Stipendien geraten verstärkt unter Druck

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2016 erhielten 18 432 Studenten auf der Tertiärstufe ein Stipendium. Bild: Key

Wenn die Kantone sparen müssen, geraten rasch die Stipendien ins Visier. Zuletzt war das im Aargau der Fall. Kritiker befürchten, dass solche Sparübungen die Chancengleichheit in der Schweiz gefährden.

von Dominic Wirth

Im Grossen Rat des Kantons Aargau gingen diese Woche die Wogen hoch. Grund war ein Streit um die Stipendien für Studierende auf der Tertiärstufe, also etwa an Universitäten oder Fachhochschulen. Im Kern ging es um eine Grundsatzfrage: Sollen die Studenten einen Teil ihrer Stipendien künftig an den Kanton zurückzahlen müssen? Ja, sie sollen, beschloss das Aargauer Parlament. Künftig haben Studenten nach dem Ende ihrer Ausbildung zehn Jahre Zeit, um dem Kanton einen Drittel der erhaltenen Stipendien zurückzubezahlen. Zuerst kommt das neue Stipendiengesetz aber noch vors Volk, weil die SP einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.

Beim Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) stossen die aargauer Pläne auf Kritik. Co-Präsident Josef Stocker sagt, er halte den Entscheid für «sozialpolitisch unsinnig», weil er junge Menschen dazu zwinge, Schulden zu machen. «Nach der Ausbildung, wenn man am Anfang des Berufs- und oft auch des Familienlebens steht, kann man einen Schuldenberg am wenigsten brauchen», sagt Stocker. Christian Wasserfallen, Berner FDP-Nationalrat, befürwortet das Vorgehen dagegen. «Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass Stipendien zurückbezahlt werden müssen, mit einem Hochschulabschluss hat man schliesslich gute Verdienstmöglichkeiten», sagt der Bildungspolitiker. In der Berufsbildung zahle man wesentlich mehr für Ausbildungen. «Zudem erhöht die Aussicht auf eine Rückzahlung den Druck, ein Studium auch erfolgreich zu beenden», sagt Wasserfallen.

Grund für den Umbau des Stipendiensystems im Aargau sind Sparbemühungen. Derzeit beträgt die Stipendiensumme für Studenten auf der Tertiärstufe 9  Millionen Franken; 3  davon gälten künftig als Darlehen. Die Regierung rechnet mit einem Sparpoten- zial von 1,5 Millionen Franken. Die Aargauer sind nicht die Ersten, die heuer einen Abbau bei den Stipendien beschlossen haben. Im Kanton Luzern wurde im Sommer bekannt, dass das gesamte Stipendienbudget für das laufende Jahr um 2  Millionen Franken gekürzt wird.

Auch in anderen Kantonen sind die Stipendien in der Vergangenheit unter Druck geraten. Ganz generell zeigt ein Blick auf die Zahlen des Bundesamts für Statistik, dass sich am Stipendienvolumen auf der Tertiärstufe in den letzten Jahren kaum etwas verändert hat. Und das, obwohl die Zahl der Studenten im gleichen Zeitraum massiv angestiegen ist. Sie betrug im Jahr 2004 noch knapp 195 000 Personen; 2016 waren es bereits 295 000. Im gleichen Zeitraum wuchsen die Ausgaben für Stipendien von 149,4 auf 157,1 Millionen Franken, während der Kreis der Bezüger sogar schrumpfte, von 20 191 im Jahr 2004 auf 18 432 im vergangenen.

Josef Stocker vom VSS sieht in dieser Entwicklung ein «Versagen der Politik». Eigentlich, sagt der Innerschweizer, müsste das Stipendienwesen in der Schweiz «massiv ausgeweitet» werden. «Es ist gerade mit Blick auf die Digitalisierung enorm wichtig, dass die Leute gut ausgebildet sind», sagt Stocker. Die Schaffhauser SP-Bildungspolitikerin Martina Munz findet derweil, dass der Spartrend die Chancengleichheit in der Schweiz gefährde. «Stipendien sind ein wichtiger Pfeiler des Systems. Wenn wir dort abbauen, erschweren wir jungen Leuten mit wenig Geld den Weg zur Bildungskarriere», sagt Munz. Christian Wasserfallen von der FDP hält das allerdings für Schwarzmalerei: «Ich sehe die Chancengleichheit in der Schweiz nicht in Gefahr. Wer hierzulande wirklich auf ein Stipendium angewiesen ist, soll auch eines erhalten.»

Definition für Notlage fehlt

VSS-Co-Präsident Josef Stocker nimmt angesichts der jüngsten Entwicklungen derweil die Erziehungsdirektorenkonferenz in die Pflicht. Er fordert eine Verschärfung des Stipendienkonkordats, mit dem die Kantone seit 2013 ihr Stipendienwesen vereinheitlichen. Allerdings sind die Unterschiede hinsichtlich der Stipendienhöhe dennoch gross geblieben. 2016 erhielten die Studenten aus Zürich durchschnittlich 10 584 Franken, jene aus St. Gallen 6700 Franken, jene in Luzern 6989. «Auch eine klare Definition, wie arm man für ein Stipendium sein muss, fehlt nach wie vor», sagt Josef Stocker. Er verlangt, dass im Stipendienkonkordat nun eine entsprechende Klausel verankert wird. Dass sich die Kantone – derzeit machen 18 von ihnen beim Stipendienkonkordat mit – bei einem derart weitgehenden Eingriff in ihre Freiheit finden werden, ist eher unwahrscheinlich.

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