Neue Gästeführer braucht die Stadt

Saskia Baumgartner | 
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Babis Bistolas (r.) referiert vor der Klasse. Er ist einer von acht angehenden Stadtführern. Ebenfalls eine Ausbildung zum Gästeführer machen Barbara Aversa Frehner (2. v. r.), Walter Vogelsanger (Mitte) und Peter Baumer. Ganz links im Bild ist Lehrer Martin Harzenmoser. Bild: Michael Kessler

In der Stadt Schaffhausen werden die Gästeführer knapp. Darum bildet Schaffhauserland Tourismus erstmals seit zehn Jahren neue Anwärter aus.

«Für kommendes Mal habt ihr den Auftrag, drei Witze zu erzählen», sagt Martin Harzenmoser. Die Hausaufgabe, die er seinen Schülern gibt, ist ernst gemeint. «Mindestens schmunzeln» müsse der Rezipient beim Hören der Witze, fordert Harzen­moser.

Es ist Samstagvormittag, oberste Etage des Hauses der Wirtschaft. Seit Herbst unterrichtet Harzenmoser hier regelmässig acht Männer und Frauen, die Stadtführer oder Stadtführerin in Schaffhausen werden möchten. Humor, sagt der Historiker, gehöre zu einer Stadtführung einfach dazu. Und mittels Witzen und Anekdoten lerne man, Geschichten auf den Punkt zu erzählen. Harzenmoser muss es wissen: Lustige und zeitweise auch etwas absurde Anekdoten sind seit 20 Jahren fester Bestandteil seiner szenischen Nachtwächter-Führungen in der Stadt Schaffhausen.

Begonnen hat der Kurstag am Samstag mit kurzen Vorträgen – der Hausaufgabe der Vorwoche. Drei Minuten Zeit haben die angehenden Stadtführer, um über eines der Schaffhauser Stadttore zu sprechen. Die Zeitvorgabe soll ihnen bei ihrer künftigen Arbeit helfen – Harzenmoser empfiehlt, bei Rundgängen nicht länger als drei bis vier Minuten an einer Station zu sprechen.

Nicole Fischer ist als Erste an der Reihe. Sie stellt sich vor die Leinwand, auf der zwei Grafiken abgebildet sind, die das ehemalige «Innere Rheintor» zeigen. Fischer berichtet, dass dieses vor rund 175 Jahren abgerissen worden sei, um dem zunehmenden Verkehr Platz zu machen. Nur die Glocke des Gebäudes sei gerettet worden, sie sei heute am Güterhof montiert.

«Rund 30'000 Menschen nehmen jedes Jahr an einer unserer Führungen teil.»

Jörg Steiner, Schaffhauserland Tourismus

Fischer spricht ruhig und wirkt sicher. Sie und die anderen angehenden Stadtführer, das wird schnell klar, haben bereits ein grosses Wissen über die Stadt Schaffhausen und deren Geschichte. Ihre Art, dieses im Vortrag zu präsentieren, ist dabei sehr unterschiedlich. Nutzt Fischer gerne rhetorische Fragen als Stilmittel und sucht aktuelle Bezüge, haben andere eine Vorliebe für Jahreszahlen oder für gruselige Sagen. Sucht die eine eher den Blickkontakt mit allen Anwesenden, adressiert ein anderer nur Martin Harzenmoser.

Hände gut, Führung gut

Der Lehrer gibt im Anschluss an die Vorträge ein allgemeines Feedback. «Manche standen sicherer vor dem Publikum als das letzte Mal», lobt er. Auch hätten beim Sprechen alle die Hände sehr gut eingesetzt. Sei man unsicher und stehe mit verschränkten Armen vor einer Gruppe, habe man sofort verloren, sagt Harzenmoser. Aber – Übung mache den Meister. «Eine gute Stadtführung fällt nicht einfach vom Himmel.»

Einer, der keine Hemmungen damit hat, vor vielen Menschen zu sprechen, ist der ehemalige Stadtforstmeister Walter Vogelsanger. Er habe privat auch schon Stadtführungen gegeben, sagt der Pensionär. Dennoch könne er beim Kurs noch einiges dazulernen. «Es ist spannend.» Thomas Stoll trat letzten Frühling als Chefarzt der Klinik für Rheumatologie, Geriatrie und Rehabilitation im Kantonsspital Schaffhausen in den Ruhestand – aber zu Hause rumsitzen sei nicht sein Ding, sagt er. Noch immer ist er in Teilzeit berufstätig, gibt im Winter Snowboardunterricht und will nun eben auch noch Stadtführer werden. Er sei historisch interessiert und ein richtiger Bücherwurm, sagt Stoll. Nicole Fischer wurde durch ihre Arbeit bei Schaffhauserland Tourismus dazu inspiriert, sich für die Ausbildung zur Gästeführerin zu bewerben. Sie sei gern in Kontakt mit Menschen.

30 Bewerber für 8 Stellen

Vogelsanger, Stoll, Fischer und die anderen fünf Männer und Frauen haben sich in einem ersten Auswahlprozess durchgesetzt. «Insgesamt hatten sich 30 Personen für die Ausbildung beworben», sagt Jörg Steiner, stellvertretender Geschäftsleiter von Schaffhauserland Tourismus. Die Bewerber seien im Vorstellungsgespräch auf Fachwissen, rhetorische Fähigkeiten und den Bezug zur Region geprüft worden. Gerade Letzteres sei sehr wichtig. «Rund 30'000 Menschen nehmen jedes Jahr an ­einer unserer Führungen teil», sagt Steiner. «Das ist also eine Riesenchance, unsere Region zu bewerben.»

Die Ausbildung, die 800 Franken kostet, findet zum ersten Mal seit elf Jahren statt. Seit 2008 sind einige Gästeführer weggezogen oder haben ihren Nebenjob an den Nagel gehängt. Schaffhauserland Tourismus will den aktuellen Pool an rund 50 Gästeführern darum wieder vergrössern. Aber es gibt auch konkrete Nachfragen von Besuchern, denen man nachkommen will. «In den letzten Jahren hatten wir vermehrt Gruppen aus der Westschweiz», sagt Steiner. Der Bedarf an Französisch sprechenden Gästeführern sei gestiegen. Zudem würden in den letzten Jahren vermehrt szenische Führungen nachgefragt. Solche, bei denen die Gästeführer in eine Rolle schlüpfen und der Unterhaltungswert wichtiger als bei klassischen Stadtführungen ist – Harzenmosers Nacht­wächter gehört auch dazu. Sollten die angehenden Stadtführer szenische Führung anstreben, sei neben der «Grundausbildung» eine weitere zusätzliche Ausbildung notwendig, sagt Steiner.

Wie oft die neuen Gästeführer zum Einsatz kommen werden, sei sehr unterschiedlich: Manche der heutigen Mitarbeiter kämen auf fünf Einsätze im Jahr, manche auf 60, so Steiner.

Videoanalyse steht bevor

Davon sind die acht Stadtführer-Lehrlinge derzeit noch etwas entfernt. Sie müssen zunächst einmal die letzten der insgesamt zwölf Kurstage hinter sich bringen. Harzenmoser will sich für die restliche Zeit noch ein paar Überraschungen ausdenken. So, wie kürzlich, als die Schüler einen Vortrag vor einem imaginären Publikum hielten und Harzenmoser sagte, dass sich im Publikum ein Engländer befinde, der nur Hochdeutsch verstehe. Die Schüler hätten die Aufgabe gemeistert und problemlos ins Hochdeutsche gewechselt. «Thomas Stoll hielt seinen Vortrag sogar spontan in Englisch», sagt Harzenmoser. Demnächst will der Historiker die angehenden Stadtführer bei einem Vortrag filmen und das Video gemeinsam auswerten.

Jeder Kurstag wird mit einem Quiz beendet – so auch vergangenen Samstag. «Dieses Mal sind es nur zwei Seiten», sagt Harzenmoser, als er die Blätter verteilt. «Ohoo», sagen seine Schüler, bevor sie laut lachen. An den vorigen Kurstagen waren die Fragebögen schon sechsseitig gewesen. Das Quiz ist nicht nur ein guter Wissenstest, sondern auch eine Vorbereitung auf die mehrteilige Schlussprüfung. Die Teilnehmer müssen dabei 60 Fragen schriftlich beantworten und werden sowohl schriftlich wie mündlich zu einem Spezialgebiet getestet. Bei der praktischen Prüfung müssen sie an drei Stationen in der Schaffhauser Altstadt maximal vier Minuten referieren.Haben sie die Prüfung bestanden, dürfen sie Gäste durch die Schaffhauser Altstadt führen. Die Arbeit ist gemäss Harzenmoser dann aber noch nicht getan, im Gegenteil. Ein guter Stadtführer müsse nicht nur die Fähigkeit haben, Geschichten zu erzählen, sondern sollte sein Repertoire ständig erweitern. «Sodass auch Einheimische nach einer Tour sagen: ‹Das habe ich jetzt noch nicht gewusst!›»

 

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