Wo Ben-Gurions Traum Wirklichkeit ist

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Die Wüste zum Blühen bringen, nichts Geringeres als das wollen die Verantwortlichen des CyberSpark in der süd-israelischen Stadt Beerschewa. Ein moderner Gebäudepark lockt denn auch Investoren aus aller Welt in dieses Pendant des Silicon Valley – hier arbeiten Studenten gleich neben der Industrie, der Regierung und der Stadtverwaltung.

VON SUSANNE KNAUL, BEERSCHEWA

Hinter den Bürohäusern des CyberSpark von Beerschewa fängt die Wüste an. Hier wird an der Technik von morgen geforscht, dort leben Beduinen wie ihre Vorväter. Die Wüste zum Blühen zu bringen, war einst Traum von David Ben-Gurion, Israels erstem Regierungschef. Nicht Orangenplantagen, sondern ein moderner Technologiepark, Grossraumbüros und Computerfreaks locken nun die Investoren nach Beerschewa, die Hauptstadt von Israels Negew. Regierung, Stadtverwaltung, Universität und Industrie arbeiten Hand in Hand am nationalen Cyberprojekt. Silicon Valley lässt grüssen. Hunderte Unternehmen aus aller Welt, darunter die Telekom, IBM und Lockheed Martin, finanzieren schon jetzt Forschungen der Ben-Gurion-Universität und sichern sich damit die Rechte an den Ergebnissen.

Viel Bewegung in nächsten Jahren

Ganz gross losgehen soll es, wenn das Armeehauptquartier und mit ihm rund 15 000 junge Israelis, die ihren Militärdienst am Computer leisten, von Tel Aviv in den Negew umziehen, was innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre passieren soll. «Beerschewa wird nicht nur Cyber-Hauptstadt Israels sein, sondern einer der wichtigsten globalen Standorte für die Cybersicherheit», frohlockt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Roni Zehavi, Direktor von CyberSpark, fiebert der Ankunft der Soldaten entgegen. «Die israelische Armee bietet weltweit das grösste Per­sonalangebot für die IT-Industrie», erklärt er. Jedes Jahr hängen zwischen 1500 und 2000 topgeschulte Computerfreaks ihre Uniform an den Nagel, hungrig danach, ihre Erfahrungen zu Geld zu machen. Hoch im Kurs stehen vor allem die Alumni der legendären Spionageeinheit 8200 (acht zweihundert), der heute grössten Militäreinheit. Vorbei sind die Zeiten der vor Muskeln strotzenden Nahkampfmaschinen. Hoch lebe der Mathe-Nerd.

Suche nach Sonderbegabten

Schon an den Mittelstufen sieht sich das Verteidigungsministerium nach Sonderbegabten um und lockt sie zur Teilnahme an Programmierkursen. Staatlich finanziert ist auch das Programm «Magschimim» für 16- bis 18-Jährige aus der Peripherie, von denen die meisten nach dem Abitur beim militärischen Nachrichtendienst landen. Wer einmal auf dem rechten Gleis ist, geht nicht mehr unter. «Magschimim», so erklärt Zehavi, ziele darauf ab, «das Niveau von vielen zu erhöhen und so den Bestand von Leuten mit Potenzial zu vergrössern». Anschliessend «siebt die Armee unter den rund 80 000 Rekruten jährlich aus».

Der militärische Abwehrdienst holt sich die Besten und schult sie unter Bedingungen, die nur die Armee bieten kann. Den jungen Leute «stehen modernste technische Voraussetzungen zur Verfügung, und sie arbeiten unter Bedingungen, wo sie Verantwortung übernehmen und hohe Belastungen aushalten müssen», erklärt Zehavi. «Es geht um Teamwork und Widerstandsvermögen» und nicht selten um Entscheidungen über Leben und Tod. Die Alumni der 8200 spielten im Vergleich zu «den Absolventen der Uni in Boston in einer völlig anderen Liga».

Israels Vorsprung in der Cyber-­Security ist aus der Not geboren, dem Feind «in jedem Bereich mehrere Schritte voraus zu sein», bringt es Armeesprecher Arye Shalicar auf den Punkt. 8200 sei nur eine der nachrichtendienstlichen Einheiten. «Die meisten kennt man gar nicht, aber in jeder dienen wirklich kluge Köpfe, die mit grosser Motivation kommen und während ihrer Dienstzeit auch sehr gefordert werden.» Der Pflichtdienst dauert für Männer drei, für Frauen zwei Jahre. In den Einheiten der militärischen Abwehr bleiben viele länger und lassen sich als Berufssol­daten von der Armee parallel zum Dienst eine akademische Ausbildung finanzieren.

Die Universitäten freuen sich über Studenten, die Erfahrungen mitbringen. «Cybersicherheit ist an der Uni allein nicht vermittelbar, schon gar nicht, wenn es um den Schutz gegen tech­nologisch fortgeschrittene Attacken geht», sagt Professor Yuval Elovici, Chef der Cybersicherheit-Labore an der Ben-Gurion-Universität, die Cybersicherheit als Magisterstudium anbietet. Viel mehr Sinn, so der IT-Dozent, ergebe die akademische Ausbildung, wenn die Studenten die Praxis kennengelernt haben. Armee, Akademie und Industrie schieben sich die klugen Köpfe gegenseitig zu.

Laut Bericht der Wirtschaftszeitung Globes sind zwischen Januar und September rund 4 Milliarden Dollar in israelische IT-Projekte geflossen. «2016 wird für die lokale High-Tech-Industrie ein Rekordjahr werden», vermutet das Blatt. CyberSpark-Chef Zehavi meint, dass «mehr als 20 Prozent aller privaten Investitionen im Bereich der Cyber-Security in israelischen Projekten landen». Im letzten Jahr verkauften die Jungunternehmer Liran Tancman und Shlomi Boutnaru, beide Absolventen von 8200, ihr gerade 18 Monate altes Start-up an den Internet-Giganten Paypal. CyActiv war anfangs von Siemens gesponsert worden und soll laut Website «Viren entschärfen, noch bevor sie überhaupt existieren». Dem Kauf des jungen Unternehmens folgend liess sich Paypal mit einem neuen Entwicklungszentrum in Beerschewa nieder.

Staat fördert Branche

Bei solchen Geschäften kassiert der Staat mit, schon deshalb tut er gut daran, die Branche zu fördern. Nach Informationen des Aussenamts investiert Israel nicht weniger als 4,9 Prozent des Bruttosozialprodukts in die Forschung und Entwicklung (R&D) und stehe damit unter den Ländern der OECD vorn. Federführend ist das Nationale Cyber-Büro, das unmittelbar dem Ministerpräsidenten unterstellt ist. «Die Stärkung der Verteidigung und der Aufbau nationaler Stärke im Cyberbereich» ist eins der erklärten Ziele, so lehrt die Webseite.

Rami Efrati war jahrelang Chef des Nationalen Cyber-Büros, bevor er mehrere eigene Firmen gründete, zuletzt die Firmitas. «Changing the face of communication security», so lautet der Slogan seines Start-ups, das neue Lösungen zum Schutz moderner Kommunikation verspricht. «Die Armee erkennt Gefahren, lange bevor der zivile Markt sie auch nur erahnt», sagt Efrati, der selbst 28 Jahre beim militärischen Abwehrdienst war. Mehr als 450 Firmen befassten sich derzeit mit Cyber­sicherheit.

Anstelle von bedingungslosem Gehorsam und Klappe-halten-Müssen, wie es beim Militär oft üblich ist, motiviere die israelische Armee die Soldaten zum Mitdenken und dazu, Initiative zu entwickeln. «Ein Gefreiter kann Ideen einbringen, sein Kommandant hört ihm zu und nimmt ihn ernst.» Das «Out of the box»-Denken, einer augenscheinlichen Logik zuwider und anders als alle anderen, ist für Efrati eins der Geheimnisse von Israels grossem Erfolg. «Ich glaube nicht, dass die israelische Technologie die beste weltweit ist», sagt der heute 66-jährige Unternehmer. «Die meisten kaufen sowieso lieber Produkte aus dem eigenen Land. Aber wenn man etwas Besonderes sucht, dann ist Israel eine gute ­Adresse.»

Man kennt sich

Kaum zwei Jahre existiert die in Kfar Saba, unweit von Tel Aviv, an­gesiedelte Firmitas und beschäftigt heute schon 23 Mitarbeiter. «Wir wachsen schnell», sagt Efrati, der sich, wenn er neue Leute einstellt, bisweilen mit seiner alten Einheit berät. «Wenn ein Bewerber sagt, er kommt von 8200, dann rufe ich dort an und frage nach, wie er im Team arbeitet, ob er Projekte leiten kann und Stress aushält.» Umgekehrt sei bei der Job­suche günstig, dass Israel so ein kleines Land ist, wo fast jedem jede Tür offenstehe, ganz anders als in den USA. «Don’t call us, we’ll call you», hiesse es dort (übersetzt: ruf uns nicht an, wir rufen Dich an), «wenn ich mit dem Generaldirektor von Intel sprechen will, der natürlich niemals zurückruft», lacht Efrati. «Hier treffe ich ihn vielleicht morgen schon beim Reservedienst.» Die Israelis seien frech, was sich bei der Vermarktung wie bei der Entwicklung zeige. «Wir haben keine Angst zu versagen, sondern prüfen, wo der Fehler lag, und fangen von vorn an.»

Mit viel Chutzpe machten 1998 vier israelische Schulaussteiger und ihre Firma Mirabilis Schlagzeilen, als sie ihren Instant-Messaging-Dienst ICQ (I seek you, zu deutsch: ich suche Dich) für über 400 Millionen Dollar an AOL verkauften und damit eine Welle auslösten von jungen Israelis, die in die IT-Branche strömen, um es ihnen nachzumachen. Den Rekord dürfte vorläufig Waze halten. Die Navigations-App, die mithilfe von Schwarm­intelligenz Autofahrer vor Polizeikon­trollen und Staus warnt, ging laut Bericht von Wall Street Journal vor drei Jahren für über eine Milliarde Dollar an Google.

Die Soldaten im Reservedienst helfen sich gegenseitig. Im Club der 8200-Alumni beraten erfahrene Unternehmer den Nachwuchs beim Einstieg ins Arbeitsleben. Zehavi hofft, dass bedingt durch den Umzug des zentralen Armeequartiers nach Beerschewa möglichst viele militärisch geschulte Fachkräfte in der Stadt bleiben. «Man muss nicht unbedingt hier wohnen», räumt er ein.

Schnellstrasse und Zugverbindung

Beerschewa kommt dem Rest des Landes näher. Seit drei Jahren gibt es eine Zugverbindung von Haifa via Tel Aviv und die Kvisch 6, eine Schnellstrasse, die Autofahrern nach Norden Geld kostet, Richtung Beerschewa vorläufig aber noch umsonst ist. Ob Ben-Gurion sich so die blühende Wüste vorgestellt hat? «Genau so», sagt Zehavi. «Ben-Gurion hatte drei Dinge vor Augen, um den Zionismus zu realisieren: akademische Forschung, das jüdische Hirn und die Armee.»

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