Wie unsere Hitze-Helden den Ernstfall proben: Wir haben bei einer «Rettungsaktion» mitgemacht

Zuletzt wurde die Feuerwehr Schaffhausen vermehrt für grosse Einsätze aufgeboten. Doch wie bereiten sich unsere Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen eigentlich auf den Ernstfall vor? Die SN haben bei einer Übung mitgemacht und sich zusammen mit ihnen in düstere Keller hinab gewagt.
Auf einmal sitzen wir im Dunkeln. Einzig die Taschenlampe am Feuerwehrhelm wirft einen schmalen Lichtkegel. Maschinenlärm dringt an meine Ohren, jetzt auch noch das Geheul von Sirenen, welche beide den Funkspruch überlagern. Den akustischen Widrigkeiten trotzend, versuche ich, die entscheidenden Worte herauszufiltern. Ich verstehe knapp: «Trupp Weber». Ich verstehe: «Trupp Stucki abgelöst». Und jetzt: «Trupp Weber ist über ein Fenster in ein Treppenhaus eingestiegen.»
Mein Kollege und ich sitzen abseits und müssen die Truppe bei ihrer Suchaktion überwachen. Wie viele Leute sind gerade in der Flammenhölle unterwegs? Befinden sich noch welche im Untergeschoss? Und vor allem: Wie viel Sauerstoff ist in ihren Atemgeräten? Das alles müssen wir – altmodisch mit Bleistift – auf eine Liste kritzeln. Im Gebäude ist der Sauerstoffgehalt auf unter zehn Prozent abgesunken, wegen der halb abgebrannten Möbel mischt sich Kohlenmonoxid in die Luft. Die Sauerstoffzufuhr darf niemals abbrechen, sonst wird die Truppe prompt das Bewusstsein verlieren.

Ich verstehe jemanden «Antworten», «Verstanden» und dann «270» sagen. Der Druck in den Pressluftflaschen ist immer noch normal, die Überlebensfähigkeit der Truppe gewährleistet. Das kann ich jetzt in der Tabelle mit der Überschrift «Weber» vermerken. Als ich etwas von «Trupp Reinhard» (oder «Bernhard»?) höre, blicke ich in Richtung Kollege Cédric Bruderer. War «Reinhard» jetzt schon drin, oder ist er gerade zugestiegen?
Bis zu drei Trupps müssen wir gleichzeitig überwachen. Und das ist bei diesem Heidenlärm nicht ganz einfach! Plötzlich ertönt ein Pfeifton: Ein Trupp hat sich fünf Minuten lang nicht gemeldet. Jetzt muss nachgehakt werden, ob die Leute noch auf den Beinen sind (falls der Funk nicht mehr funktioniert, mit dreimaligem Hupen eines Horns).
Es kann ziemlich stressig sein bei der Feuerwehr. Ich bin froh, als der Übungsleiter die grossen Lautsprecher im Büro des Feuerwehrzentrums Schaffhausen abstellt und das Licht wieder anknipst. Nicht alles haben wir richtig gemacht, erklärt uns Korporal Frank Lang. Aber zumindest erstickt wäre die von uns überwachte Truppe wahrscheinlich nicht.
«Zumindest erstickt wäre die von uns überwachte Truppe nicht.»
Bei 250 Grad ist Schluss
Weiter geht es an diesem Dienstagabend mit einer selbst ausgeführten Rettungsaktion (und mit der Erkenntnis, dass der Feuerwehrhelm mit der Zeit doch etwas auf die Schultern drückt). Unsere Mission: Ein Kind steckt in einem Keller fest und muss schleunigst gefunden werden. Korporal Matthias Lienhard lässt uns dafür zuerst einmal die «WBKs» holen, die Wärmebildkameras, die in einigen, aber nicht in allen Einsatzfahrzeugen zu finden sind. Was dem menschlichen Auge entgeht, leuchtet auf diesen Bildschirmen in verschiedenen Farbabstufungen auf.
So kann man auf der Suche nach Menschen ohne Weiteres auch durch Dunkelheit oder Rauch blicken. Oder in einer Pause Tic-Tac-Toe spielen. Die Geräte sind so empfindlich, dass selbst Reibungswärme einige Sekunden erkennbar bleibt; so kann man mit einem Schuh vier Linien auf den Boden zeichnen und dann schnell seine Kreuze und Kreise setzen. «Tic-Tac-Toe für Fortgeschrittene», nennt das Kommandant Peter Müller. Für ein Spiel reicht es nicht ganz, denn meine Kollegen bewegen sich schon in Richtung Einsatzgebiet.
Im pechschwarzen Keller dürfen wir nur durch die Wärmebildkamera schauen, von denen keine mehr als drei Knöpfe hat. Dem SN-Journalisten fällt die Aufgabe zu, das vermisste Kind aufzufinden, während die anderen sich nach verschiedenen Gegenständen umschauen. Während die Kollegen als farbige Schemen gut sichtbar bleiben, lassen sich Distanzen in dieser Grau- und Schwarzwelt nur noch schwer einschätzen. Prompt stosse ich mit dem rechten Fuss gegen einen Pfeiler, den ich so nahe nicht vermutet hätte.

Was dagegen sofort auffallen und auf dem Gerät in tiefem Rot erscheinen würde, wäre die Maximaltemperatur, bei der ein Einsatz gerade noch denkbar wäre. Mehr als 250 Grad an der Decke dürfen es auf Dauer nicht sein, ansonsten versagt die Schutzkleidung. Ein Hilferuf! Mit dem antrainierten «Würfelblick» bewege ich mich in seine Richtung, versuche die ganze graue Schemenwelt, von links bis rechts, von oben bis unten, stets im Blick zu behalten. Tatsächlich taucht, ich muss sehr tief schauen, unter einem Bett ein kleiner, mit Farbe gefüllter Umriss auf. Mission erfüllt!
«Man wächst schnell zusammen, wenn man sich unbedingt aufeinander verlassen muss.»
Ein blinder Tausendfüssler
Auf zum nächsten Posten. Hier üben wir, einen Raum restlos und gründlich abzusuchen. Natürlich ist er wieder dunkel, so wie sich das gehört. Um das auch im kompliziertesten Labyrinth sicherzustellen und danach wieder herauszufinden, gibt es zwei einfache Vorgehensweisen. Wachtmeister Martin Thamm schärft sie uns ein: «Eingeschlagene Richtung beibehalten». Entweder man biegt immer links oder immer rechts ab – so kann man sich quasi seinen eigenen Ariadnefaden spinnen. Zum Feuerwehrhelm, an dessen Gewicht ich mich gewöhnt habe, kommt nun ein 15 Kilogramm schweres Atemschutzgerät hinzu. Ebenfalls bekommen wir einen Stab, die Kollegen nennen ihn den «Blindenstock», mit dem sich der eigene Suchradius erweitern lässt.
«Entweder man biegt immer links oder immer rechts ab – so kann man sich quasi seinen eigenen Ariadnefaden spinnen.»
Zusammen mit den Kollegen klinke ich mich an ein Seil, das ein Zusammenbleiben der Truppe garantieren soll. Um das Ganze noch herausfordernder zu machen, müssen alle eine Brille aufsetzen, welche die Sicht fast ganz benimmt. Links der Wand entlang vorwärtsgezogen, ertaste ich mit meinem «Blindenstock» das Terrain und stosse so auf diverse Gegenstände, die ich allerdings nicht länger untersuchen kann. Der Kollege ganz vorne will vorwärtsmachen. Es gibt auch hier irgendwo eine Person zu retten.

Ein wenig wie ein menschlicher Tausendfüssler arbeiten wir uns voran, schlängeln uns um Kisten, Röhren und andere schwer zu definierende Gegenstände. Obschon ich kaum eine Stunde mit den Kollegen unterwegs bin, fühle ich schon jetzt eine starke Verbindung. Man wächst schnell zusammen, wenn man sich unbedingt aufeinander verlassen muss. Es ist eine Art der Kameradschaft, für die man im Arbeitsleben kaum eine Entsprechung findet. Beherzt vom Blindenstock angestossen, rührt sich eine Rolle am Boden – und gibt sich als die von uns gesuchte Person zu erkennen. Dass ich mich im Seil verheddere, als der Tausendfüssler darauf den Rückwärtsgang einlegen soll, verzeihen mir die Kollegen.