Plötzlich wird alles infrage gestellt

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Das hält man doch im Kopf nicht aus: Joachim Löw kann die schlechten Leistungen seiner Spieler nicht fassen. Bild: Key

Nach dem Aus in der Gruppenphase der WM reiste Deutschland aus Russland ab. Auch wegen der Art des Scheiterns drängt sich ein Umbruch auf. Die Position von Trainer Joachim Löw wackelt.

von Jonas Schneeberger

fussball.Ein letztes Mal nächtigte das deutsche Nationalteam vor der gestrigen Heimreise in seiner WM-Unterkunft von Watutinki. Wenig überraschend war es eine kurze, unruhige Nacht. Selbst die Unterkunft, die sonderbare Sportschule, machten die heimischen Beobachter nun als einen der Gründe für das erstmalige Scheitern der DFB-Elf in der Gruppenphase einer WM aus. Die für die gehobenen Ansprüche der Fussballmillionäre recht schlichte Einrichtung habe sich nicht als der geeignete Ort erwiesen, um das Team neu zu kitten, befanden die Experten des ZDF.

Natürlich gab es wesentlichere Faktoren für den historischen Absturz. Vieles kam in den letzten Monaten zusammen: Die Bayern-Fraktion rückte schlecht gelaunt ins WM-Camp ein und fand im Kreis des Nationalteams nicht aus dem Stimmungstief. Den Weltmeistern von 2014 fehlte der letzte Biss, und mit den Rücktritten von Philipp Lahm, Per Mertesacker, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose war nach Brasilien ein zentrales Gerüst weggebrochen. Die Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan störte das Binnenklima und setzte insbesondere Ilkay Gündogan spürbar zu, aus München sorgten Aussagen über Jérôme Boatengs Zukunft für Irritationen. Das alles gipfelte in einem ungewohnt lahmen, zusammenhangs- und ideenlosen Spiel.

Ein Scheitern mit Ansage

Rückblickend und angesichts der seit dem Jahreswechsel konstant durchzogenen Leistungen mit nur zwei mühevollen Siegen aus neun Spielen war es ein Scheitern mit Ansage. In diese Richtung deuteten auch die Aussagen der Spieler und zielten die deutschen Zeitungen am Tag nach der «Schande von Kasan» («Die Welt»), dem 0:2 gegen Südkorea. «Das letzte gute Spiel zeigten wir im Herbst 2017», brachte es Mats Hummels auf den Punkt.

Die «Süddeutsche Zeitung» kommentierte: «Es wird in den nächsten Tagen viel um die Aufarbeitung dieses Spiels gehen, das letztlich eine pointierte Zusammenfassung der Deutschen bei diesem Turnier war. Sie spielten behäbig, sie waren nicht überraschend, sie waren berechenbar.»

Ein grösserer Umbruch scheint nach der Entwicklung in den letzten Monaten unausweichlich. Für die «Berliner Morgenpost» bedeutete Kasan das «Ende einer Ära». Eine Regionalzeitung aus Passau formulierte ihre Eindrücke so: «Die Entwicklungskurve vieler Spieler hat ihren Zenit überschritten. Die WM-Qualifikation gegen B- oder C-Gegner hat das Bild verfälscht.» Für den zuletzt fehleranfälligen und oft körperlich angeschlagenen Sami Khedira (31) und für Mario Gomez (32) dürfte künftig kein Platz mehr sein im Nationalteam. Sogar für Boateng und Mesut Özil (beide 29) könnte es eng werden

Von der Kritik blieb auch Joachim Löw nicht verschont. Dem Bundestrainer wird vorgehalten, zu sehr und zu lange an verdienten Spielern festgehalten zu haben. «Er hat zu viele Warnzeichen ignoriert», befand die «Berliner Morgenpost». Die «Berliner Zeitung» schrieb von unangenehmen Debatten, die auf das Team zukämen, und meinte: «Klar, dass die Diskussion auch Joachim Löw erreichen wird.» Auch dass Löw auf die Qualitäten von Leroy Sané verzichtete, macht ihn angesichts der bloss zwei WM-Treffer angreifbar. Löw liess seine Zukunft im Moment der Enttäuschung offen. Vor dem Turnier hatte er seinen Vertrag noch bis 2022 verlängert. Nun beschäftigt er sich nach zwölf Jahren mit Rücktrittsgedanken, der Verband analysiert die Situation. (sda)

 

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