Der pfeifende Enthüller

Tobias Erlemann Tobias Erlemann | 
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Tobias Erlemann.

Mit seinen Fehlentscheiden und seiner Unsicherheit im Spiel zwischen Deutschland und Chile deckte der 44-Jährige Schiedsrichter Milorad Mazic in nur 90 Minuten schonungslos die Schwächen des Videobeweises auf.

Der Fussball-Weltverband Fifa hat seinen ganz ­eigenen Whistleblower: den serbischen «Enthüller» Milorad Mazic, im «Nebenjob» als Referee beim Final des Confed-Cups aktiv. Denn mit seinen Fehlentscheiden und seiner Unsicherheit im Spiel zwischen Deutschland und Chile deckte der 44-Jährige in nur 90 Minuten schonungslos die Schwächen des Videobeweises auf. Nach einer längeren Testphase kam dieser im WM-Vorbereitungsturnier zum Einsatz. Klar ist danach nur, dass irgendwie nichts mehr klar ist.

Grundsätzlich ist der Videobeweis eine gute Sache. Seien wir mal ehrlich: Auch ohne kapitale Fehlentscheidungen wird es an den Fussball-Stamm­tischen noch genug zu diskutieren geben. Und nein, diese Mär von «Fehler gleichen sich in einer Saison aus» ist absoluter Schwachsinn. Heutzutage geht es im Profifussball um Millionen, ja Milliarden Franken. Ein durchschnittlicher Club aus der Deutschen Bundesliga beschäftigt rund 200 Mitarbeiter. In manchen Regionen wie dem Kraichgau (TSG Hoffenheim) oder dem Breisgau (SC Freiburg) sind viele Unternehmen teilweise abhängig vom Wohl und Wehe des Spitzenfussballs. Und dann sollen wir sagen: Ja, war halt ein Abseitstor. Pech gehabt, Spiel verloren, abgestiegen. Nächste Saison baut der Referee sicher auf der Gegenseite mehr Böcke, und dann steigen wir wieder auf. Nein, das funktioniert so nicht!

Referees sind im Moment noch angreifbarer als vorher

Nur: So, wie der Videobeweis in Russland gehandhabt wurde, so will das auch niemand sehen. Da hat sich eine neue Gattung Fussballer ent­wickelt. Ein funktionierendes Team braucht einen starken Captain, einen aggressiven Mittelfeld-Puncher, einen torriechenden Superknipser. Und neuerdings einen penetranten «Schiedsrichter-Bequatscher», der so lange auf den Unparteiischen einredet und ständig mit den Fingern einen imaginären Fernseher malt, bis dieser den Videorichter konsultiert. Was für ein nerviges Zwischenspiel. Der Videobeweis sollte Diskussionen eindämmen. Aber das chilenische Nationalteam zeigte im Final eindrucksvoll, dass man mit dem Videobeweis für noch mehr Diskussionen sorgen kann. Da rennt Stürmer Alexis Sanchez im Strafraum in einen Gegenspieler rein, Kollege Arturo ­Vidal schiesst den Abpraller über das Tor. Und was passiert? Statt sich über die eigene Unzulänglichkeit zu ärgern, rennen die Spieler zum Referee und fordern den Videobeweis.

Konkret: Es steckt noch zu wenig Sinn und Verstand hinter dem Einsatz des neuesten «technischen Hilfsmittels». Der Schiedsrichter wird aktuell noch angreifbarer, muss noch mehr Entscheidungen treffen. Zwar berichtet Fifa-Schiedsrichterchef Massimo Busacca von einem Brief, in welchem sich ein Referee bedankt, dass er durch den Videobeweis weniger Stress hat. Aber das stimmt (im Moment) nicht. Einfach mal bei Milorad Mazic nachfragen, der bekommt jetzt noch Stresspusteln, wenn er an den Final denkt. Auch, weil er groteskerweise selbst als Videoreferee fungierte, als er eine Tätlichkeit auf einem Tablet betrachtete – und diese dann noch falsch bewertete.

Videobeweis soll nicht der Anfang einer Videoüberwachung sein

In Szenen wie der Tätlichkeit des Chilenen Jara gegen Timo Werner müssen die Videoschiedsrichter das Kommando führen. Sie schauen sich die Szene an, sie bewerten sie – und sie geben dann das Strafmass vor. So gerät der Referee auf dem Feld nicht noch mehr unter Druck. Doch der Wirrwarr wie jetzt erzeugt Aggressionen allerorten. Das Kommando zum Videobeweis muss auch ganz klar von den Video­referees kommen. Und nicht womöglich initiiert durch Spieler, welche am hartnäckigsten protestieren. Der Einsatz des Hilfsmittels darf auch nur in entscheidenden Szenen mit klarem Ja-oder Nein-Charakter stattfinden: War es abseits? War der Ball drin? War es eine Tätlichkeit? War es Elfmeter? Keiner will die totale Überwachung und «Vertechnisierung» des Fussballs. Niemand möchte, dass ein Computer über Zweikämpfe im Mittelkreis entscheidet. Aus dem Videobeweis soll nicht plötzlich eine komplette Videoüberwachung werden. Der Fussball lebt von Emotionen. Wir wollen weiterhin, dass der Referee gewisse Tatsachenentscheide subjektiv fällt. Und ja: Auch der Referee darf zukünftig Fehler machen – nur eben keine kapitalen, die mit technischen Hilfsmitteln zu verhindern sind. Dass das Projekt «Videobeweis» noch in den Kinderschuhen steckt, hat der Confed-Cup klar gezeigt.

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