Stipendienwesen auf dem Prüfstand

Regula Lienin | 
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Ein Studium – im Bild die Fachhochschule Ostschweiz – will finanziert sein. Wenn die Eltern nicht über die Mittel verfügen, können Stipendien beantragt werden. Bild: Key

In der Schweiz unterstützt der Staat Auszubildende auf allen Stufen mit Stipendien oder Darlehen. Die Unterschiede von Kanton zu Kanton sind gross. Schaffhausen hat dabei keinen besonders guten Ruf. Doch das könnte sich ändern.

Wer in der Schweiz nicht über die finanziellen Mittel für eine Aus- oder Weiterbildung verfügt, dem kann geholfen werden. Theoretisch zumindest. Denn ob es tatsächlich Stipendien oder Darlehen gibt, entscheidet sich von Fall zu Fall und je nach Kanton anders. Zwar gib es ein interkantonales Stipendienkonkordat, dem seit 2018 auch der Kanton Schaffhausen angehört, und mit dem eine gewisse Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen umgesetzt wurde. Dennoch sind die Unterschiede immer noch beträchtlich.

Der Kanton Schaffhausen steht im Ruf, schweizweit zu den knausrigsten Kantonen zu zählen. So enthüllte letzten November ein «Kassensturz»-Beitrag des SRF, dass im Kanton Waadt ein monatliches Durchschnittsstipendium für Studierende doppelt so hoch sei wie im Kanton Schaffhausen, dem Schlusslicht jener Auswertung. Ein Blick auf die Website des Bundesamts für Statistik bestätigt die tiefen Beiträge von Schaffhausen. Philipp Dietrich, Leiter der Dienststelle Berufsbildung und Berufsberatung, bei der die kantonale Fachstelle Ausbildungsbeiträge angesiedelt ist, stellt die Vergleichbarkeit der Durchschnittsbeiträge allerdings infrage. «Die Berechnungsgrundlagen sind nicht in jedem Kanton gleich.» Im Kanton Waadt etwa würden Stipendien und Sozialhilfegelder anders abgerechnet. Man vergleiche daher Äpfel mit Birnen.

Schnelle Schaffhauser

Dietrich fügt weitere Faktoren an, die in die Bewertung des Stipendienwesens einfliessen sollten. Beispielsweise der Faktor Zeit. Hier schneide der Kanton Schaffhausen sehr gut ab. Durchschnittlich 38 Tage daure es, bis ein Entscheid vorliege. Im besten Fall, wenn alle erforderlichen Papiere vorhanden sind, liege der Entscheid gar innert Wochenfrist vor. Ganz anders ist die Situation aktuell im Kanton Zürich. Dort stürzen lange Wartezeiten die Betroffenen in finanzielle Probleme. Bis zu elf Monate verstreichen, bis ein Bescheid vorliegt. Grund dafür sei eine Gesetzesänderung und eine neues Informatiksystem, heisst es auf der Website des zuständigen Amts. Beides wurde 2021 eingeführt.

Auch wenn die Fristen im Kanton Schaffhausen nicht zu beanstanden sind, es tut sich dennoch etwas. Im April überwies der Kantonsrat die Motion «Starkes Bildungssystem dank doppeltem Fehlbetragsmodell» von Tim Bucher (GLP, Schaffhausen) und Raphaël Rohner (FDP, Schaffhausen). Der 25-jährige Bucher studiert Teilzeit an der ZHAW Winterthur und macht einen Bachelor in Betriebsökonomie. Viele seiner Freunde hätten ihn aktiv zu den Problemen im Stipendienwesen von Schaffhausen angesprochen und ihn gebeten, etwas zu unternehmen, schreibt er auf Anfrage zu seiner Motivation.

Unterschied, der viel veränderte

Bucher hat sich, das zeigt ein sogenanntes Workingpaper, das er verfasst hat, in die Materie eingearbeitet. Der freie Zugang zur Bildung und damit die Chancengleichheit ist ihm ein wichtiges Anliegen. Er kenne ein paar junge Erwachsene, die den Besuch der Berufsmittelschule oder auch ein Studium vor grosse Herausforderungen gestellt haben. Zu ihnen zählt auch die 23-jährige Mahela. Die angehende Zeichnungslehrerin hat im November im besagten «Kassensturz»-Beitrag ihre schwierige finanzielle Lage geschildert. Vom Kanton Schaffhausen erhielt sie ein Stipendium von monatlich rund 400 Franken. Viel zu wenig, um die Lebenskosten und das Studium zu finanzieren. Deshalb kam sie damals nur mit drei Nebenjobs über die Runden. Die Realität von Mitstudierenden, die von den Eltern unterstützt würden, sei eine ganz andere. «Sie können viel mehr Zeit ins Studium investieren.»

«Mir wurde geraten, mein Vater soll doch eine seiner Land-maschinen verkaufen.»

Larissa Antragstellerin mit negativem Bescheid

Mahelas Fall zeigt aber auch, dass ein Stipendienbescheid wegen einer Änderung im Umfeld der Eltern – es handelte sich um einen Umzug – ganz anders ausfallen kann. Unterdessen erhält sie nämlich ein Vollzeitstipendium von etwas über 10'000 Franken im Jahr. «Das macht mein Leben viel einfacher», sagt sie. Sie kann sich nun stärker auf das Studium konzentrieren. Und statt mehrerer Nebenjobs hat sie Stellvertretungen an Schulen angenommen; also in jenem beruflichen Umfeld, in dem sie später arbeiten will.

Traum vom Studium geplatzt

Längst nicht alle Stipendien gehen an Studierende an den Fachhochschulen oder Universitäten. Das ist Kantonsrat Bucher wichtig zu betonen. An erster Stelle standen 2021 mit einem Anteil von 32 Prozent Beiträge an Lernende oder BMS-Schüler. An zweiter Stelle lagen mit 21,6 Prozent die Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen und erst an dritter Stelle mit 15,4 Prozent die Studierenden der Universität. «Insofern sind Ausbildungsbeiträge/Stipendien eine wichtige Unterstützungsmöglichkeit für Lehrlinge und könnten als Mittel gegen den Fachkräftemangel angesehen werden», schreibt er.

Neben dem doppelten Beitragsmodell, mit dem laut Bucher der Elternbeitrag realitätsnaher ermittelt werden kann, stehen mit der Motion weitere Vorschläge zur Debatte. Beispielsweise, dass Immobilien und Landmaschinen nicht zur Berechnung des elterlichen Vermögens herbeigezogen werden. Ein Punkt, der der 25-jährigen Larissa zum Verhängnis geworden ist. Sie hat zweimal vergeblich versucht, im Kanton Schaffhausen Ausbildungsbeiträge zu erhalten. Das erste Mal im Zusammenhang mit der Berufsmaturität. Das zweite Mal, als sie sich für den Studiengang Kommunikation an der ZHAW Winterthur entschieden hatte. Nach einem ersten positiven Signal habe sie auch in diesem Fall einen negativen Bescheid erhalten. Erneut mit dem Argument, dass die Eltern über genügend Mittel verfügen würden. Larissa kann diese Begründung bis heute nicht nachvollziehen. Ihre Mutter habe 70 Prozent in einer Küche gearbeitet, der Vater einen landwirtschaftlichen Betrieb geführt. «Mir wurde geraten, er soll doch eine seiner Maschinen verkaufen.» Ein Semester studierte sie Teilzeit in Winterthur. Dann entschied sie sich zum Abbruch – aus finanziellen Gründen und wegen der Länge des Studiums. Mittlerweile arbeitet sie wieder im Detailhandel, wo sie ursprünglich ihre Lehre absolviert hat. Der Traum vom Studium ist geplatzt. Sie sei sicher, dass sie einen anderen Weg finde, sich beruflich zu entwickeln, sagt sie und kann ihre Enttäuschung dennoch nicht ganz verbergen.

Erhöhter Druck auf Regierung

Leider habe man in den letzten Jahren eher zögerlich agiert und mehr «Pflästerlipolitik» betrieben, schreibt Tim Bucher zur Stipendiensituation in Schaffhausen. Doch mit der deutlichen Überweisung der Motion im Parlament ist Bewegung in die Sache gekommen. Schub dürfte dem Ansinnen auch die breite Abstützung verleihen. Der Vorstoss Buchers und Rohners wurde von 40 Parlamentarierinnen und Parlamentarier fast aller Parteien unterschrieben. Die Vorlage wird derzeit erarbeitet.

 

Die neu gegründete Kurt-Schüle-Stiftung soll Lücken schliessen

Unterstützung für eine Ausbildung gewähren nicht nur die Kantone. Seit 2018 beteiligt sich der Bund finanziell an Kursen, die auf eidgenössische Prüfungen vorbereiten – etwa zur Chefköchin oder zum Verkaufsleiter. Ausserdem besteht die Möglichkeit, sich bei einer Stiftung um einen Ausbildungsbeitrag oder ein Stipendium zu bewerben. Die Plattform stiftungschweiz.ch vernetzt Spender, Förderstiftungen und Projektträger sowie Dienstleister und Firmen. Am meisten Einträge erreicht der Bereich Bildung. Seit Anfang Juli gibt es im Kanton Schaffhausen ein neues Angebot, das so neu ist, dass es im Verzeichnis noch nicht enthalten ist: die Kurt-Schüle-Stiftung, benannt nach dem im Januar verstorbenen FDP-Politiker. Wie dem aktuellen Amtsblatt zu entnehmen ist, bezweckt die Stiftung, «Jugendliche aus der Region Schaffhausen, die über geringe finanzielle Mittel verfügen und nicht oder nicht genügend von ihren Eltern unterstützt werden, zu unterstützen, insbesondere in ihrer Ausbildung.»

Was das konkret bedeutet, kann Stephan Schüle, laut Amtsblatt Mitglied des Stiftungsrats, noch nicht sagen. «Wir haben sie eben erst gegründet.» Wo die Stiftung bei der Vergabe Schwerpunkte setzt, müsse in den nächsten Monaten definiert und in einem Reglement dokumentiert werden. Ziel sei, zu bestehenden Angeboten Lücken zu schliessen. Laut Schüle, einem Neffen des Verstorbenen, ist vorgesehen, ab Januar operativ tätig zu werden. Über die Höhe des Stiftungsgeldes macht Stephan Schüle keine genauen Angaben, nur: Es handle sich um einen Betrag, mit dem etwas bewirkt werden könne. Zu den weiteren Mitgliedern des Stiftungsrats zählen laut Amtsblatt die Schaffhauser Stadträtin Christine Thommen (SP) und Philipp Dietrich, Leiter der kantonalen Dienststelle Berufsbildung und Berufsberatung. (rli)

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