Zuverlässig dorthin zielen, wo es wehtut

Daniel Jung | 
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Am Preisträgerabend des «Salzburger Stiers» wurde bitterböser Humor aus der Schweiz, Deutschland und Österreich prämiert.

Der Umgang mit der Wahrheit stand im Zentrum des diesjährigen «Salzburger Stiers», der am Samstag im Schaffhauser Stadttheater verliehen wurde. «Bis vor Kurzem wussten wir noch, worauf unser Weltbild basiert: Fakten, Fakten, Fakten», sagte Bundesrat Alain Berset in seiner humorvollen Festrede. Nun aber, im «postfaktischen Zeitalter», sei diese Grundlage ins Wanken gekommen. «Eine Anklage im Geist der Aufklärung funktioniert nicht auf schwankendem Boden», sagte Berset. Dennoch könne das Kabarett auch heute auf Widersprüche hinweisen, wenn es die richtigen Fragen stelle.

Mit schwarzem Humor stellten die drei Künstler, die am Samstag mit dem wichtigsten deutschsprachigen Kleinkunstpreis ausgezeichnet wurden, sehr ernste Fragen. Wenn die drei Künstler auf der Bühne auch unterschiedliche Dinge tun, so eint sie doch die Unverfrorenheit, auch brutale Gedankengänge konsequent zu Ende zu führen.

Schweizer Gnadenlosigkeit

Da ist die erst 23-jährige Hazel Brugger, Preisträgerin aus der Schweiz, die dem Schaffhauser Publikum zur Begrüssung zuwirft: «Schaffhausen ist super, wenn man noch nie woanders war.» Auf der Bühne gibt sich Brugger als sozial inkompatible Schwarzseherin. Wenn Menschen lachen, so erinnert sie daran, dass die Zähne als einziger Teil des Skeletts am lebenden Körper sichtbar sind. Fröhliche Tafeln, die nach der Geburt eines Babys im Garten aufgestellt werden, bezeichnet sie als eine «analoge Version von Google-Maps für Pädophile». Ein Blumenstrauss erinnert sie an das Verwelken des menschlichen Körpers.

Österreichisches Sittengemälde

Keine Scheu vor ernsten Themen hat auch der österreichische Preisträger Hosea Ratschiller, der gemeinsam mit den beiden Musikerinnen RaDeschnig ausgezeichnet wurde. Im Gegensatz zu Bruggers Stand-up-­Comedy ist Ratschillers Kabarett politischer und stärker im Schauspiel verankert. Sein aktuelles Programm heisst «Der allerletzte Tag der Menschheit» und behandelt 24 Stunden in Österreich – eine Art «Ulysses» mit deftigen Pointen. Ratschiller spielt etwa eine Ehefrau aus der Wiener Oberschicht, die ihren üblen Klassendünkel offenbart, einen Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie, der mit Waffenverkäufen nach Syrien prahlt, und einen egomanischen Schauspieler, der mit der öffentlichen Erniedrigung seiner Frau klar zu weit geht.

Deutsche Präzision

Höhepunkt in der «Stier»-Arena war am Samstag aber der deutsche Preisträger Helmut Schleich. Auch er wechselte zwischen verschiedenen Rollen und Spielarten, verblüffte mit seinen schauspielerischen Leistungen aber noch stärker als Ratschiller. Schleich gab unter anderem einen Amokläufer im Gefängnis, der seine Taten mit verstörender Selbstgerechtigkeit erläutert. Auch die anderen Figuren, die Schleich erschuf, sind sprachlich und psychologisch derart exakt beobachtet, dass es den Zuschauern beim Lachen fast schwindlig wurde. Dabei beherrscht Schleich wiederum auch die klassische Stand-up-Comedy, bei der er nichts verschont und mit seinen Wahrheiten zuverlässig dort trifft, wo es wehtut.

Durch den kurzweiligen Abend führte wie bereits am Freitag Lokalmatador Gabriel Vetter, der 2006 der bisher jüngste Preisträger war.

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