Österreich steht ein Rechtsrutsch bevor

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Österreichs amtierender Kanzler Christian Kern (SPÖ, links) und der Favorit auf dessen Nachfolge, Aussenminister Sebastian Kurz (ÖVP), bei der gestrigen TV-Debatte. Bild: Key

Der Ausgang der morgigen Nationalratswahl in Österreich bleibt ungewiss. Entweder begräbt ein Rechtsrutsch mit dem jüngsten Kanzler ­aller Zeiten die rot-schwarze Dauerkoalition – oder es gibt eine Überraschung in letzter Minute.

von Rudolf Gruber

Zum Schluss gibt’s noch ein grosses Wahlzuckerl. Drei Tage vor der Wahl beschloss der Nationalrat ein Massnahmenpaket von einer halben Milliarde Euro: mehr Geld für Rentner, kostenloser Internatsaufenthalt für Lehrlinge, rechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, finanzielle Unterstützung und besserer Rechtsbeistand für Behinderte am Arbeitsmarkt, besserer Schutz für ­Patienten und anderes mehr. Dieses Paket enthält Lösungen, die jahrelang an wechselseitigen Blockaden in der rot-schwarzen Koalition scheiterten.

Seit Ausrufung der Neuwahl im Sommer herrscht im Parlament das «freie Spiel der Kräfte», wie es Kanzler Christian Kern genannt hat. Die Fraktionen haben sich für ihre Themen einfach wechselnde Mehrheiten gesucht – und gefunden. Nach der Wahl wird dieses attraktive Modell wohl wieder einer stabilen Regierungsmehrheit weichen müssen. Zur Überraschung vieler Beobachter gab es zum Wahlkampffinale erstaunlich sachliche, ja sogar versöhnliche Töne in der letzten TV-Debatte der fünf Spitzenkandidaten, der sogenannten Elefantenrunde. Nach monatelangem Hickhack und den Schlammschlachten, die schon das politische Klima endgültig vergiftet zu haben schienen, gab es wie gewohnt keinerlei Koalitionsaussagen, dafür aber intelligente und praktikable Ideen, um den Reformstau in Österreich zu lösen. «Diesen Wahlkampf hätten wir uns ersparen können», zog Bundeskanzler Kern eine eher nüchterne Bilanz und nahm seine SPÖ davon nicht aus, welche die widerwärtigste Schmutzkampagne – gegen den konservativen ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz – zu verantworten hat.

Der Nationalrat wird nach dem 15. Oktober deutlich anders aussehen als zuletzt (die Mandatsverteilung hat sich seit der letzten Wahl 2013 we- gen mehrerer Fraktionswechsel leicht verändert): SPÖ und ÖVP hatten je 51 Sitze, die rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) 38, die Grünen 21, Neos 8, Fraktionslose 14. Die stärkste Zäsur dürfte die SPÖ erfahren: Die Ära der roten Kanzler, die seit 1970 mit sechs Jahren Unterbrechung – die schwarz-blaue Koalition unter Schüssel/Haider – andauert, dürfte wohl zu Ende gehen. Favorit auf den Kanzlersitz ist Neo-ÖVP-Chef Kurz. Der erst 31-jährige amtierenden Aussenminister warb gestern bei einer Schlusskundgebung einmal mehr eindringlich, für sein Programm «der grundlegenden Veränderung des politischen Systems in Österreich» zu stimmen.

«Kann Überraschungen geben»

Auf die scheinbar sichere Neuauflage einer ÖVP/FPÖ-Koaliton wollen sich Meinungsforscher dennoch nicht festlegen. «Es kann», so der Politologe Peter Filzmaier, «durchaus Überraschungen geben.» So zeigen neueste Trends, dass die Kanzlerpartei SPÖ aufholt; sie lag lange bis zu 9 Prozentpunkte hinter der ÖVP. Analysen besagen auch, dass Schmuddelkampagnen die Wähler wenig beeinflussen, was vor allem der SPÖ zugutekäme. Demnach könnte die FPÖ ihr Ziel, zweitstärkste Partei zu werden, verfehlen. Was aber die Chance ihres Kandidaten Heinz-Christian Strache auf Regierungsbeteiligung nicht schmälert. Am meisten Stimmen kostete die FPÖ jedoch der Höhenflug von Kurz, der Strache das Monopol auf das Topthema Flüchtlinge/Migration entrissen hatte.

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