«Schön, Sie zu treffen, Herr Präsident»

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Die Bilder gehen um die Welt: Kim Jong-un und Donald Trump unterzeichnen eine Vereinbarung zur atomaren Abrüstung. BILD KEY

Beim Singapur-Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un schlug die Stunde der Staatsschauspieler. Die unterzeichnete Vereinbarung über eine atomare Abrüstung bleibt indes vage.

Von Angela Köhler, Singapur

Ein Tag wie aus dem politischen Bilderbuch des Donald Trump. Der sichtlich hervorragend gelaunte US-Präsident betrat kurz nach 16.10 Uhr Ortszeit das Podium seiner Pressekonferenz und verkündete mit unerschütterlichem Pathos: Es war ein «fantastisches» und «historisches» Treffen. «Es ist besser gelaufen, als irgendwer erwarten konnte. Spitzenklasse», jubelte ein Trump in bester Stimmung. «Ich stehe vor Ihnen mit einer Botschaft von Hoffnung und Frieden.»

Ob er den Fortschritt in Nordkorea jetzt aber garantieren könne, wurde Trump dann gefragt. Da ruderte der Präsident zwar gekonnt und jovial, aber ziemlich eindeutig zurück. Für einen «richtigen Deal» sei es zu zeitig. «Der Prozess der atomaren Abrüstung dauert wissenschaftlich und mechanisch sehr lange, aber wenn er beginnt, dann ist er nicht mehr aufzuhalten.» Generell konnte der US-Präsident trotz vieler konkreter Fragen kaum mit überzeugenden Fakten aufwarten, sondern kam immer wieder mit persönlichen Eindrücken und seinem Bauchgefühl. «Ich spüre, Nordkorea will einen Deal machen, ich vertraue dem Vorsitzenden Kim.» Er denke, alles werde sehr schnell gehen, verkündete Trump wiederholt.

Trump liess eine Bombe platzen

Aber trotz aller Euphorie blieb Trump auf dem Boden. «Die Sanktionen gegen Nordkorea bleiben so lange intakt, bis wir sicher sind, dass der Prozess der De­nuklearisierung beginnt und die atomare ­Gefahr gebannt ist», betonte Trump. Er schloss auch ein Scheitern sowie einen erneuten Rückzieher der Nordkoreaner nicht aus. Es könne durchaus sein, dass er in absehbarer Zeit erneut vor die Weltpresse treten und nach einer Entschuldigung suchen müsse, räumte Donald Trump ein. Eine Bombe liess er dann zu aller Überraschung doch noch platzen. Die USA werden die gemeinsamen Manöver mit Süd­korea an den Grenzen Nordkoreas stoppen, verkündete der Präsident. «Diese Kriegsspiele kosten viel Geld, und sie sind provokativ.»

Ergebnis eher nüchtern

Bei aller Euphorie in den Reihen der Amerikaner, auch in dem von Donald Trump und Kim Jong-un unterzeichneten Abschlussdokument liest sich das Gipfel­ergebnis eher nüchtern und für viele auch enttäuschend. Darin ist die Rede von «Bemühungen», von einem «festen und unerschütterlichen Bekenntnis» zur umfassenden atomaren Abrüstung, nicht von Vollzug. Es fehlt jede zeitliche Festlegung, wie die atomare Abrüstung ablaufen soll. «Zügig» und «es soll sehr bald beginnen», heisst es stattdessen vage. Und wer wird den Prozess wie kontrollieren? Keine Antwort in der offiziellen Erklärung.

Welche «Sicherheitsgarantien» konnte Trump seinem Konterpart versprechen für die territoriale Integrität der Volksrepublik Korea als Staat oder die Kim-Clique als Regime? Und was meint der US-Präsident mit «besonderer Verbindung» zu dem nord­koreanischen Diktator? Etwa eine bessere als zu den westlichen Bündnispartnern beim jüngsten G7-Gipfel in Kanada?

Viel Körpernähe

Kim Jong-un kam bei dem insgesamt fünf Stunden währenden Treffen aus dem Grinsen nicht heraus. Lächelnd liess er sich, flankiert von jeweils sechs Staatsbannern, von Donald Trump hofieren und ­grüsste artig: «Schön, Sie zu treffen, Herr Präsident.» Dieser legte dem Chairman viermal leger die Hände auf die Schulter, klopfte ihm zweimal auf die Schulter. Es fehlte nur noch eine Umarmung mit Bruderkuss. Kims Genossen muss das Blut in den Adern gefroren sein, so körpernah kann in Pjöngjang niemand mit dem «Obersten Führer» umgehen. Kaum anzunehmen, dass Nordkoreas Staatsfernsehen diese Respektlosigkeit auch noch ausstrahlt.

Es war überhaupt die Stunde der Staatsschauspieler, eines ehemaligen Reality-TV-Stars aus Amerika und des Sohns einer Schauspielerin aus Nordkorea, nur dass, was im luxuriösen Capella-Hotel auf der Ressortinsel Sentosa ablief, keine reine Show war, sondern Weltpolitik. Dem Fernsehpublikum in aller Welt wurde eine Szene vorgespielt, die fast schon surreal wirkte. Zwei Männer, die sich vor Monaten noch als Feinde verunglimpft haben, lächeln nun gemeinsam in die Wand der Kameras. Kim äusserte später, die Menschen in aller Welt müssten geglaubt haben, es handele sich um die Fantasieszene «aus einem Science-fiction-Film».

Historischer Handschlag

Nur dass es eben auch eine Realität gibt. Bevor es gegen 9.04 Uhr Ortszeit zum historischen, immerhin 13-sekündigen ersten Handschlag kam, musste Kim noch an einem Heer von ausländischen Reportern vorbeischreiten, das ihm zurief: «Werden Sie Ihre Atomwaffen aufgeben?», «Wollen Sie Korea entnuklearisieren?». Der Führer aus Pjöngjang ist solche Fragen gewiss nicht gewohnt, aber er kann sie ignorieren. Ebenso wie das Häuflein Demonstranten zuvor in der Nähe seiner Hotelunterkunft, das Kim Jong-un-Plakate mit der koreanischen Aufschrift «Mörderischer Diktator» und «180 000 Lagerhäftlinge klagen an» entgegenstreckte.

Beim Gipfelgespräch war das wohl kein Thema. Was genau gesprochen wurde, blieb sowieso im engsten Kreis. Neben Trump und Kim sassen nur noch eine Dolmetscherin für den US-Präsidenten und ein Dolmetscher für Nordkoreas Machthaber. Dieser Übersetzer namens Kim Jun-song lebt nun etwas gefährlich, er ist aus­- ser seinem Chef der Einzige, der weiss, was wirklich gesprochen wurde. Geheimnis­träger dieser Kategorie geraten in Pjöngjang leicht zwischen die Mahlsteine des ­Regimes.

Nur wenige Sätze überliefert

Rund 5000 Journalisten aus aller Welt wollten aus Singapur berichten, nur 14 von ihnen durften direkt vor der Tür warten, jeweils sieben aus Nordkorea und den USA. Von der 48-minütigen Privataudienz sind nur wenige Sätze verbürgt überliefert. So sagte Kim etwas mehrdeutig: «Es war nicht leicht, hierherzukommen. Wir waren Gefangene der Vergangenheit. Alte Vorurteile und Verhaltensweisen standen der Zukunft im Weg. Aber wir haben sie alle überwunden und sind nun hier.»

In der koreanischen Übersetzung sprach Kim noch von «bedauerlichen Ereignissen», meinte damit aber bestimmt nicht seine Atom- und Raketentests, sondern vermutlich den vor 65 Jahren per Waffenstillstand beendeten Koreakrieg. Jetzt ist ein Friedensvertrag in Sicht, und Kim äusserte: «Wir lassen die Vergangenheit hinter uns.» Und: «Die Welt wird grosse Veränderungen sehen.»

Mit geschwellter Brust verliess der Diktator im schwarzen hochgeschlossenen Funktionärsanzug Marke Mao schon gegen Mittag Singapur. Er kann sich als der eigentliche Sieger fühlen, auch wenn er das nicht ausdrücklich sagt und stattdessen Trump den öffentlichen Triumph überlässt. Unter dem Strich fährt Nord­koreas Machthaber eine ganze Menge Heu nach Hause. Trump nannte ihn nicht nur einen «sehr talentierten Mann, der sein Land sehr liebt». Eine Einladung ins ­Weisse Haus von Washington zum Beispiel, der Manöverstopp der Amerikaner und in naher Zukunft möglicherweise auch zumindest eine spürbare Lockerung der internationalen Sanktionen.

Präsentation von «The Beast»

Wie dringlich ökonomische Hilfe für Nordkorea ist, demonstrierte sein Führer gezwungenermassen selbst. Kim Jong-un reiste mit einem geborgten Flugzeug der Air China an, weil seine betagte Maschine des russischen Typs IL 62 den Flug zwischen Pjöngjang und Singapur nicht nonstop bewältigen kann. Auch für seine Hotelrechnung und sämtliche Kosten für den Aufenthalt von Kim und Entourage gab es einen grosszügigen Mäzen, die Regierung Singapurs. Trotzdem blieb Kim ein wenig Neid. Bevor beide Staatsmänner auseinandergingen, gewährte Trump seinem neuen Freund Kim noch einen Blick in das Allerheiligste des Secret Service: die hoch gesicherte Präsidentenlimousine, genannt «The Beast».

Aber auch Nordkoreas Diktator hat in puncto Sicherheit einiges zu bieten. Das Ballett seiner nahkampferprobten Bodyguards erregte vor allem bei Singapurs junger Weiblichkeit deutlich mehr Entzücken als der fettleibige Diktator selbst. In der Regel läuft ein Dutzend dieser fast identisch gut aussehenden Männer mit kurz geschorenen Haaren, schwarzen Anzügen und Krawatten neben und hinter dem Herrscher in geschlossener Formation. Nur wenn die Staatslimousine der Marke Mercedes zu viel Tempo aufnimmt, gerät die Jogging-Ordnung mal aus der Reihe.

Auszug aus der gemeinsamen Erklärung der USA und Nordkoreas im Wortlaut

Im Folgenden ein Teil des Wortlauts der Erklärung in einer Übersetzung: «Überzeugt davon, dass die neuen Beziehungen zwischen den USA und der Demokrati- schen Volksrepublik Korea (DPRK/deutsch: DVRK) zu Frieden und Wohlstand auf der Koreanischen Halbinsel sowie der Welt beitragen und in Anerkennung der Tatsache, dass gegenseitige Vertrauensbildung die Entnuklearisierung der Koreanischen Halbinsel fördern kann, erklären Präsident Trump und der Vorsitzende Kim Jong-un Folgendes: 1. Die Vereinigten Staaten und die DVRK verpflichten sich, neue Beziehungen zwischen den USA und der DVRK aufzubauen, die dem Wunsch der Völker beider Länder nach Frieden und Wohlstand entsprechen. 2. Die Vereinigten Staaten und die DVRK werden sich den Bemühungen um den Aufbau einer dauerhaften und stabilen Friedensregelung auf der Koreanischen Halbinsel anschliessen. 3. Die DVRK bekräftigt die ­Erklärung von Panmunjom vom 27. April 2018 und verpflichtet sich, auf eine vollständige Entnuklearisierung der Koreanischen Halbinsel hinzuarbeiten. 4. Die Vereinigten Staaten und die DVRK verpflichten sich zur Bergung der Überreste von Kriegsgefangenen und Kriegsvermissten, einschliesslich der sofortigen Rückführung der bereits Identifizierten.» (sda/r.)

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