Geplatzter Deal, geplatzte Träume? Wie Struktur die Wachstumsstrategie unterstützt

Louise Østergaard | 
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Marco Malaguti, Mitgründer des Tech-Start-ups MUV Digital AG versteckt sich nicht mehr hinter dem Bildschirm. Bilder Pixabay und zVg

Ein geplatzter Deal drohte, den Start-up-Traum von MUV Digital zu zerstören. Doch anstatt aufzugeben, nutzten die Gründer das Scheitern als Chance zur Weiterentwicklung. Mit deutlichen Strukturen und frischem Mut arbeiten sie heute daran, ihr Unternehmen Schritt für Schritt zum Erfolg zu führen.

«Endlich hatten wir den ganz grossen Deal an Land gezogen, der uns finanzielle Freiheit versprach! Es schien, als hätten wir es geschafft», sagt Marco Malaguti, Mitgründer des Tech-Start-ups MUV Digital AG. Offen und ehrlich spricht er über die emotionale Achterbahn des zweiten Gründungsjahres – über einen geplatzten Riesendeal und die darauffolgenden Unsicherheiten und Ängste.

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«Es gehört zur Realität, dass ein Deal platzt oder ein Kauf nicht zustande kommt. Aber die Enttäuschung, die man als Unternehmen dabei erlebt, ist genauso real.»
Marco Malaguti, Mitgründer MUV Digital AG

Der Mitgründer erklärt aber auch, warum gescheiterte Projekte wichtige Lernchancen bieten und wie MUV Digital diese Erfahrung heute nutzt, um langfristig erfolgreich zu werden. «Eines vorweg: Es gehört zur Realität, dass sich Kunden oder Investoren zurückziehen, ein Deal platzt oder ein Kauf nicht zustande kommt. Aber die Enttäuschung, die man als Unternehmen dabei erlebt, ist genauso real», so Malaguti.

Die Lösung aller Probleme?

In der Gebäudetechnik soll die Digitalisierung benutzerfreundlicher und dadurch effizienter werden: Genau das hat sich das Start-up MUV Digital AG zum Ziel gemacht. Ihre Systemlösungen vereinfachen den Betrieb und die Wartung technischer Anlagen, indem sie alle relevanten Daten zentral bündeln. Aber auch clevere und innovative Lösungen können sich am Markt nur dann behaupten, wenn diese Lösungen Kunden finden und Investoren der Herstellerfirma vertrauen.

Drei Freunde – ein Start-up – viele Höhen und Tiefen

Das Schaffhauser Start-up MUV Digital macht Gebäudetechnik smarter – und vor allem zugänglicher. Die Plattform richtet sich an Serviceunternehmen, Energieberater und Immobilienbesitzer, die Anlagen effizienter und ressourcenschonender betreiben möchten. Auch Betriebe, die bisher mit einfachen Tools wie Excel arbeiteten, können schnell profitieren. Die Lösung ist günstig, schnell installiert und herstellerunabhängig. Über Sensoren und bestehende Systeme gelangen Daten in die Cloud, wo sie standardisiert, übersetzt und für alle Beteiligten verständlich aufbereitet werden. So wird die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Rollen rund ums Gebäude einfacher – von der Wartung bis zur Optimierung. Die Kunden von MUV sehen den Mehrwert darin, dass sie die Digitalisierung in ihren technischen Alltag bringt.

Ein konkretes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Schmid Hutter AG. MUV Digital integrierte ihre Lösung in die bestehenden Heizungs- und Lüftungssysteme des Unternehmens. Durch die kontinuierliche Überwachung von Betriebsdaten konnten Anomalien frühzeitig erkannt und Wartungsarbeiten proaktiv geplant werden. Dies führte zu einer Reduktion von Ausfallzeiten und einer effizienteren Nutzung der Anlagen.

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In dieser Hinsicht hatte zunächst alles vielversprechend ausgesehen. Nach einem arbeitsintensiven ersten Jahr, in dem das Start-up mutig an den Markt ging, an Sichtbarkeit gewann und erste Kunden akquirierte, schien im Frühjahr 2024 endlich der grosse Durchbruch bevorzustehen.

Warum Hoffnung keine Strategie ist

Ein grosser Player der Gebäudetechnikbranche zeigte Interesse an einer langfristigen Lizenzlösung zur Digitalisierung seiner gesamten Flotte. «Wir nennen sie anonymisiert die LAP AG: Die Löst-Alle-Probleme AG», sagt Malaguti augenzwinkernd. Nach ersten Gesprächen mit dem Grosskunden nahm der Deal schnell Fahrt auf – die Lösung, die MUV Digital anbot, passte exakt zur Strategie des potenziellen Partners. Ein Abschluss schien nur noch reine Formsache zu sein.

«Jetzt, wo uns die ganz Grossen wollten, fühlten wir uns in unserem Vorhaben bestätigt. Wir fühlten uns unbesiegbar!»

«Jetzt, wo uns die ganz Grossen wollten, fühlten wir uns in unserem Vorhaben bestätigt. Unsere Euphorie hielt den ganzen Sommer an – wir fühlten uns unbesiegbar!» Die damit verbundene finanzielle Absicherung hätte der MUV Digital AG ausserdem die Weiterentwicklung ihres Produkts ermöglicht und dringend benötigte Planungssicherheit geboten.

Vom Hochgefühl zum Sinkflug

«Doch dann kam die Ernüchterung: Nach wochenlanger Funkstille folgte überraschend die Absage. Der Kunde änderte seine Strategie und fand eine passendere Lösung; es hiess, die LAP AG wolle andere Wege gehen. Kurz: Der Vertrag platzte und plötzlich war alles, was sicher schien, wieder offen», sagt Malaguti. Was die MUV-Digital-Gründer zusätzlich verunsicherte, war, dass sie nicht bis ins letzte Detail wissen konnten, warum die Investition ins Wasser fiel. «Es fühlte sich an, als würden wir nach unserem sommerlichen Höhenflug in einen schwindelerregenden Sturzflug geraten.

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Wir spielten sogar mit dem Gedanken, alles hinzuschmeissen und in ein sicheres Angestelltenverhältnis zurückzukehren.» Für einen Moment, vielleicht Wochen oder gar Monate – gefühlt jedoch eine Ewigkeit – zerplatzte mit dem Deal auch die Hoffnung auf den ersehnten Durchbruch, wie eine Seifenblase. «Aber Hoffnung, das wurde uns schmerzlich bewusst, ist eben keine Strategie für den Erfolg», so Malaguti.

Gemeinsam mutig bleiben!

«Rückblickend hatte uns die Hoffnung gelähmt – bis die Realität uns einholte», sagt Malaguti. Den Gründern wurde deutlich, wie viel Zeit, Einsatz und Vertrauen nötig sind, um stabile Kundenbeziehungen aufzubauen. Gleichzeitig wurde die Gründerpartnerschaft auf eine harte Probe gestellt: Die Frage, wie es weitergehen soll, musste erst ausdiskutiert werden. «Schritt für Schritt fassten wir wieder Mut, Wille und Zuversicht, gleichzeitig zeigte sich, was in solchen Momenten wirklich zählt: Gemeinschaft, Partnerschaft und Freundschaft. Dass wir uns in schwierigen Zeiten als Team in die Augen schauen können, hat uns aufgebaut.»

Auch Mentoren, Investoren und das persönliche Netzwerk wurden in dieser Phase zu wichtigen Stützen, die im richtigen Moment viel bewirken konnten.

StartHub – Community für den Austausch

StartHub Schaffhausen ist eine Plattform und Community für Gründerinnen, Gründer, Unternehmer und Selbstständige in der Region Schaffhausen. Ziel des Vereins ist es, den Austausch zu fördern, Netzwerke aufzubauen und Wissen zu teilen. Mit regelmässigen Veranstaltungen wie Vorträgen, Workshops und Networking-Events bietet StartHub eine Bühne für Start-ups und junge Unternehmen, um ihre Ideen vorzustellen, Erfahrungen zu teilen und sich mit Investoren, Mentorinnen und anderen Unternehmern zu vernetzen.

Das Learning – ohne Struktur kein Wachstum

Da geplante Ressourcen nun fehlten, sodass der Vertrieb eine Weile brachlag, benötigte das Start-up einen klaren Plan. Dieser beinhaltete einen messbaren Vertriebsprozess, um aus ersten Kontakten zahlende Kundinnen und Kunden zu gewinnen – von der Ansprache über Beratungsgespräche bis hin zum Abschluss. «Heute wird deutlich festgelegt, wie viele potenzielle Kundinnen und Kunden angesprochen werden und wie viele Gespräche und Abschlüsse daraus entstehen sollen. Damit überlassen wir diese Schritte nicht dem Zufall, sondern gehen systematisch und anhand konkreter Ziele vor», erklärt Malaguti.

So entsteht ein sogenannter Vertriebstrichter, bei dem viele Interessierte oben hineingelangen und am Ende einige Kundinnen und Kunden gewonnen werden. Diese Herangehensweise hilft, Engpässe zu erkennen, das Team gezielt einzusetzen und den Erfolg messbar zu machen.

«Rückblickend hatte uns die Hoffnung gelähmt – bis die Realität uns einholte.»

Um den Prozess noch effizienter zu gestalten, führte die MUV Digital AG eine Software ein, um alle ihre Kontakte und Gespräche mit Interessierten und Bestandskunden zentral zu erfassen. Das erleichtert ihnen nicht nur die Zusammenarbeit im Team, sondern macht den gesamten Vertriebsprozess transparenter und planbarer.

Ein entscheidender Schritt: Wir müssen raus!

Gleichzeitig wurde den Gründern bewusst, dass sie selbst aktiver werden mussten. «Wir haben erkannt, dass wir selbst noch mehr rausgehen und unser Produkt persönlich verkaufen müssen – auch wenn wir IT-Nerds sind, die sich eigentlich lieber hinter dem Bildschirm verstecken», sagt Malaguti. Mit einem Produkt verkauft man schliesslich nicht nur eine Lösung, sondern auch ein Stück der eigenen Geschichte. «Stück für Stück bauen wir gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden eine Vertrauensbasis auf. Durch unser Tool können sie ihre eigenen Prozesse verbessern. Davon profitieren alle.»

Am Scheitern gewachsen – fit für die Zukunft

Heute steht MUV Digital wieder stabiler da. Der Fokus hat sich gewandelt: weg von reiner Neukundengewinnung hin zu langfristiger, vertrauensvoller Kundenpflege. «Wir nennen das intern: Think, Make, Check, Repeat», erklären die Gründer. Dieses Prinzip bedeutet, ständig Neues auszuprobieren, Feedback einzuholen, Prozesse anzupassen und wieder von vorne zu beginnen – immer mit dem Ziel, stabile und nachhaltige Kundenbeziehungen aufzubauen.

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Auch im Team hat sich einiges verändert. Malaguti hat sich aus der intensiven Softwareentwicklung zurückgezogen und investiert nun deutlich mehr Zeit in den direkten Kontakt mit Bestands- und Neukunden. «Das war ein Reifungsprozess», sagt er. «Wir alle sind heute viel näher am Markt. Das Scheitern hat uns nicht entmutigt, sondern unsere Sichtweise verändert. Wir haben gelernt, uns dem Wandel zu stellen und daran zu wachsen.»

Fünf Lektionen für Start-ups – Aus Fehlern klüger werden

  1. Mut entwickeln:
    In der Schweiz ist das Sicherheitsdenken stark verankert, und viele schrecken vor dem Schritt in die Selbstständigkeit zurück. Doch Mut lässt sich aufbauen – durch Vorbilder im Umfeld, durch Austausch mit Gleichgesinnten oder durch Communities wie den StartHub Schaffhausen. Wer sieht, dass andere es schaffen oder an Misserfolgen wachsen, traut sich eher selbst.
  2. Scheitern zulassen:
    Scheitern gehört zum Gründen. Rückschläge sind nicht das Ende, sondern oft Wendepunkte. Sie bieten die Chance, Geschäftsmodelle zu überdenken, Prozesse zu verbessern und persönlich zu wachsen. Unternehmer wie Alain Frei, Mitgründer von Amorana, zeigen: Aus Fehlern entstehen oft spätere Erfolge – manchmal erst beim 52. Versuch.
  3. Absicherung nicht vergessen:
    Das Schweizer System fordert Selbstständigen viel Eigenverantwortung ab – etwa bei der AHV, der individuellen Vorsorge oder bei Versicherungen. Viele unterschätzen den Aufwand oder schieben es auf. Frühzeitige professionelle Hilfe, zum Beispiel durch Treuhänder, kann langfristig vor finanziellen Engpässen oder rechtlichen Problemen schützen.
  4. Netzwerke aktiv pflegen:
    Ein starkes Netzwerk ist eine der wertvollsten Ressourcen für Selbstständige und Start-ups. Es erleichtert Kundenzugang, Investorenkontakte und Wissenstransfer. Wer sich vernetzt, profitiert vom Erfahrungsschatz anderer – und muss nicht jeden Fehler selbst machen.
  5. Mentoring suchen:
    Gerade in schwierigen Phasen helfen erfahrene Mentorinnen oder Mentoren weiter. Sie stellen kritische Fragen, geben ehrliches Feedback und begleiten durch strategische Entscheidungen. Mentoring ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen professioneller Weitsicht – und oft ein entscheidender Erfolgsfaktor.

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