«Der Fachkräftemangel ist ein Märchen»
Am 24. September wird in Schaffhausen über einen Kinderbetreuungsbeitrag für städtische Mitarbeiter abgestimmt. Während die Befürworter die Stadt als Arbeitgeberin attraktiver machen wollen, sprechen die Gegner von einer unnötigen Ausgabe.
Abstimmung Beitrag an die Kinderbetreuung
Vorlage Am 24. September wird in der Stadt Schaffhausen über den «Finanziellen Beitrag an die ausserfamiliäre Kinderbetreuung für städtische Mitarbeitende» abgestimmt. Ab 2018 sollen diese einen Betrag von 20 Franken pro Betreuungstag und Kind erhalten – an die Kosten einer nachgewiesenen, professionellen Kinderbetreuung.
Befürworter Für die Vorlage sind SP, Juso, AL, ÖBS, EVP, GLP, CVP und der VPOD.
Gegner Gegen die Vorlage sind SVP, EDU, FDP und JFSH.
Streitgespräch Finanzieller Beitrag an die ausserfamiliäre Kinderbetreuung für städtische Mitarbeitende
Frau Lacher, ist die Stadt Schaffhausen heute keine attraktive Arbeitgeberin?
Lacher: Das kann man so nicht sagen. Die Stadt Schaffhausen bemüht sich seit vielen Jahren darum, für ihre Arbeitnehmenden eine gute Arbeitgeberin zu sein. Der Beitrag für die Kinderbetreuung wäre dazu eine passende Ergänzung.
Braucht es noch bessere Bedingungen?
Walter Hotz: Andere Städte und grosse Betriebe haben bereits eine solche Kinderbetreuungszulage. Deshalb sollte die Stadt Schaffhausen hier nicht zurückbleiben. Die Cilag führt nun sogar einen achtwöchigen Vaterschaftsurlaub ein. Die Stadt hinkt hier also eher hinterher, es ist kein Vorauspreschen.
Herr Hotz, soll die Stadt Schaffhausen überhaupt eine attraktive Arbeitgeberin sein?
Hotz: Schon heute ist die Stadt eine attraktive Arbeitgeberin. Personen, die beim Staat arbeiten, haben eine sichere Arbeitsstelle, sie erhalten hohe Arbeitgeberbeiträge in die Pensionskasse. Es stimmt, dass grosse Firmen Kinderbetreuungszulagen ausrichten – das Geld dieser Firmen wurde aber privat verdient, bei der Stadt reden wir über Steuergelder. Es ist ein Schlag ins Gesicht der kleinen Unternehmer, wenn der Staat immer wieder mit solchen Dingen vorprescht. Sie werden unter Druck gesetzt und müssen nachziehen. Damit schmilzt der Gewinn dahin. Für die Cilag mag ein achtwöchiger Vaterschaftsurlaub gut sein – Vater sein ist allerdings nicht nur eine Aufgabe für acht Wochen, sondern für ein Leben lang.
Finden Sie es denn gut oder schlecht, wenn private Firmen solche Angebote machen?
Hotz: Ein privates Unternehmen kann das ganz klar machen. Man muss sich aber im Klaren sein, dass das vom Gewinn der Firma weggeht. Wenn eine Firma das erwirtschaften kann, spielt das aber keine Rolle. Beim Staat sieht das allerdings anders aus. Ich wundere mich sehr, dass linke Kreise jetzt die grossen Firmen als Vorbilder nennen – vor Kurzem hatten wir noch die Volksinitiative «Keine Steuergeschenke für Grossaktionäre», wo dieselben Unternehmen verteufelt wurden. Das ist inkonsequent.
Frau Lacher, ist es richtig, dass sich die Stadt bei den Anstellungsbedingungen an internationalen Grossunternehmen wie Unilever, IWC oder GF orientiert, oder sollten eher KMU die Vorbilder sein?
Lacher: KMU bedeutet «kleinere und mittlere Unternehmen». Die Stadt Schaffhausen hat aber über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dass es für einen Kleinbetrieb schwierig ist, ein solches Angebot zu machen, ist mir auch klar. Die Stadt ist aber kein KMU.
Soll sich die Stadt also bei den Arbeitsbedingungen an Grossunternehmen orientieren?
Hotz: Die Stadt hat 838 Vollzeitstellen und 1291 Beschäftigte. Das durchschnittliche Pensum bei der Stadtverwaltung liegt lediglich bei 65 Prozent. Das zeigt, dass die Stadt schon heute sehr konziliant ist gegenüber ihren Mitarbeitern: Die Stadt ist sehr flexibel bei den Stellenprozenten und der Arbeitszeit. Dazu kommt, dass immer mehr Angestellte im Homeoffice arbeiten können – jeder Referent kann das in eigener Kompetenz bewilligen. Man sieht: Die Stadt hinkt bei den Arbeitsbedingungen der Privatindustrie nicht hinterher.
«Bis ins Jahr 2030 werden rund 80 000 Pflegekräfte fehlen. Da kommt ein massives Problem auf uns zu.»
Monika Lacher, Grossstadträtin SP
Die Stadt ist also schon heute ein recht flexibler Arbeitgeber: Welchen Effekt würden Sie sich durch die Betreuungszuschüsse erhoffen, Frau Lacher?
Lacher: Walter Hotz hat eine einseitige Sichtweise. Er denkt bei den städtischen Mitarbeitenden primär an Büroangestellte. Das ist aber nicht die Mehrheit. Ich selber habe während zwanzig Jahren für die Spitex gearbeitet, die seit rund fünf Jahren Teil der Verwaltung ist. Da ist Homeoffice nicht möglich. Auch die Mitarbeiter in den Heimen, die Gärtnerinnen, die Putzfrauen und die Köchinnen können nicht von zu Hause aus arbeiten. Insgesamt sind das wohl über 600 Mitarbeitende, vorwiegend Frauen. Und diese Frauen sollte die Stadt nach einer Geburt wieder in den Arbeitsprozess zurückbringen – denken wir an das Pflegepersonal in unseren Heimen.
Und mit den 20 Franken pro Betreuungstag und Kind kehren diese Frauen wieder an den Arbeitsplatz zurück?
Lacher: Es sind durchschnittlich rund 30 Frauen im Jahr, die aufgrund einer Mutterschaft ihren Arbeitsplatz verlassen. Etwa die Hälfte kehrt nach einem Mutterschaftsurlaub an den Arbeitsplatz zurück, die andere Hälfte bleibt daheim. Das ist eine persönliche Entscheidung. Wenn man aber die demografische Entwicklung ansieht, dann wäre es sinnvoll, diese Frauen in ihren Positionen zu halten – in der Hoffnung, dass sie ihr Pensum wieder erhöhen, wenn ihre Kinder älter sind.
Ist die Betreuungszulage ein sinnvoller Baustein gegen den Fachkräftemangel? Können so gut qualifizierte Frauen im Arbeitsprozess gehalten werden?
Hotz: Der Fachkräftemangel ist ein Märchen. Ich bin gerade daran, mit dem Büro des Kantonsrats zwei Sekretärinnen zu suchen. Wir haben unwahrscheinlich gute Bewerbungen erhalten. Von Fachkräftemangel kann man aktuell wirklich nicht sprechen.
Lacher: Im kaufmännischen Bereich gibt es ihn nicht. In der Pflege sieht es aber anders aus. Gesamtschweizerisch werden uns bis ins Jahr 2030 rund 80 000 Pflegekräfte fehlen. Da kommt ein massives Problem auf uns zu.
Hotz: Die Stadt hat im laufenden Jahr 13 neue Stellen geschaffen. Diese konnten alle ohne Probleme besetzt werden, auch im sozialen Bereich. Pflegeberufe sind anspruchsvoll, aber auch dort findet man Leute. Letztlich glaube ich nicht, dass die 20 Franken Betreuungszulage für irgendjemanden bei der Stellenwahl entscheidend sein wird. Es ist wichtig, wo man arbeitet, welche Aufgaben man hat. Eine Betreuungszulage ist kein wichtiger Faktor. Ich kann aber noch sagen: Wir sind nicht gegen Krippenplätze, aber wir sind gegen das Giesskannenprinzip. Hier wird mit der Giesskanne über alle Einkommensklassen derselbe Betrag ausbezahlt.
Das Modell sieht vor, dass die Beiträge unabhängig vom Lohn verteilt werden. Das freut wohl auch Sie als Sozialdemokratin nicht, oder?
Lacher: Es geht hier um eine Fördermassnahme für Mitarbeitende mit Kindern, vor allem Mütter, um im Beruf zu bleiben. Das Problem der Kinderbetreuung stellt sich sowohl für eine Kaderfrau als auch für jemanden, der in einem tiefen Lohnsegment arbeitet. Für die Stadt ist es wichtig, auch Kaderfrauen im Beruf zu halten. Deshalb können wir als SP hinter dieser gezielten Fördermassnahme stehen. Ich gebe aber zu: Die Vorlage wurde vom Stadtrat und nicht von der SP ausgearbeitet. Vielleicht hätten wir tatsächlich eine Obergrenze eingeführt. Dennoch können wir hinter der Vorlage stehen.
«Es ist ein Schlag ins Gesicht der KMU, wenn der Staat immer wieder mit solchen Dingen vorprescht.»
Walter Hotz, Grossstadtrat SVP
Herr Hotz, ist es bösartig zu sagen, dass ein grosser Teil der Ablehnung der Vorlage mit Neid auf die städtischen Mitarbeitenden zu erklären ist?
Hotz: Ich glaube nicht, dass es um Neid geht. Es ist aber tatsächlich so, dass die städtischen Mitarbeitenden schon viele Privilegien haben. Sie können in der Stadtgärtnerei verbilligt einkaufen, sie erhalten Reka-Checks und haben viele Ferientage. So gesehen müssten wir schon lange neidisch sein. Wir sind aber der Ansicht, dass die Selbstverantwortung der Familie wichtig ist. Wenn es mit der Betreuung ein Problem gibt, dann findet man schon heute immer eine Lösung. Der vorgeschlagene Fremdbetreuungsbonus ist unnötig. Die Stadtangestellten haben in den letzten Jahren auch Lohnerhöhungen erhalten, obwohl es keine Teuerung gab.
Lacher: Man kann beim Betreuungszustupf aber nicht von einer Lohnerhöhung reden. Es ist eine gezielte Förderung für Mitarbeiter mit Kindern bis zu zwölf Jahren. Alle anderen kommen davon nicht in Genuss.
Hotz: Alle bezahlen, und wenige profitieren. Ein voll subventionierter kommerzieller Kinderbetreuungsplatz kostet in Schaffhausen 16 Franken pro Tag. Subventionierte Plätze gibt es bis 120 000 Franken Jahreseinkommen. Wir sind klar gegen die sozialistische Giesskanne für wenige. Familien müssen entlastet werden, und zwar alle. Die Linke hat einen höheren Kinderabzug für alle Familien abgelehnt. Das zeigt klar auf, dass es ihr um eine Privilegierung der städtischen Angestellten geht.
Die Stadt will professionelle Kinderbetreuung unterstützen. Ist es richtig, die Professionalisierung der Kinderbetreuung weiter zu verstärken?
Lacher: Ich bin auch dafür, dass Familien Eigenverantwortung übernehmen. Wenn es Grosseltern gibt, die Betreuungsaufgaben übernehmen, dann stellt man sich denen nicht in den Weg. Unsere Gesellschaft verändert sich aber. Oft leben Familien nicht dort, wo die Grosseltern sind. Diese Familien sind auf professionelle Angebote angewiesen – es braucht also beides. Das eine ist nicht schlechter als das andere. Wir hätten nichts dagegen, auch Kinderbetreuung von Angehörigen zu unterstützen. Das ist in der aktuellen Vorlage aber nicht enthalten.
Hotz: Ich muss immer wieder sagen: Was sind das für glückliche Kinder, bei denen die Mutter zu Hause ist, wenn sie heimkommen. Das ist meine persönliche Meinung.
Lacher: Ich habe mein Leben lang gearbeitet und zwei Kinder grossgezogen. Ich weiss, was der Spagat zwischen Beruf und Familie bedeutet. Ich habe immer in Teilzeit gearbeitet. Meine Kinder sind gut herausgekommen, obwohl ich sie nicht immer um 16 Uhr empfangen habe.