Himmlische Rockband ist grösser geworden

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26. April 2008: Prince auf der Bühne des Coachella Valley Music and Arts Festival in Indio, Kalifornien. Bild: Key

2016 war ein trauriges Jahr für die Rockmusik: Wohl noch in keinem Jahr zuvor starben so viele prägende Künstler. Eine Epoche ­vergeht, ihre Werke bleiben.

VON ERWIN KÜNZI

«Time waits for no one, and it won’t wait for me» sang Mick Jagger schon 1974. Dass die Zeit nicht wartet, nicht stehen bleibt, sondern unerbittlich abläuft, auch für die Grössen der Rockmusik der 60er- und 70er-Jahre, zeigte sich im zu Ende gehenden Jahr besonders deutlich. Immer wieder erreichten uns Meldungen, dass Künstler, die kurz vor oder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren worden sind, verstorben sind. Darunter befanden sich Persönlichkeiten, die die Rockmusik über Jahre prägten.

David Bowie, der am 10. Januar 69-jährig verstarb, war einer von ihnen. Nachdem er sich in den 60er-Jahren als Sänger, Mime, Schauspieler und Tänzer versucht hatte, gelang ihm 1969 mit «Space Oddity» ein erster Hit. Der grosse Durchbruch kam Anfang der 70er-Jahre, als er sich als Ziggy Stardust neu erfand. Diese Wandelbarkeit, dieser Wechsel nicht nur des Erscheinungsbildes, sondern auch in der ­Musik, wurde zum Markenzeichen ­Bowies, der bis zu seinem Tod Trendsetter und Stilikone war und ein vielfältiges Werk hinterlässt.

Prince und sein Vermächtnis

Ähnliches lässt sich von Prince sagen, der am 21. April erst 57-jährig an einer Medikamentenvergiftung starb. In seiner Musik mischten sich Funk, Soul und Rhythm ’n’ Blues, versehen mit einer Prise Jimi Hendrix, oft erotisch («Sexy Motherfucker»), aber auch mal minimalistisch («Kiss»). Seine Songs verschafften anderen Hitparadenplätze, von den Bangles («Manic Monday») bis Sinead O’Connor («No­thing Compares 2 U»). Seine Konzerte waren grandios, seine Schaffenskraft war scheinbar unbegrenzt, der Verlust ist riesig.

Ein Vierteljahrhundert mehr war einem anderen Grossen vergönnt: Leonard Cohen war 82, als er am 11. November starb. Der Dichter aus Kanada mit der charakteristischen Stimme schrieb und sang wie kein anderer über Liebe und Tod, er war der Beichtvater aller unglücklich Verliebten, er galt als Liebling der Frauen, obwohl oder gerade weil er mehr an der Liebe verzweifelte, als mit ihr glücklich zu werden. Seine Songs, von «Suzanne» über «Famous Blue Raincoat» bis zu «Hallelujah», viele von anderen Sängerinnen und Sängern gecovert, werden ihn überleben.

Frey, Miterfinder des Countryrock

Doch Bowie, Prince und Cohen waren nicht die Einzigen, deren Leben 2016 zu Ende ging. So viele wie noch nie, so dünkt es einem, erlitten in diesem Jahr das gleiche Schicksal. Hier seien nur einige genannt: Glenn Frey (67) starb am 18. Januar. Er war Anfang der 70er-Jahre Mitbegründer der ­Eagles. Diese machten, aufbauend auf den Vorarbeiten der Byrds («Sweetheart of the Rodeo») und von Gram Parsons und den Flying Burrito Brothers («Gilded Palace of Sin»), den Countryrock massentauglich. Glenn Frey und seine Mitmusiker erreichten mit ihren Songs, oft von Frey komponiert, ein Millionenpublikum.

Gleich zwei der drei Musiker von Emerson, Lake & Palmer verstarben in diesem Jahr: Keith Emerson (72), der schon bei The Nice seine Virtuosität auf den Tasteninstrumenten unter Beweis gestellt hatte, verübte am 10. März Selbstmord. Der Sänger, Gitarrist, Bassist und Komponist Greg Lake, der von King Crimson zu der Gruppe kam, starb am 7. Dezember. Die beiden hatten ELP zur führenden Progressiv-Rock-Gruppe gemacht. Leon Russell (74) stand nicht so stark im Rampenlicht wie andere, dafür arbeitete er praktisch mit allen Grossen der Rockmusik zusammen, zuletzt mit Elton John, mit dem er ein gemeinsames Album aufnahm, das John mit den Worten kommentierte: «Dass er mit mir arbeitet, ist eine grosse Ehre für mich.»

Russell war Pianist, Sänger, Komponist und Bandleader. Seine Songs wurden immer wieder gecovert, von Joe Cocker («Delta Lady») bis Amy ­Winehouse («A Song for You»). Er starb am 13. November. Rick Parfitt (68) war seit 1967 Mitglied von Status Quo. Zweimal sollte der Gitarrist mit Status Quo in Schaffhausen auftreten, zweimal verhinderte dies ein Herzinfarkt. An Heiligabend erreichte uns die Nachricht von seinem Tod.

In der Mitte der Gesellschaft

Die Zeit wartet also nicht, sie vergeht, aber sie bringt den Rockveteranen nicht nur den Tod, sondern auch Anerkennung und Würdigung. Wenn sie live auftreten, auch wenn nicht mehr alle Originalmitglieder dabei sind, sind die Hallen, oder wie im Fall von Status Quo diesen Sommer in Schaffhausen, die Plätze voll. Ausverkauft wird nächstes Jahr auch das Konzert der Rolling Stones in der Schweiz sein, nicht zuletzt deshalb, weil es das letzte in unserem Land sein könnte.

Anerkennung und Würdigung gibt es aber auch vom traditionellen Kulturbetrieb. Beim Start in den 60er-Jahren oft abgelehnt und verspottet, sind die Rockmusiker heute in der Mitte der Gesellschaft angelangt. So schmückt etwa seit Februar 2015 eine blaue Plakette von English Heritage, die seit 1866 historische Gebäude und Orte in England auszeichnet, den Perron 2 des Bahnhofs von Dartford. Dort trafen sich am 17. Oktober 1961 Mick Jagger und Keith Richards. Der eine trug Blues-Platten, der andere eine Gitarre unter dem Arm. Die beiden kamen ins Gespräch, der Rest ist Geschichte. Und dass Bob Dylan dieses Jahr (endlich) den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, gehört ins gleiche Kapitel.

Noch ist es nicht dunkel

Die Zeit läuft also noch, und sie ermöglicht auch Alterswerke, die so nicht unbedingt erwartet werden durften. So veröffentlichten die ­Rolling Stones im Dezember mit «Blue & Lonesome» ein Album mit Bluescovers, das mit seiner Kraft und Vitalität überraschte. Ein weiteres Album, diesmal mit Eigenkompositionen, soll bald folgen. Und ja, Mick Jagger (73) wurde dieses Jahr wieder Vater, zum achten Mal übrigens. Es ist also «not dark yet», um es mit Bob Dylans Worten zu sagen.

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