war ziemlich anstrengend.» Der Wunsch nach dieser «heilen Welt» kommt also nicht von ungefähr: «Nach einer komplizierten Trennung von Reto, dem Vater meiner ersten drei Kinder, war ich auf der Suche nach einem stärkenden Ort, wo ich mich wohlfühlen und die Seele baumeln lassen konnte.» Zwar waren die ersten verkauften Crêpes noch mit Reto entstanden, doch dann war es Mirjam Zimmermann, mit der sie den Traum vom Eigenen schliesslich verwirklichte und diesen «wohligen Ort» schuf. «Ich nenne sie liebevoll meine bessere Crêpe-Hälfte, weil unsere jahrelange Freundschaft, stimmige Zusammenarbeit und Partnerschaft einfach ein riesiges Glück für uns beide sind», sagt Jaël.

Mit vereinten Kräften

Ohne die Hilfe von aussen hätten sie es aber nicht bis hierher geschafft, erinnert sich Jaël: «Besonders als meine Kids noch kleiner waren, sprangen oft unkomplizierte Nachbarinnen, Freunde und Familienmitglieder ein, um zu hüten.» Heute gehen die beiden jüngsten an den Mittagstisch, einmal pro Woche übernimmt die Grossmutter. Abends, wenn es bei Jaël später wird, an den Wochenenden und jeden Dienstag kümmert sich Peter um den Nachwuchs. «Klar bin ich dankbar, dass ich nebst einem engagierten Lebenspartner ein starkes soziales Netzwerk habe, aber dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie davon abhängt, regt mich auf, schliesslich haben nicht alle dieses Glück!» Es brauche endlich politische Lösungen und einheitliche Strukturen. «Ich selbst fühle mich als Mutter, Partnerin – und als Mensch – jedenfalls ausgeglichener, wenn ich mehreren Aufgaben nachgehen darf.

Vertrauen und Verantwortung

Zur Bewältigung all dieser Aufgabengebiete, als Mutter, Geschäftspartnerin und als Chefin, hilft Jaël ein inneres Bild: «Statt mir vorzustellen, dass ich mit fünf Bällen jongliere, stelle ich mir meine Aufgaben in Schubladen vor. Das ist weniger anstrengend», erklärt sie. «Diese kann ich nämlich schliessen, wenn ich mich gerade auf etwas anderes konzentrieren muss – und so fällt auch keine Socke ins falsche Fach.» Die zentralen Elemente zur Meisterung ihres Familien- und Arbeitsalltags sind ausserdem Vertrauen, Flexibilität und das Abgeben von Verantwortung. «Chaotisch kann es überall werden: Ob im Bistro jemand ausfällt, ein Kind plötzlich Fieber hat und Betreuung braucht oder eine Schulstunde ausfällt – ich habe gelernt, flexibel zu bleiben und daran zu glauben, dass ­alles gut kommt!»

«Wenn ich meiner jüngsten Tochter abends aus einem Buch vorlese, schenke ich mir damit selbst die ­nötige Zeit, um abzuschalten.»

Jaël Schüle, Mitgründerin und -inhaberin von «Lunas Crêpes» und Mutter von vier Kindern.

Was ihr ausserdem helfe, sei das Abgeben von Verantwortung. «Wir planen den Betrieb inzwischen zu viert und können uns komplett aufeinander verlassen. Durch die Inputs der anderen erkenne ich eher, falls ich mich verrannt habe. Was fürs Team gilt, gilt auch zu Hause: Vertrauen schenken, lernen loszulassen und mal Verantwortung abgeben. «Das ist manchmal schwer, aber es ist wichtig, damit die Kinder sich zu selbstständigen Menschen entwickeln können.

Smartphone_Zahltag
 
Alle Inhalte aus dem Zahltag-Newsletter finden Sie hier.

Und dann gibt es da noch diese besonderen Momente – am Abend, nach einem langen Tag. Wenn sie ­ihrer jüngsten Tochter im Bett eine ­Gutenachtgeschichte vorliest. «Ich würde mich sonst vermutlich gar nie hinlegen und ein Buch lesen. Aber so komme auch ich zur Ruhe, tauche in eine Geschichte ein und merke, wie kostbar diese Zeit ist.» Es sind die Kinder, sagt Jaël, die sie immer wieder daran erinnern, sich auch selbst eine Pause zu gönnen, und wertzuschätzen, dass man an diesem wohligen Ort angekommen ist.

Der Schaffhauser Wirtschafts-Newsletter

Erhalten Sie jeden Freitag unseren Newsletter «Zahltag».

Mit der Anmeldung akzeptieren Sie unsere AGB und Datenschutzerklärung.

 

Ein Engagement für die Region von:

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren