Zwei Doyens, die Schweiz und die EU

Keine einfache Beziehung, und das seit Jahrzehnten: Wie es mit dem Verhältnis Schweiz–EU weitergehen soll, darüber debattierten Hans-Jürg Fehr und Christoph Blocher gestern Abend.
Beide sind sie Urgesteine der Schweizer Politlandschaft, beide sind sie national bekannt, und beide punkten sie mit scharfer Rhetorik: Christoph Blocher, SVP-Chefstratege, alt Bundesrat und alt Nationalrat (ZH), und Hans-Jürg Fehr, alt SP-Parteipräsident und alt Nationalrat (SH). Gestern Abend sind sie zum wiederholten Mal aufeinandergetroffen, um ein Thema zu diskutieren, das sie seit Jahrzehnten umtreibt: «Schweiz–EU – wie weiter?»
Es ist 19.30 Uhr in der gutbesuchten Rodenberghalle in Schlattingen. Lange Sitzbänke stehen in der Halle vor der Bühne, jeder Stuhl ist besetzt, der Lärmpegel entsprechend hoch.
Hitzige Wortgefechte
Bevor die beiden politischen Kontrahenten von Moderator David Angst, Chefredaktor der «Thurgauer Zeitung», auf die Bühne gebeten werden, ein Blick zurück ins Jahr 1992, als die Schweiz darüber abstimmte, ob sie dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten soll. 50,3 Prozent der Stimmberechtigten sagten damals bekanntlich Nein – und ein Mann durfte sich als Sieger feiern lassen: Blocher, der den Abstimmungskampf quasi im Alleingang geführt hatte. Später am gestrigen Abend bezeichnet er das EWR-Nein denn auch als «wichtigste Abstimmung des letzten Jahrhunderts». Seit seinem EWR-Triumph hat sich Blocher auf seine Fahne geschrieben, den «schleichenden EU-Beitritt» zu verhindern. Im vergangenen September ist die Volksinitiative der SVP zu den «Fremden Richtern» formell zustande gekommen, welche das Schweizer Recht vor das EU-Recht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellen will.
«Gar nichts» von dieser Initiative hält Fehr, wie er gestern in Schlattingen deutlich macht. Er und Blocher haben als Einstieg je 20 Minuten Zeit, zuerst separat ihre Sicht des künftigen Verhältnisses Schweiz–EU zu skizzieren, anschliessend debattieren sie dann gegeneinander.
Zusammen mit der SP kämpfte Fehr 1992 für ein Ja zum EWR, als «Etappenschritt hin zu einem vollen EU-Beitritt». Der politische Preis für den bilateralen Weg sei allerdings hoch: Die Schweiz übernehme, so Fehr gestern, bei den Bilateralen seit jeher Europäisches Recht. Hat Fehr also doch Sympathien für die «Fremde Richter»-Initiative der SVP? Mitnichten: «Eine Studie der ETH hat zwischen 1990 und 2010 780 Gesetze angeschaut. Fazit: In fast der Hälfte davon hat die Schweiz EU-Recht übernommen. Freiwillig. Ohne Zwang», sagt Fehr. Das gehe von den Warnhinweisen auf den Zigarettenpäckli bis hin zum Kindersitzobligatorium im Auto. Das «Geschrei» über fremde Richter, das die SVP aktuell vollziehe, sei also völlig lächerlich und masslos übertrieben.
In starkem Kontrast dazu steht das Referat von Blocher. Während Fehr meist ruhig referiert, gestikuliert Blocher immer wieder wild und wählt einfache Botschaften. «Herr Fehr hat gesagt, die Schweiz wolle ein neues Rahmenabkommen mit der EU. Ich frage: Wer will das? Wer? Höchstens die in Bern, damit sie gleich werden können wie die EU», sagt Blocher. Dies aber hätte laut Blocher nur zur Folge, dass die Schweiz mehr fremdes Recht übernehmen müsste. «Wenn zwei einen Vertrag unterschreiben und sie bekommen Streit: Ist es dann richtig, dass nur einer – nämlich die EU und der EuGH – entscheiden kann?», fragt er rhetorisch. Die EU mache das übrigens nicht, weil sie böse sei, sondern weil sie eigene Interessen verfolge. Blocher: «Davor warne ich. Wir haben auch Interessen. Die Schweiz muss selber über ihr Recht bestimmen können. Sonst geht es ihr schlecht.»
In der nun folgenden Diskussion der beiden geht es schon nach wenigen Minuten sehr lebhaft zu und her, einig werden Blocher und Fehr sich dabei, wenig erstaunlich, nicht. Da drängt sich die Frage auf: Mögen sich die beiden Doyens eigentlich? Hier finden beide deutliche Worte: «Blocher ist politisch gesehen ein Unglück für die Schweiz», sagt Fehr den SN. Blocher meint: «Ach, die Demokratie braucht verschiedene Meinungen», um dann grinsend nachzuschieben: «Also ein Liebesverhältnis haben wir nicht.» Immerhin: Beide attestieren dem anderen Respekt vor seinem Einsatz für die Demokratie.