Eine Spurensuche in Wilders’ Land

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Der konservative Islamgegner Geert Wilders wird von seinen Anhängern wie ein Popstar gefeiert.Bild Key

Vor den Wahlen in den Niederlanden am 15. März fordert Geert Wilders die etablierten Parteien heraus. Volendam ist seit Jahren eine Hochburg des Rechtskonservativen. In der idyllischen Stadt, die lediglich rund 25 Kilometer nördlich von Amsterdam liegt, hat bei den letzten Parlamentswahlen fast jeder Zweite für Wilders’ Partei gestimmt.

Von Remo Hess

Auf der Küstenpromenade flanieren die Touristen, aus den bunten Geschäften gucken freundlich die Einheimischen. Die Wintersonne spiegelt sich im Ijsselmeer, sanft schaukeln die Boote auf und ab. Eigentlich ist in Volendam die Welt noch ziemlich in Ordnung. Doch unter der Oberfläche rumort es. Kaum sonst wo in den Niederlanden kann der Rechtskonservative und Islamgegner Geert Wilders auf mehr Unterstützung zählen. Das ehemalige Fischerdorf rund 25 Kilometer nördlich von Amsterdam ist seit Jahren eine Wilders-Hochburg. Beinahe jeder Zweite hat beim letzten Urnengang die PVV, Wilders’ Partei der Freiheit, gewählt. Als der Politiker kurz dar­auf den Ort besuchte, wurde er wie eine Art Popstar empfangen.

Bei den in zwei Wochen stattfindenden Parlamentswahlen soll der Triumph noch deutlicher werden. Der 28-jährige Kurt, von Beruf Kundenmaler, ist sich sicher: «85 Prozent in Volendam werden Wilders wählen.» Seine drei Freunde stimmen der steilen Prognose zu: «Von uns wählt jeder Wilders.» Warum? Das sei doch klar: Das Land liege am Boden, die Politiker seien selbstgefällig und ignorant. Die vielen Marokkaner würden dem Staat auf der Tasche liegen und seien zu faul zum Arbeiten. Zudem bedrohe der Islam die niederländische Kultur. Er wisse, wovon er rede, sein Vater sei Polizist in Amsterdam, so Kurt.

Siedlungen aus dem Bilderbuch

Dabei liegt zumindest Volendam ganz und gar nicht am Boden. Dem 22 000-Einwohner-Städtchen geht es gut. Hunderttausende Touristen werden für Tagesausflüge aus dem nahen Amsterdam hergekarrt. Die Arbeitslosigkeit ist tief, und Ausländer respektive Flüchtlinge sieht man auch keine. Die Volendamer verdienen überdurchschnittlich gut, und die meisten, auch viele Junge wie Kurt, besitzen ihr eigenes Haus, das sich wie im Bilderbuch in kleinbürgerliche Reihensiedlungen einfügt. Gesprächsanfragen, weshalb die politische Stimmung in ihrer Gemeinde trotzdem so geladen sei, lehnt die christdemokratische Bürgermeisterin Mevrouw Sievers aber ab. Man wisse selbst nicht, woher der hohe Zuspruch komme, heisst es.

Stattdessen wird auf Wim Keizer verwiesen, den Leiter des Volendamer Heimatmuseums. Dieser habe Erfahrung mit Journalisten aus aller Welt. Keizer ist 75 Jahre alt und ein gemütlicher, freundlicher Herr. Im Gespräch schwärmt er von der Schweiz, die er auf seinen Wanderungen auf dem Jakobsweg durchquert hat. Noch mehr gefällt ihm aber Volendam, wo er aufgewachsen ist und dessen Geschichte er seit 40 Jahren als Museumsvorstand konserviert. Spontan gibt er die erste Strophe der inoffiziellen Ortshymne «Mooi Volendam» («schönes Volenda») zum Besten. Geschrieben hat das Lied die Volendamer Band Canyon. Die Gruppe spielte den «Palingsound», eine Variante des Sixties-Pop, die sich in den 70er-Jahren in Volendam entwickelt und von hier aus ganz Holland erobert hat.

Der Palingsound ist aber nur eines von vielen Beispielen, wie sehr Volendam in den Niederlanden eine kulturelle Sonderstellung innehat. Keizer erzählt etwa von der Volendamer Tracht mit ihren weissen Spitzenhäubchen, fabriziert in feinster Klöppelei, die mittlerweile zum Inbegriff der holländischen Nationaltracht geworden ist. Oder die Religion: Im Gegensatz zu sämtlichen anderen Gemeinden weitum sind die Volendamer seit jeher stolze Katholiken geblieben und haben sich der Reformation erfolgreich widersetzt.

«Sack-Füller» in Den Haag

Die Abgrenzung gegen «die anderen», ob es die «Mehrbesseren» in der Schwestergemeinde Edam oder die muslimischen Einwanderer sind – sie scheint fester Bestandteil der kulturellen Identität Volendams zu sein. Laut Keizer liegt der Grund auch in der Vergangenheit als Fischerdorf: Der harte Alltag der Fischerei hat die Gemeinde über Jahrhunderte zusammengeschweisst. Dagegen hätten die Regierenden in Den Haag, die «Sack-Füller», wie Keizer sie nennt, keine Ahnung von der Realität. Noch schlimmer sind anscheinend nur die Eurokraten in Brüssel. Seit die EU die Fangquoten im Ijsselmeer beschränkt habe, sei die Fischerei praktisch zum Erliegen gekommen. Vor 100 Jahren habe es in Volendam noch 250 Fischerboote gegeben, heute seien es noch gerade vier. Er selbst habe Briefe nach Brüssel geschrieben, sich beschwert, aber nie eine Antwort erhalten, so Keizer.

Dass der Niedergang der Fischerei mit der Errichtung des Dammes begann, der die Meeresbucht seit 1932 vom Wattenmeer abtrennt, will Keizer zwar nicht leugnen. Trotzdem: Brüssel bleibt der Feind. Durch den Verlust der Grenzen und die unkontrollierte Immigration wähnten die Volendamer ihre lokale Kultur bedroht, erklärt Keizer. Und für ihn ist klar: «Geert Wilders ist der Einzige, der dieser Entwicklung entgegentritt.» Das, was Angela Merkel gemacht habe, das gehe doch nicht: «Europa hat nicht Platz für 100 Millionen Afrikaner.» Keizer betont dabei, dass die Volendamer alles andere als Fremdenfeinde oder gar Rassisten seien. Volendamer seien nette Leute. Fanatiker, die Marokkaner durch die Strassen jagten, gebe es hier nicht. Man müsse sich nur anpassen, Dialekt lernen, den Fussballverein besuchen – «sich normal verhalten», sagt Keizer, der selbst 28 Jahre im Gemeinderat sass. Wer das tue, sei herzlich willkommen. Alle anderen hätten in Volendam jedoch nichts verloren. Punkt.

Der «Wilders-Effekt»

«Sich normal verhalten» – das forderte kürzlich auch der niederländische Premierminister Mark Rutte in einem mit «An alle Niederländer» überschriebenen Inserat. Was das heisst, führte er gleich aus: nicht in Gruppen herumhängen, nicht den Busfahrer bespucken, nicht Frauen hinterherpfeifen und keinen Abfall auf die Strasse werfen. Normal ist dagegen, dass man sich die Hand gibt, Lehrer respektiert, arbeiten geht. Dass der Appell des konservativ-liberalen Regierungschefs vor allem an Immigranten und Flüchtlinge gerichtet war, die sich nicht an die Regeln halten, das war dabei jedem klar. Ihnen sagt Rutte: «Verhaltet euch normal – oder geht!» Die PR-Aktion zeigt, wie stark der niederländische Politdiskurs mittlerweile von Geert Wilders beeinflusst wird.

Vom «Wilders-Effekt» sprechen Politikwissenschaftler wie Claes de Vreese von der Universität Amsterdam (siehe Interview auf Seite 3). Doch in Volendam kommen solche Manöver bis jetzt nicht an. Hier wählt man lieber das Original als die Kopie. Ob es Wilders dereinst besser machen würde als all die anderen Politiker, ist dabei gar nicht so wichtig, wie Keizer durchblicken lässt. Denn: «Die Leute, die für Geert Wilders stimmen, tun das aus Wut und Protest.» Ähnlich sieht das auch Tess, die am Sonntagabend im Pub an der Küstenpromenade mit Freunden einen Geburtstag feiert. «Wilders ist wie Trump – er zwingt die Mächtigen zu reagieren», so die Bankangestellte Anfang 40. Angst davor, dass Wilders auch wie Präsident ­Donald Trump in den USA ein Chaos anrichten wird, hat sie aber nicht: «Wilders wird niemals Premierminister werden», sagt sie mit einem Lächeln. Das wisse in den Niederlanden jeder – sogar in Volendam.

Wahlen – Bis zu 70 Prozent sind noch unentschlossen

Am 15. März sind rund 13 Millionen Niederländer aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Lange galt die Partei der Frei- heit (PVV) des Islamkritikers Geert Wilders als Favoritin. In neusten Umfragen konnten die Liberal-Konservativen der VVD-Regierungspartei jedoch aufholen und liegen nun Kopf an Kopf mit der PVV. Doch das Rennen dürfte bis zum Schluss offen bleiben: Die Niederländer entscheiden sich traditio-nell erst kurz vor der Wahl. Analysten gehen zurzeit von noch 60 bis 70 Prozent Unentschlossenen aus.

Selbst wenn Wilders die Wahl gewänne, dürfte es ihm schwerfallen bis unmöglich sein, eine Regierung zu bilden. Die niederländische Parteienlandschaft ist extrem zersplittert: Insgesamt 28 Parteien treten zur Wahl an. Nur den Liberalen von Regierungschef Mark Rutte und Wilders’ PVV wer- den Chancen um die 20 Prozent eingeräumt – weitere fünf Parteien bewegen sich zwischen acht und zwölf Prozent. Für eine Regierungsbildung müsste also eine Koalition von vier bis fünf verschiedenen Parteien geschmiedet werden.

EU-Austritt, keine Moscheen

Doch eine Zusammenarbeit mit Wilders haben praktisch alle Parteien kategorisch ausgeschlossen. Wilders führt einen aggressiven Wahlkampf auf dem Buckel von Muslimen und der EU. Bei einem Wahlsieg stellt er ein Verbot des Korans, die Schliessung von Moscheen und den EU-Austritt in Aussicht.

Zu einer direkten Konfrontation per Debatte ist es zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte und Wilders bisher nicht gekommen. Wilders hat Ende letzter Woche seine Teilnahme an der ersten nationalen Radiodebatte vor der Wahl mit Spitzenkandidaten von neun Parteien abgesagt. Wilders lehnte auch die Teilnahme an einer TV-Debatte ab.

Wilders hatte im Laufe der letzten Woche wegen einer undichten Stelle beim Personenschutz – von dem er wegen Drohungen konstant bewacht wird – alle öffentlichen Auftritte während des Wahlkampfes ausgesetzt.

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