«So etwas gab es in der Schweiz noch nicht»

Daniel Jung | 
Noch keine Kommentare

Die Slam-Poetin Lara Stoll tritt heute am Eröffnungsabend des «Salzburger Stiers» im Schaffhauser Stadttheater auf. Im Interview spricht sie über ihren ersten Spielfilm, Konkurrenzdenken und das Älterwerden.

Ist es gerecht, dass Sie noch keinen «Salzburger Stier» im Regal stehen ­haben?

Lara Stoll: Ja, ich finde schon. Seit Jahren habe ich einen anderen Fokus, ich habe ein Filmstudium absolviert, Filme gedreht und Musik gemacht. Ich habe nicht einmal ein anständiges Soloprogramm …

Was heisst das?

Mein Programm ist eher eine Lesung mit Liedern, die rund eine Stunde dauert. Es dauert keine 90 Minuten, und es gibt keine Pause. Es ist also nicht klassische Kleinkunst oder Comedy. Für mich ist es absolut okay, dass ich keinen «Salzburger Stier» habe (lacht).

Hat Hazel Brugger den Preis in diesem Jahr verdient?

Ja, bestimmt hat sie den verdient. In diesem Jahr ist sie die logische Preisträgerin. Niemand war davon überrascht.

Weil sie gerade so erfolgreich ist?

Weil sie gerade so gehypt wird. Und ich finde, sie hat das verdient. Ihr Programm gefällt mir gut. Sie ist unglaublich mutig und sehr engagiert. Sie verfolgt ihre Ziele und ist wirklich talentiert. Man darf diesen Hype zele­brieren. Dabei sollte aber nicht vergessen gehen, dass es in der Schweiz auch noch andere spannende Künstler gibt.

Heute Abend treten Sie im Schaffhauser Stadttheater auf, gemeinsam mit vier anderen Künstlerinnen. Was planen Sie für den Galaabend?

Jede Künstlerin hat etwa 15 Minuten. Ich habe einen ­älteren Slam-Text und einen neueren. Zudem habe ich für den Anlass einen spezifischen Text geschrieben. Ich werde auch etwas Gitarre spielen – das wird extrem schlecht, aber auch lustig. Mehr sage ich besser nicht (lacht).

Sie sind inzwischen in einer Band und sind daher ziemlich routiniert darin, auf der Bühne Gitarre zu spielen, oder?

Ich spiele nicht besonders gut, mache es aber trotzdem. Die Leute finden das lustig. In der Punkband spiele ich die zweite Gitarre. Dort geht es gut, weil es im Gewühl der Klänge untergeht. Musik ist mir aber wichtig. Im Soloprogramm spiele ich auch Lieder auf einer halbakustischen Gitarre. Daneben habe ich ein neues Projekt mit elektronischer Musik in Zürich. Das steht noch ganz am Anfang, es beschäftigt mich derzeit aber stark. Hier singe ich und schreibe die Texte.

Im letzten Jahr wurden Sie erneut ­Vize- Schweizer-Meisterin im Poetry-Slam. Wie oft nehmen Sie noch an Slams teil?

2016 waren meine letzten Meisterschaften, das habe ich entschieden. An Poetry-Slams nehme ich ungefähr noch zweimal im Jahr teil.

Ist das eine nostalgische Rückbesinnung auf Ihre Anfänge?

Nein, mir geht es hauptsächlich um das Publikum und die anderen Slammer. Und ich veranstalte ja weiterhin den Poetry-Slam im Casinotheater Winterthur, wo ich das Line-up zusammenstelle. So bleibt der Kontakt erhalten. Das ist mir wichtig. Insgesamt trete ich heute aber nicht mehr so gerne auf wie früher. Ich habe im Moment ein bis zwei Auftritte pro Woche, das reicht mir. Ich möchte eher weniger auftreten und eher in kleinerem Rahmen.

Reizt es Sie nicht mehr, auf der Bühne zu stehen?

Doch. Auf der Bühne ist es immer noch super. Das Reisen und die Anspannung finde ich aber nicht immer toll. Es gibt einfach viele andere Dinge, die ich lieber mache.

Filme?

Ja, und die ganzen Musiksachen. Ich überlege derzeit auch noch, ein weiteres Studium zu machen. Momentan ist vieles offen.

Sie haben kürzlich Ihren ersten Spielfilm abgedreht. Wann kann man Sie in der Hauptrolle sehen?

Momentan ist Regisseur Cyrill Oberholzer am Schnitt. Es dauert bestimmt noch ein halbes Jahr, bis der Film fertig ist.

Der Film heisst «128 Stunden» und ist ein Remake von «127 Hours» mit James Franco in der Hauptrolle. Es geht um einen dramatischen Kletterunfall, richtig?

Wir haben den Film Schnitt für Schnitt nachgestellt. Man kann beide Filme parallel laufen lassen, und es stimmt alles: Jeder Schnitt und jede Bewegung ist gleich. Jedoch ist die Geschichte eine andere: Ich bleibe mit dem Finger in der Badewanne stecken. «128 Stunden» – so lautet der Arbeits­titel – ist aber mindestens so existenziell wie das Original: Ich bin ständig am Weinen. Der Dreh war ein Horror. Film machen ist Krieg. Wir hatten zuerst zwei Wochen eingeplant. Schliesslich hat es acht Monate gedauert. Die ganze Zeit waren wir in einem Badezimmer. Irgendwann dreht man da durch. So etwas werden wir nicht mehr machen.

Was wird mit dem Film passieren, wenn er ­fertig ist?

Er soll auf jeden Fall im Internet landen, wenn er fertig ist. Es soll auch eine englisch synchronisierte Fassung geben. Ich glaube, dass es eher ein Produkt ist, das international interessant ist. Wir streben aber auch eine Kinoauswertung in der Schweiz an. Im Moment sind wir noch auf der Suche nach Förderung. Ich bin überzeugt, dass es ein guter Film wird. So etwas gab es in der Schweiz noch nicht. Etwas heikel ist die rechtliche ­Situation. Ich möchte trotzdem versuchen, den Film ins Kino zu bringen.

Sie produzieren sehr viel. Wie wichtig ist Ihnen dabei, dass Ihre Filme auch Resonanz haben?

Ich will schon, dass möglichst viele Leute meine Filme sehen können. Es freut mich, wenn ein Film oder eine Sendung von «Bild mit Ton» viele Zuschauer hat. Darum wollen wir aber auch, dass der neue Film dann gratis im Internet geschaut werden kann. Wir finden, dass man alle Filme gratis schauen können soll.

Aber Sie müssen doch auch Miete ­bezahlen, und eine Filmproduktion ist etwas sehr Aufwendiges.

Ja, schon. Aber Filme werden sowieso im Internet angeschaut – ich mache das auch. Man muss heute halt kreativ werden. Musiker verdienen nur noch Geld, wenn sie gute Konzerte … … machen. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam. Damit muss man sich abfinden.

Hat sich Ihr Filmstudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) gelohnt?

Das ist eine gute Frage. Technisch gesehen bin ich eine totale Pfeife. Ton und Kameraführung sind nicht mein Ding. Das Studium hat sich aber in jedem Fall gelohnt, weil ich Filme machen will und an der Schule ein tolles Netzwerk aufbauen konnte. Ich habe Freunde gefunden, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Das Studium war für mich aber zu wenig streng. Es herrscht praktisch kein Konkurrenzdenken. Die Dozenten sind viel zu nett. Man wird gelobt, wenn man überhaupt etwas abgibt am Tag der Deadline.

Mehr Ellenbogen?

Ja. Man müsste die Leute vielleicht etwas stärker schütteln. An Filmfestivals ist die ZHdK im Vergleich zu anderen Filmschulen in der Schweiz leider oft nicht so erfolgreich, obwohl wir die beste Ausrüstung haben. Es mangelt hin und wieder etwas am Inhalt der Geschichten. Die Welschen haben oft bessere Storys. Die ZHdK ist ein Stück weit eine Schoggischule.

Sie sind eine ziemlich ehrgeizige ­Person.

Hartnäckig vielleicht. Ich fände es einfach schön, wenn die Schule etwas härter wäre. Dennoch: Das Studium war für mich eine sehr wichtige Erfahrung. Ich habe viel gelernt und würde es sofort wieder machen.

Sie haben erwähnt, dass Sie eher ­weniger auftreten möchten. Trotzdem haben Sie gerade ein neues Programm erarbeitet: «Krisengebiet 2 – Electric Boogaloo». Wieso?

Es ist die Fortsetzung meines alten Programms, «Krisengebiet 1». Schon das alte Programm habe ich ständig verändert und neue Texte hinzugefügt. Wie das alte besteht auch das neue Programm aus jeweils rund fünfminütigen Slam-Texten zu unterschiedlichen Themen. Alle sind unterhaltsam und eher lustig. Jetzt wollte meine Agentur aber, dass ich ein neues Programm mache. Dafür musste ich viele neue Texte schreiben. Das hat mir gutgetan nach dem achtmonatigen Filmdreh.

Was bedeutet der Titel «Electric ­Boogaloo»?

Das ist eine humorvolle Anspielung auf Fortsetzungen von B-Movies. Und es klingt gut.

Es klingt nach einem Tanz. Sie tanzen aber nicht, oder?

Nein. Aber ich jodle.

Sie jodeln?

Ich gehe immer um zwölf Uhr nachts in meinen Proberaum, damit mich niemand hört. Denn ein Mensch, der jodeln lernt, ist etwas vom Schlimmsten, was man einem menschlichen Ohr antun kann. Ich kann es noch nicht allzu gut, aber es gibt eine kurze Jodeleinlage im neuen Programm – als Unterbruch zwischen zwei Slam-Texten.

Wie wichtig sind für Sie Auftritte an Firmenanlässen und Geburtstagen?

Das mache ich schon häufig. Hier verdiene ich mein Geld. Auch mit den Auftritten mit dem Soloprogramm verdiene ich nicht schlecht. Lukrativer sind aber Auftritte bei Firmen, Institutionen, Schulen und privaten Festen. Das ist für mich sehr bequem.

Wieso bequem?

Ich passe mein Programm etwas an, manchmal schreibe ich extra ein Lied für eine Veranstaltung. Dann reise ich an einen Ort, mache etwa eine halbe Stunde Programm und gehe wieder. Dafür bekomme ich je nach dem mehrere Tausend Franken. Das ist also gut bezahlt.

Suchen die Veranstalter von solchen Anlässen die Provokation?

Nein. Ich trage dort Unterhaltungstexte aus meinem Repertoire vor. Da geht es um Mütter, die einen im Internet stalken, weil sie Facebook entdeckt haben. Es geht um meine verpasste Curlingkarriere oder um Schlaflosigkeit. Das finden die Leute lustig. Ich gehe nicht dorthin, um sie vor den Kopf zu stossen, sondern um sie möglichst glücklich zu machen – und mich selbst möglichst zufrieden.

Warum treten Sie nicht an Hochzeiten auf?

Ich habe bisher zwei oder drei Hochzeiten gemacht, und es war jedes Mal furchtbar. Es ist einerseits ein eher intimer Rahmen. Andererseits ist das Publikum sehr heterogen mit Grosseltern, Onkeln und Kindern. Wenn sich dann das Brautpaar eine Slam-Poetin wünscht, dann kann das auf andere ziemlich verstörend wirken. Firmenveranstaltungen und Geburtstage sind da einfacher.

Mit der Internetserie «Suisis» haben Sie sich dem Terrorismus humoristisch genähert: Darf man sich über den IS lustig machen?

Die Frage ist, ob man dem Terrorismus überhaupt Aufmerksamkeit schenken soll. Wenn man das aber macht, dann darf man sich auch darüber lustig machen. Es geht auch darum, die Angst zu verlieren.

Die Videos kommen daher wie ­Bekennervideos nach Anschlägen …

Ja, es war eine recht gewagte Sache. Ohne den Regisseur Cyrill Oberholzer hätte ich mich das nie getraut. Ich finde es aber immer noch etwas vom Frechsten, was es in der Schweiz je gab. Wir sind damit auch ziemlich abgeblitzt bei den Leuten, manche haben es aber auch sehr gefeiert. Ich bin stolz, dass wir das gemacht haben.

Welche Reaktionen haben Sie ­erhalten?

Allein die Kommentare im «Tages-Anzeiger», wo die Videos veröffentlicht wurden, waren zum Teil sehr gehässig. Ich habe vorher noch nie ein Produkt gemacht, das so starke Reaktionen hervorgerufen hat.

Wie politisch soll Humor sein?

Das ist eine schwierige Frage. In meinem Soloprogramm bin ich fast nicht politisch. Bei der Musik bin ich eher politisch, aber mehr auf gesellschaftlicher Ebene. Beim Film kommt es auf das einzelne Projekt an.

Derzeit findet Comedy insgesamt ­wieder viel Beachtung: In den USA arbeiten sich die Late-Night-Shows an Donald Trump ab, und in Deutschland löst Jan Böhmermann halbe Staats­krisen aus. Ist derzeit eine gute Zeit für den Humor?

Vermutlich schon. Jetzt ist eine gute Zeit, um auf den Zug aufzuspringen (lacht). Jan Böhmermann finde ich oft lustig. Vieles, was er macht, ist wichtig. Die Qualität könnte allerdings noch besser sein. Ihn persönlich finde ich aber total unsympathisch. Er wirkt sehr verbissen und arrogant. Das ist fast schon beneidenswert (lacht).

Warum gibt es in der Schweiz keine Comedy-Stars wie Mario Barth, die ganze Stadien füllen?

Ich glaube, es ist ein ganz anderer Markt. Deutschland ist ein viel grösseres Land. Ich bin eigentlich froh, dass das hier niemand macht (lacht). Aber natürlich fände ich es besser, wenn ein Gabriel Vetter oder eine Hazel Brugger Stadien füllen würden statt ein Mario Barth.

Vom grossen Deutschland zum übersichtlichen Rheinklingen: Sind Sie noch oft im Dorf, wo Sie aufgewachsen sind?

Schon ab und zu, aber nicht ganz regelmässig. In Schaffhausen bin ich auch nicht mehr häufig. Beim letzten Besuch hat es sich etwas komisch ­angefühlt. In der «Schäferei» an der Webergasse hat es mir aber gut ­gefallen.

In Ihren Texten stellen Sie Rhein­klingen oft als Kaff dar. Wie haben die Rheinklinger darauf reagiert?

Keine Ahnung. Man lügt ja nicht, wenn man sagt, dass Rheinklingen ein Weiler ist und kein richtiges Dorf – so ist es einfach. Auch hat es dort wohl mehr Tiere als Menschen, und als junger Mensch kann man kaum dort bleiben. Es ist ein wunderschöner Ort, und ich hoffe, dass meine Eltern dort bleiben, damit ich im Sommer hingehen kann, um Ruhe zu finden und im Rhein zu baden. Aber ich bin ein sehr urbaner Mensch, der in Rheinklingen recht einsam aufgewachsen ist.

Sie planen also keine Rückkehr an den Rhein?

Nein. Ich wohne jetzt seit fünf Jahren mitten in Zürich. Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich gerne etwas in die Agglo ziehen würde. Mir würde es gefallen, in einem Haus mit anderen Künstlern zu wohnen, mit Garten und Tieren. Ich will aber in der Region Zürich bleiben. Dort, wo man als Künstler erfolgreich sein will, muss man auch wohnen.

Morgen werden Sie 30 Jahre alt. Was löst das bei Ihnen aus?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mich kalt lässt. Ich zelebriere das Älterwerden aber auch, etwa wenn mir mein Körper wehtut.

Mit knapp 30 schmerzt Ihr Körper?

Mir tut schon lange alles weh (lacht). Ich trage meinem Körper auch nicht genügend Sorge … Ich finde es lustig, dass ich 30 werde. Es ist offensichtlich an der Zeit. Man weiss inzwischen ungefähr, wer man ist und was man will. Und ich freue mich auf die grosse Party morgen.

«Salzburger Stier»: Preis für Kleinkunst

  • Renommiert: Der Kabarettpreis «Salzburger Stier» ist mit je 6000 Euro dotiert und gilt als wichtigster Kabarettpreis im deutschsprachigen Raum. Er wird heute und morgen im Schaffhauser Stadttheater vergeben – insgesamt zum 36. Mal, aber erst zum vierten Mal in der Schweiz. Moderiert werden beide Abende von Gabriel Vetter. Hinter dem «Salzburger Stier» stehen die Kabarett- und Satire­redaktionen von zehn öffentlich-rechtlichen Radiosendern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol.
  • Freitag: Am Eröffnungs-Galaabend «Veto!» treten Lara Stoll, Stefanie Grob, Knuth & Tucek und Christine Prayon auf.
  • Samstag: Am zweiten Abend treten die Preisträger 2017 auf. Es sind dies Hazel Brugger (Schweiz), Hosea Ratschiller (Österreich) und Helmut Schleich (Deutschland).
  • Schweizer Preisträger: Hazel Brugger (2017), Uta Köbernick (2016), Bänz Friedli (2015), Thomas C. Breuer (2014), Schertenlaib & Jegerlehner (2013), Jürg Kienberger (2012), Knuth & Tucek (2011), Michael Gammenthaler (2010), Manuel Stahlberger (2009), Franz Hohler (2008), Simon Enzler (2007), Gabriel Vetter (2006), Emil Steinberger (2005), schön & gut (2004), Ferruccio Cainero (2003).

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren