Reise in die Vergangenheit: Worüber die SN 1960 schrieben

Manuel von Burg | 
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Symbolbild

Ein «Abenteurer» stellt mit seinen äusserst kreativen Betrügereien halb Europa auf den Kopf, in «fortschrittlichen Läden» gibt es nun Scheibenkäse zu kaufen und Bundeskanzler Konrad Adenauer äussert sich zur politischen Lage: Darüber schrieben die Schaffhauser Nachrichten am 24. Februar 1960.

In unserer Serie «Reise in die Vergangenheit» liefern wir Ihnen eine Auswahl der interessantesten, amüsantesten oder auch kontroversesten Meldungen der Vergangenheit aus den Schaffhauser Nachrichten. Die Artikel sind für Abonnenten kostenlos in unserem Archiv verfügbar.  

Catch me if you can: Ein Gauner stellt halb Europa auf den Kopf

Eine amüsante Meldung publizierten die SN 1960 unter dem Titel «Ein Abenteurer». Die Geschichte über Raoul Page klingt, als wäre sie einer Hollywood-Komödie entsprungen:

Raoul Page wurde in Belgien aufgrund einer Betrugsaffäre verhaftet. Er hatte einer Frau unter einem Vorwand 5000 belgische Franken abgenommen. Doch der Mann hatte auch sonst viel zu verbergen. Oder wie die SN schrieb: «Man wurde dann gewahr, dass man einen der erstaunlichsten Abenteurer unserer Zeit vor sich hatte. Sein Leben ist in der Tat nichts anderes als eine Folge von Betrügereien und Simulationen.» Es folgt eine chronologische Erzählung seiner Gaunereien:  «Page hat Belgien im Alter von 18 Jahren verlassen und wurde in Frankreich alsbald wegen Betrügereien und Simulationen verhaftet. Er meldet sich dann bei der Fremdenlegion, die er bald wieder verlässt. Im Jahre 1940 begegnet man ihm als Kämpfer in Asien. Nach seiner Entlassung geht er nach Boulogne, wo er verschiedene Diebstähle verübt, und begibt sich dann wieder nach Belgien, um sich dem Schwarzhandel zu widmen. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt kehrt Page nach Frankreich zurück, wo er mit einem Priestergewand angetan Vorträge über die deutschen Gefängnisse hält, die er gar nicht gekannt hat.»
 

Page scheint sich mit einem legalen Lebensstil nicht anfreunden zu können. Er wird zwar von der schweizerischen Justiz überführt, kann sich aber auch aus dieser Situation befreien:  «In der Schweiz wird Page verhaftet, doch kann er seine Richter hinters Licht führen und wird dann wieder freigelassen.» Seine Betrügereien finden kein Ende (genau wie seine Kreativität, diese auszüben): «Wiederum flüchtet Page nach Belgien, wo er bald nach seiner Rückkehr wegen Betrugs zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wird. Darauf wird er mit Hilfe falscher Diplome Chemie-Ingenieur, Repetitor, Französischlehrer für Fernkurse und sogar Lehrer an einer Schule. Schliesslich eröffnet Page eine Buchhandlung und gibt Vorträge über Eheprobleme, während er selbst in Doppelehe lebt. Er hat sich tatsächlich zweimal verheiratet, ohne dazwischen ein Ehescheidungsverfahren einzuleiten.» Und das Beste kommt zum Schluss: Wie verteidigt sich Page vor Gericht? Ganz einfach:  «Vor seinem Richter behauptet Page nun, sich an nichts zu erinnern.» 

 

Revolution in der Lebensmittelindustrie: Der Scheibenkäse ist geboren

Ebenfalls amüsant: Eine erstaunliche Errungenschaft der Technik: Der Scheibenkäse ist geboren, der sich «in fixfertigen Scheiben» spielend aus der Folie lösen lässt. Das Resultat: Ein «reizendes Käsebrot» (die Scheibenkäse gibt es laut der Werbung aber nur in «allen fortschrittlichen Läden»). 

 

«Taten wiegen mehr als Worte» Konrad Adenauers Sicht über das Weltgeschehen

«Um die gröbsten Spannungsmomente möglichst umfassend zu mildern, wird es nach meiner Ansicht gut sein, auf der nächsten West-Ost-Gipfel-Konferenz und während der weiteren internationalen Besprechungen vor allem die kontrollierte Abrüstung der nuklearen wie auch der konventionellen Waffen zu erstreben

Politisch gesehen war das Jahr 1960 von grosser Tragweite. Die Spannungen zwischen dem Westen und dem Osten waren gross. Dies konnte man auch aus den SN entnehmen: Die Zeitung druckte auf der Titelseite einen längeren Beitrag unter dem Titel «Taten wiegen mehr als Worte» vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Der Artikel ist insofern spannend, als aus ihm einerseits sehr genau auf die vorherrschenden Gefühle über das Weltgeschehen geschlossen werden kann. Andererseits gibt der Artikel auch einen interessanten Einblick in das politische Vorgehen, so wie es Adenauer vorsieht:  

«Wenn der Westen trotz allem einen dauerhaften Frieden im Zeichen der Freiheit für alle Völker erreichen will, dann muss er sich ebenso geduldig wie bestimmt verhalten. Wir müssen davon ausgehen, dass auf keiner der kommenden Konferenzen alle Probleme mit einem Male gelöst werden können. Die Sache ist zu wichtig und zu entscheidend für die Zukunft der Welt, als dass man nicht das Aeusserste an Geduld aufbringen müsste. Allerdings muss vermieden werden, dass die Geduld des Westens wie Schwäche aussieht. Bis die kontrollierte Abrüstung erreicht ist, muss der freie Westen mindestens so stark wie Sowjetrussland bleiben, sonst kommen wir nie dazu, dass die Furcht verschwindet und der wahre Friede in der Welt wieder einzieht.» 

 

Ein Monatslohn von 200 Franken

Und zum Schluss: Auch ein kleines Inserat kann sehr aufschlussreich sein. Im Stellenanzeiger der SN erfährt man nicht nur, welche Berufe damals von Bedeutung waren, sondern dieses Mal auch, was die Menschen damals verdienten (als Mädchen für Haushalt und Mithilfe im Laden: 200 Franken im Monat) und welche zusätzlichen Angebote die Arbeitgeber zu Verfügung stellten (Bürohilfe kann auch zu Hause schlafen). 

 

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