«Eine irrsinnige Solidarität gab mir Mut»


Am 30. Juli 2015 verunfallte die österreichische Stabhochspringerin Kira Grünberg im Training schwer. Seit diesem folgenschweren Tag ist die 23-Jährige querschnittsgelähmt. Doch Grünberg nahm die Situation sofort an und hat soeben das Buch «Mein Sprung in ein neues Leben» veröffentlicht.
VON TOBIAS ERLEMANN
Kira Grünberg, wie haben Sie die Olympischen Spiele in Rio verfolgt?
Kira Grünberg: Mit grossem Interesse. Gerade, da ich als Kolumnistin und als «Team-Rio-Botschafterin» tätig war, habe ich mir möglichst viel angesehen, vor allem die Bewerbe aus der Leichtathletik.
Wie stark ist denn noch Ihr Interesse am Stabhochsprung?
Grünberg: Sehr gross. Ich verfolge seit meinem Unfall die Geschehnisse und habe auch letztes Jahr schon die WM in Peking intensiv mitverfolgt. Auch heuer war es spannend zu beobachten, vor allem weil einige Favoriten gestrauchelt sind. Zudem verbindet mich seit meinem Unfall eine Freundschaft mit dem französischen Stabhochspringer Renaud Lavillenie, Silbermedaillengewinner von Rio.
Kennen Sie die Andelfingerin Angelica Moser?
Grünberg: Ja, ich kenne sie sehr gut. Ich war öfter mit Angelica und ihrer Schwester Jasmine im Trainingslager. Und wir hatten ja auch mit Herbert Czingon denselben Trainer.
Angelica Moser hatte im Stabhochsprungwettkampf in Rio auch heikle Momente. Bei einem Sprung hatte sie zu wenig Schwung, kam zu früh runter und erwischte gerade noch die Sprungmatte, landete aber mit dem Rücken auf der Latte. Zucken Sie selbst bei solchen Szenen noch zusammen, wenn Sie diese im TV oder im Stadion verfolgen?
Grünberg: Gerne sehe ich solche Sachen natürlich nicht, aber jeder Sport hat heikle Momente. Generell ist Stabhochsprung aber nicht gefährlich.
Ihr Leben veränderte sich durch einen Unfall beim Stabhochsprung aber frappant. Wie haben Sie es geschafft, das in Ihrem Buch betitelte «neue Leben» zu beginnen?
Grünberg: Ich habe nach dem Unfall und der Diagnose sofort die Tatsachen akzeptiert. So habe ich nie aufgegeben und mit meiner Familie, meinem Manager und den Ärzten ein sehr starkes Team um mich gehabt, das mir in diesen schweren Momenten sehr geholfen hat.
Haben Sie eine besondere psychische Stärke, oder war es ein langer Prozess, das «neue Leben» anzunehmen?
Grünberg: Ich kann anscheinend schnell mit solchen Situationen umgehen und habe mich dadurch vielleicht leichter getan, diesen schweren Schlag zu verdauen.
Wie hat das Buch Ihnen geholfen, Ihren tragischen Unfall zu überwinden?
Grünberg: Es war eine interessante Erfahrung, mein Leben bereits in so jungen Jahren Revue passieren zu lassen. Und ich konnte mir einige Dinge, die passiert sind, mal ganz einfach von der Seele schreiben.
Haben Sie einen Ausgleichssport gefunden, um sich weiter aktiv zu beweisen? Für Leistungssportler ist es ja enorm wichtig, sich auch immer selbst zu messen.
Grünberg: Ich gehe jetzt sehr gerne Handbiken und besuche regelmässig die Kraftkammer, um mich auszupowern. Die Leidenschaft für den Sport ist also weiter vorhanden, nur eben in anderen Kategorien.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie Ihr Schicksal annahmen?
Grünberg: Bereits am Tag der Diagnose habe ich die neue Situation angenommen.
Wie und wann kam Ihnen die Idee, ein Buch zu schreiben?
Grünberg: Mein Manager Thomas Herzog wurde schon früh auf dieses Thema angesprochen. Tom wollte aber unbedingt meine Entwicklung abwarten und nicht zu früh ein Fazit abgeben. Da ich mit der Situation aber gut umgehen konnte und immer optimistisch vorausblicke, ist nun genau der richtige Zeitpunkt dafür, solch ein Werk zu veröffentlichen.
Der Titel des Buches ist: «Mein Sprung in ein neues Leben». Beschreiben Sie doch bitte kurz Ihr «neues Leben».
Grünberg: Mein Leben ist jetzt nicht schlechter oder besser – es ist einfach nur anders. Ich habe für viele Dinge mehr Zeit, kann länger ausschlafen und bin insgesamt wesentlich entspannter als vor dem Unfall. Ich freue mich jetzt auch über Kleinigkeiten, die ich früher sicher übersehen hätte. Insofern ist mein Leben auch unter den neuen Voraussetzungen sehr vielschichtig und spannend.
Sie wollen mit dem Buch auch Kraft geben und motivieren. Dies beinhaltet sicher Menschen, die ein ähnliches Schicksal wie Sie erlitten haben. Welche Zielgruppen wollen Sie noch erreichen?
Grünberg: Ich denke da nicht an spezielle Zielgruppen. Vielmehr möchte ich all jenen, die an meiner Geschichte Anteil genommen haben, die Möglichkeit geben, nachlesen zu können, was passiert ist. Und man soll auch meine Zeit davor einmal kennenlernen.
Inwieweit stehen Sie noch in Kontakt mit früheren Sportlerkollegen und Freunden?
Grünberg: Ich stehe nach wie vor beim Training und durch das «Projekt Rio» mit fast allen Athleten und Trainern weiterhin in Kontakt.
Wer hat Sie in der sicher schwierigen Anfangszeit nach dem Unfall am meisten unterstützt und vielleicht auch aufgebaut?
Grünberg: Ganz klar die Familie, mein ärztliches Umfeld, mein Manager und viele mehr. Es war auch in der Öffentlichkeit eine irrsinnige Solidarität, die mir unglaublich geholfen hat und mir auch Mut und Kraft gab.
Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Ihnen übermittelt wurde, dass Sie nie mehr laufen können?
Grünberg: Diesen Moment vergisst man vermutlich nie. Aber ich wusste schon in der Sekunde des Aufpralls, dass etwas Schlimmeres passiert sein musste, nachdem ich meine Beine und Arme nicht mehr bewegen konnte.
Sie haben schon mehr geschafft, als anfangs prognostiziert wurde. So hiess es zu Beginn, sie könnten maximal den Kopf bewegen, jetzt fahren sie selbständig den Rollstuhl. Hat Ihnen bei diesen Trainings- und Willensleistungen Ihr «Sportlergen» geholfen?
Grünberg: Sicherlich hat mir meine sportliche Einstellung geholfen, da ich immer trainiert habe, mir immer Ziele setzte und vor allem mit der Familie, den Ärzten und dem Manager ein Topteam um mich hatte, auf welches ich auch heute noch zu 100 Prozent zählen kann.
Was haben Sie sich für die kurz- und mittelfristige Zukunft vorgenommen?
Grünberg: Jeden Tag geniessen und sich an den kleinen Fortschritten des Lebens erfreuen. Ausserdem kommt im September mein Hund Balu!
«Ich habe nach dem Unfall und der Diagnose sofort die Tatsachen akzeptiert. So habe ich nie aufgegeben.»
«Mein Leben ist jetzt nicht schlechter oder besser – es ist einfach nur anders.»
Das Buch «Mein Sprung in ein neues Leben»
An ihren Unfall erinnert sich Kira Grünberg noch sehr genau. Direkt nach dem Aufprall vor der Matte spürte die 23-Jährige ihre Beine und Arme nicht mehr. «Da wusste ich, dass etwas Schlimmeres passiert ist.» Mit ihrem Buch will die Österreicherin beschreiben, wie sie ihr «neues Leben» angenommen hat, und zeigen, dass man mit Optimismus und Mut die grössten Hindernisse überwinden kann. «Sie ist das Vorbild, das sein Schicksal annimmt und aus den Fragmenten ihres früheren Daseins ein neues, tolles Leben bastelt», sagt Robert Harting. Der deutsche Diskuswurfstar besuchte die Österreicherin noch in der Rehaklinik und war beeindruckt von ihrem Lebensmut. Das Buch ist für Grünberg aber auch gleichzeitig die Möglichkeit, sich bei den vielen Helfern und «Mutgebern» zu bedanken und zu zeigen, wie sich ihr jetziges Leben abspielt. Dabei ist die 23-Jährige weiterhin sportlich aktiv und zeigt, mit welcher Willenskraft sie am Werk ist. Denn direkt nach dem Unfall offenbarten die Ärzte der Sportlerin, dass sie wohl zukünftig nur noch den Kopf bewegen könne. Inzwischen bewegt sich Grünberg selbständig mit dem Rollstuhl und ist sehr aktiv.(toe)
Kira Grünberg Mein Sprung in ein neues Leben, edition a, Verlagsgesellschaft, Wien 2016, 21,90 Euro