Aus dem Chaos rauf auf das Hochseil

Alfred Wüger | 
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Die grosse Halle der Kammgarn, wie sie sich im Jahre 1984 präsentierte. Damals fanden die ersten Veranstaltungen im zweiten Stock statt. Erst 1997 wurde die grosse Halle als Veranstaltungsort eröffnet.Bild Heini Lanz / Stadtarchiv Schaffhausen

1984 begann die Erfolgsgeschichte des Kulturzentrums Kammgarn. Sie dauert bis heute an. Dies dank dem Kampf für das Kulturzen­trum trotz einer verlorenen Abstimmung über einen Sanierungskredit 1994.

«Die Zeit war reif für solche Kulturzentren. Sie entstanden in vielen Städten.» Das sagt Dani Leu, der prägendste Kopf im Kampf um die Entstehung der Kammgarn, zum Grund, warum es 1984 überhaupt zu den Anfängen des heutigen Kulturzentrums kam. Damals standen die ehemaligen Produktionshallen der SchoellerTextil AG bereits seit fünf Jahren leer, und eine Gruppe von rund einem Dutzend junger Künstler veranstaltete im zweiten Stock der Liegenschaft eine Ausstellung. «Das kam gut an», so Dani Leu, der damals als Saxofonist die Vernissage zusammen mit dem Schlagzeuger Bernie Ruch musikalisch umrahmte. «Es standen in dem Gebäude alte Maschinen, und Tauben flogen durch die Räume.»

«So nicht, meine Herren!»

Nach und nach wurden die Anlässe mehr. Für jede einzelne Veranstaltung habe man ins Bauamt pilgern müssen, um den Schlüssel zu holen, erzählt Dani Leu. Ein Jahr später kam es zu einer Schlägerei zwischen Punks und Skinheads, Verletzte landeten im Spital, und Dani Leu und Hanns Heiri ­Aebli, damals auch ein führender Kopf, wurden zu Stadtpräsident Felix Schwank ­zitiert. «So nicht, meine Herren!» habe es geheissen. Aber nach einem ein­stündigen Gespräch kam die Wende: «Schwank erkannte die Komplexität und forderte eine institutionell saubere Basis. Wir bekamen einen Schlüssel und 100 000 Franken, um eine einfache Infrastruktur einzurichten, gründeten ein Komitee mit Stadtbaumeister ­Ulrich Witzig und Grossstadtrat Bruno Merlo. Das war die Basis für das Kulturzen­trum Kammgarn.»

Zehn Jahre lang funktionierte diese erste Kammgarn. Dank der Weitsicht von Felix Schwank und den beiden 68ern Dani Leu und Hanns Heiri Aebli gelang es damals, in Schaffhausen die verschiedensten Kräfte zu bündeln und Krawalle, wie sie etwa in Zürich an der Tagesordnung waren, zu verhindern.

Der Dämpfer kam im Mai 1994, als das Schaffhauser Stimmvolk einen ­Sanierungskredit der alten Kammgarnspinnerei über rund 5,5 Millionen Franken mit 7109 Nein gegen 6344 Ja ablehnte. Dani Leu: «Diese Niederlage löste bei mir eine Trotzreaktion aus. Wir gründeten dann die Interessengemeinschaft, den Contempo-Verein und den Verein Kultur im Kammgarn.» In all diesen Gremien war Dani Leu führend tätig und wurde so nach und nach zum «Mister Kammgarn». Wie das? «Ich war für die Progressiven Organisationen der Schweiz Einwohnerrat in Neuhausen gewesen, ich wusste, wie die Politik funktioniert. Ausserdem hatte ich Ambitionen als Jazzmusiker und wollte Auftrittsmöglichkeiten schaffen.» Ganz generell war viel Know-how da: Monika Niederhauser amtete als ausgebildete Treuhänderin.

«Diese Abstimmungsniederlage löste bei mir eine Trotzreaktion aus, und wir gründeten die Interessengemeinschaft und den Contempo-Verein.»

Dani Leu, führend bei der Gründung des Kulturzentrums

Allen, die sich gerade nach der verlorenen Abstimmung für das Kulturzentrum Kammgarn starkmachten, war klar: Wir müssen uns vernetzen. Das ist gelungen. Dani Leu: «Für mich ist ein Erfolgsfaktor die weitherum ­einmalige Mischung von staatlicher Unterstützung und privater Initiative mit der Interessengemeinschaft als Dach über allem. Dass das alles so gut vernetzt ist von links bis rechts, ist für mich die Sicherheit, dass es mit der Kammgarn bis auf Weiteres so weitergeht.» Dani Leu ist mit dem Erreichten zufrieden. «Es ist eine lange Geschichte, die sich aus dem Chaos, der Anarchie, aus Zufällen heraus so entwickelt hat, und mit der Zeit wurden wir immer ­zielgerichteter, und die Ideen wurden klarer.»

Auch Hausi Naef, heute der Spiritus Rector des Kulturzentrums, blickt zurück. Die Kammgarn ist sein Lebenswerk: «Am Anfang waren es vier Scheinwerfer und eine Bühne aus Paletten, heute ist die Kammgarn aus dem Kulturleben der Stadt nicht mehr wegzudenken.»

«Wir haben kaum Liquidität»

Im Rückblick auf die verlorene Abstimmung 1994 sagt er: «Eine Woche danach eröffneten wir die Beiz. Wir waren entschlossen zu kämpfen.» Trotzdem stellt sich die Zufriedenheit ob des Erreichten bei Hausi Naef nicht ungetrübt ein, denn: «Dass das Kulturzentrum Kammgarn auf finanziell soliden Beinen steht, das habe ich nicht geschafft. Die Akzeptanz der Kammgarn ist gross, aber die Mittel sind bescheiden.»

Vor 20 Jahren habe das Konzept der Beiz gut funktioniert, heute sei aber die Konkurrenz grösser. Es gelte, sich ständig weiterzuentwickeln. Aber natürlich: «Die Kammgarn ist ein wunderbarer Club, ich finde ihn einen der schönsten, die ich je gesehen habe, nur gehen wir notgedrungen sehr wenig Risiko ein. Wir haben kaum Liquidität. Aber die Kammgarn wird es auch in 20 Jahren noch ­geben, ja, doch der Betrieb ist ein permanenter Hochseilakt.»

«Ich ergriff die Flucht nach vorn»

metin

Die abgelehnte Kammgarn-Abstimmung 1994 ist der Grundstein für das «Orient». Dies sagt der Betreiber des Lokals an der Stadthausgasse, Metin Demiral. Er hatte seit den Anfängen der Kammgarn im Keller ein Tonstudio betrieben und gleichzeitig mit der Band Café Türk dort geprobt. «Ich habe quasi von der Musik gelebt. Auch für Radio Munot machte ich Spots. Ich habe zum Teil dort unten gewohnt. Das war eine Drehscheibe für 40, 50 Musiker.» Es sei eine absolut gute Zeit gewesen. «Wir konnten machen, was wir wollten, und wir hatten nie die Polizei im Haus.» Nach der verlorenen Abstimmung installierte Metin Demiral sein Studio im «Orient» und begann, Konzerte zu organisieren. «Ich ergriff die Flucht nach vorn.»(Wü.)

«Ich habe es auch so gemeint»

hess

Ja, sagt der damalige Stadtpräsident Max Hess, er erinnere sich an jenen denkwürdigen Abend im Jahre 1994. «Wir waren in Bern am Fussball-Cup­final GC – Schaffhausen, und Schaffhausen hatte gut gespielt, aber verloren. Als wir nach Hause kamen, war auch die Kammgarn-Abstimmung verloren. Die Stimmung in der Kammgarn war sehr gedrückt. Ich habe gesagt: ‹Wir werden das in einer anderen Form zum Fliegen bringen.› Aber ich habe das nicht nur gesagt, ich habe es auch so gemeint. Wenn man im ersten Anlauf nicht reüssiert, dann muss man dranbleiben. Zur Kammgarn ganz allgemein: Es war immer mein Anliegen, dass es neben der etablierten Kultur auch noch etwas gibt, das schwergewichtiger die Jungen anspricht.»(Wü.)

«Die Kammgarn war ein Sprungbrett»

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Andi Bossert war schon als junger Mann vom Kochen besessen. Er stürzte sich in die Philosophie des Zubereitens der Speisen, und die Kammgarn wurde zu seinem Tummelfeld. «Dort war meine erste Küche, und ich konnte meine Ideen, zusammen mit dem ­Küchenbauer, einbringen.» Sogleich stellte sich der grosse Erfolg des heute international gefragten Mietkochs ein: Die Tafelrunden in der Kammgarn waren eine Zeitlang fast ein Kult im Kulturzentrum. Dann zog es Andi Bossert weiter. «Die Kammgarn war für mich eine wichtige Etappe», sagt er heute, «ein Sprungbrett. Ich bin glücklich und stolz, dass ich dort mithelfen konnte. Ich wollte aus der Küche einen Kraftplatz machen, sodass niemand daran vorbeikommt.»(Wü.)

«Wir waren alle jung und beseelt»

feuerr

Dass die Kammgarn die vier Institutionen Aktionshalle, Vebikus, TapTab und die Beiz unter einem Dach vereine, sei ihre grosse Stärke. Dies sagt Thomas Feurer. Und: «Dani Leu war der Visionärste von allen, politisch sensibel und gebildet. Er und Hausi Naef sind die wichtigsten Köpfe. Dank Hausi Naef sieht die Kammgarn aus, wie sie aussieht. Der Kammgarn-Style, das ist Hausi. Er zieht das seit über 30 Jahren durch.» Und im Rückblick auf damals: «Wir waren alle jung und beseelt von der Idee dieses Kulturzentrums, und wir merkten, wir brauchen Leute aus allen Parteien. Die müssen wir alle an einen Tisch bringen. Das ist gelungen. Und Max Hess kam und machte uns Mut nach der verlorenen Abstimmung. Das war seine grösste Leistung.»(Wü.)

 

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