Beschimpfungen und Gewalt nicht stillschweigend tolerieren

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Mitglieder und Unterstützer der LGBT-Gemeinschaft an der jährlichen Midsumma Pride im australischen St. Kilda. Bild: Key

Ich verabschiede mich von meinem heterosexuellen Freund mit einer Umarmung. Eine lockere Abschiedsgeste. Ein Auto hält neben uns an, das Fenster geht runter, die zwei Typen im Wagen rufen «Ihr dummen Schwuchteln», lachen dabei und fahren weiter. Korrekt, ich bin eine «Schwuchtel» und könnte mich nun angesprochen fühlen. Mein Freund nicht.

von Bastian Baumann

Und trotzdem fühlen wir uns beide beleidigt. Nicht, dass ich deswegen schlaflose Nächte hätte, denn man legt sich als schwuler Mann mit der Zeit ein etwas dickeres Fell zu, aber trotzdem macht es einfach keinen Spass, auf der Strasse von wildfremden Menschen dumm angemacht zu werden. Und mein heterosexueller Freund ist beleidigt – nicht weil er vermeintlich für schwul gehalten wurde, sondern weil es auch ein Hetero nicht lustig findet, beschimpft zu werden. Niemand mag es, beschimpft, bedroht oder verletzt zu werden. In unserem gesellschaftlichen Zusammenspiel haben wir vereinbart, dass wer andere beschimpft, beleidigt, verletzt oder sogar tötet, bestraft werden soll. Keine Frau verdient es, dumm angemacht zu werden, kein Pärchen soll von einer Gruppe Teenager beleidigt, kein Kind von seinen Eltern geschlagen und niemand von Politikern öffentlich beschimpft werden.

Im Falle von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transmenschen verzichtet der Gesetzgeber bis heute darauf, sie mit einem Diskriminierungsgesetz zu schützen. So wie ich mich daran störe, dass Frauen auch heute noch weniger verdienen als wir Männer, wir unsere Arroganz und unseren Rassismus gegenüber Menschen, die keinen Schweizer Pass haben, teilweise frei ausleben, so erschüttert mich die ­Tatsache, dass Lesben, Bisexuelle, Schwule und Transmenschen hier in der Schweiz täglich Opfer von Gewalt werden.

Ich will in einem Land leben, wo sich die Gesellschaft von Gewalt und Diskriminierung abwendet und von Behörden und Politikerinnen und Politikern Massnahmen zur Reduktion dieser Verbrechen einfordert. Doch die Polizeibehörden erfassen in erster Linie nur die im Strafgesetzbuch aufgeführten Straftaten, und diese Daten werden offiziell im nationalen Bericht zur polizeilichen Kriminalstatistik veröffentlicht. Die Kantone beispielsweise erfassen nur ein rassistisch oder sexuell motiviertes Verbrechen. Ob ein Delikt homo- oder transphob ist, wird nicht regis­triert. Und solange «hate crimes», so­genannte Hassvebrechen, gegenüber Homosexuellen und Transmenschen keinen eigenen Straftatbestand darstellen oder die differenzierte Angabe eines Motivs nicht in allen Kantonen obligatorisch ist, wird es nicht möglich sein, diesbezüglich Daten in der nationalen Statistik zu veröffentlichen. Gewalt an uns bleibt also unsichtbar.

Mit der LGBT-Helpline (LGBT ist eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender, also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) nehmen wir uns des Problems nun selber an und erfassen alle Verbrechen, die uns Opfer selber melden. Innerhalb rund zweier Monate wurden bereits 100 Meldungen erfasst. Natürlich ist eine Beschimpfung aus dem Auto raus noch kein schweres Verbrechen. Doch hinterlässt sie Spuren – auch bei meinem heterosexuellen Freund. Denn sie zeigt, dass es jede und jeden von uns treffen kann – wegen Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischer Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft. Wir haben alle ein Interesse daran, Beschimpfungen und ­Gewalt nicht stillschweigend zu tolerieren.

Bastian Baumann ist Geschäftsleiter von Pink Cross, dem Schweizer Dachverband der Schwulen, und Leiter der LGBT-Helpline.

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