Sorge um den Ramsemer Dorfkern

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Ramsen ist in den letzten Jahren moderat gewachsen und verfügt über ein reiches Vereinsleben. Doch das alte Dorfzentrum droht in einen Dornröschenschlaf zu fallen.

von Mark Liebenberg und Daniel Jung

Aus Ramsen gäbe es manch eine Geschichte zu erzählen. Zum Beispiel jene, dass das Dorf lange eine katholische Enklave im reformierten Kanton Schaffhausen war. Dass hier 1799 russische Koalitionstruppen gelagert haben sollen, weshalb bis heute ein Ortsteil Moskau heisst und ein anderer Petersburg. Oder die Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg, wo sich etliche Flüchtlinge über die Landesgrenze, die hier im grünen Feld verläuft, in Sicherheit bringen konnten. Oder zum Beispiel die Geschichte der berühmten Familie Gnädinger mit dem Kunstmaler Seppel und dem Schauspieler Mathias.

Im Sommer 2018 jedoch bewegen die Ramsemer ganz andere Dinge. Das Leben pulsiert an diesem Freitagmorgen regelrecht an der überregionalen Kantons­strasse H332, die – von der Hemishofer Brücke her kommend – vom Ortseingang via Museumsbahnhof bis zum Zoll führt. Pro Tag benutzen rund 6800 Motorfahrzeuge die Strasse. Auf dem Parkplatz beim Supermarkt der Familie Rupf herrscht reges Kommen und Gehen. Auffallend viele Deutsche Nummernschilder sind auf dem Parkplatz. «Ja, es gibt viele Migros-Kinder auch in der deutschen Nachbarschaft», sagt der junge Geschäftsführer Martin Rupf. Auch ein Teil seiner insgesamt 40  Mitarbeiter sind Grenzgänger.

25 aktive Vereine beleben das Dorf

Die Geschäfte laufen gut. Der etwas stärkere Euro macht Einkaufen in der Schweiz für die Deutschen zurzeit attraktiver. Der Laden mit angehängtem Café und Wein- und Spirituosenhandlung hat – fürs Land eher untypisch – sogar am Sonntag geöffnet. Die Konkurrenz, in Form mehrerer Tankstellenshops an der H332, schläft auch nicht.

Evelyn Gnädinger hat nicht weit fürs Shopping – der Bauernhof der Familie liegt ein paar Schritte entfernt im Ortsteil Wiesholz. «An Ramsen gefällt mir, dass man sich noch kennt», sagt sie. Wer hier lebe, finde eine richtige dörfliche Gemeinschaft vor, die in der Regel auch Zugezogene schnell integriere. Die rege Bautätigkeit in den letzten Jahren hat in Ramsen zu einem moderaten Bevölkerungswachstum geführt. Bauzonen hat die Gemeinde mit heute über 1450 Einwohnern auch jetzt noch genügend. «In der letzten Zeit sind vermehrt Mehrfamilienhäuser gebaut worden», sagt Gnädinger.

Silvia Müller und Wolfgang Neidhart, Pius Höhener, Thomas Kipping und Harry Buri. Bild: Michael Kessler

Gnädinger ist Präsidentin des Landfrauenvereins Ramsen und bemüht sich, auch die neuen Gemeindebewohnerinnen anzusprechen. «Klar, es ist schwieriger geworden, Frauen zum Mitmachen im Verein zu motivieren – aber das ist ja kein spezielles Problem in Ramsen.» Stichwort Vereinsleben: Ramsen ist seit je für seine reiche Vereinslandschaft bekannt, was sich über das ganze Jahr in vielen Anlässen und Festivitäten äussert. Angefangen von der Fasnacht, dem slowUp, dem 1. August (der abwechselnd von einem der 25 eingeschriebenen Vereine bestritten wird), dem Gartenfest des Musikvereins, dem Theater 88 mit seinen Aufführungen im September. Ramsen hat deshalb sogar einen Zentralverein, einen Verein, in dem alle Vereine vereint sind. «Ich glaube, bei uns muss man an einem Fest einfach irgendwo « anehocke» , und sofort gehört man dazu», sagt Zentralvereinspräsident Harry Buri.

Er muss es wissen. «Ich bin wohl schon einer, der immer Sachen anreisst im Dorf.» Buri ist im Fussballclub aktiv, ist Bademeister der Gemeinde und betreibt die Theaterbeiz beim Theater 88. An einem lebendigen Dorfleben fehle es in Ramsen nicht – auch in der Dorfpolitik ist einiges los. Die Gemeindeversammlungen sind in der Regel gut besucht und dauern lange. Stoff zum diskutieren gibt es genug. Für Kontroversen sorgten jüngst etwa die Schulzusammenarbeit im oberen Kantonsteil – die Oberstufenschüler gehen alle in Stein am Rhein zur Schule. Oder der geplante Neubau des Altersheims Bachwiesen – wo jetzt doch nur saniert wird.

Aber etwas anderes macht Buri mehr Sorgen. «Zwar haben wir noch drei Beizen als Treffpunkte, da will ich mich nicht beklagen. Aber das alte Dorfzentrum fällt trotzdem ein wenig in einen Dornröschenschlaf.» Handwerker und auch ältere Dorfbewohner treffen sich heute oft in Rupfs Café zum Schwatz. Im Zentrum jedoch ist der Volg weg, die Landi ist geschlossen, die Post und die Kantonalbank haben ihre Öffnungszeiten reduziert. «Zum Glück gibt es noch eine Bäckerei, sonst gäbe es im Dorfzentrum fast gar kein Leben mehr.»

Liebesgrotte im Dorfzentrum

Wolfgang Neidhart kann davon ein Lied singen. Mit seiner Partnerin Silvia Müller betreibt er mitten im historischen Ortskern den «Hirschen». Gutbürgerliche Küche, Hotel mit 19 Zimmern. «Von den Stammgästen und den gelegentlichen Vereinsanlässen können wir nicht überleben», sagt Neidhart, der hier seit zwei Jahrzehnten wirtet. Laufkundschaft gebe es sozusagen keine. «Wir versuchen, uns als Velohotel oder als ‹Ferien auf dem Land›-Location zu vermarkten, aber es ist schwierig. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand», sagt er. Das Dorf Ramsen liege nicht direkt am Rhein, die Übernachtungsmöglichkeiten und das gastronomische Angebot im benachbarten Deutschland seien günstiger.

Doch die Wirtsleute geben nicht auf: Im Gewölbekeller haben sie einen sogenannten Loveroom eingerichtet, ein Hotelzimmer mit Whirlpool und passender Einrichtung, für romantische Ferien für Verliebte – Sektflasche inklusive.

Im alten Dorfzentrum wären mehr Innovationen gefragt, um es wieder stärker zu beleben. Wenig hilfreich ist auch, dass die grossen Feste immer mehr in der Aula und Turnhalle weiter hinten im Dorf stattfinden, sagt Evelyn Gnädinger. Im gegenwärtigen Hochsommer jedoch ist bei den Ramsern das Freibad Trumpf, das sich ebenfalls beim Schulhaus befindet. Dort hat Thomas Kipping an diesem Nachmittag eine Beachparty für den FerienSpass der Region Stein am Rhein auf die Beine gestellt. «An Ramsen gefällt mir das dörfliche Flair, und man kennt sich», sagt er. Das Dorf ist in Ramsen eben noch Dorf – ob beim Supermarkt, in der Badi oder auf dem alten Dorfplatz.

Die nächsten Stationen der SN : Heute Dienstag Stein am Rhein, ab 9 Uhr. Freitag, 3. August.: Rüdlingen

SN-Dorfgezwitscher: Wird das Dorf langsam zur Schlafsiedlung?

Der Marabu ist eine in Afrika vorkommende Vogelart aus der Familie der Störche. MaRaBu heisst aber auch der Männerchor Ramsen-Buch, der seit dem März eine Chorgemeinschaft mit dem Männerchor Büsingen bildet. Hintergrund für diesen Zusammenschluss sind Nachwuchssorgen, die viele Männerchöre teilen, wie Präsident Hans Graf erklärt. Mit den Büsingern hat der Chor aktuell 28 Sänger, wobei die beiden Bassstimmen etwas besser besetzt sind als die Tenöre. Im Bass singt auch der Vereinspräsident. Graf ist schon seit 42  Jahren Mitglied des Chors. «Wir haben aber das Glück, mit Gottlieb Ruh einen sehr guten Dirigenten zu haben», sagt er. In diesem Jahr organisiert der Männerchor die 1.-August-Feier in Ramsen. Als Festrednerin wurde Sarah Keller, Chefredaktorin von Radio Munot, eingeladen. Die Feier findet auf dem Festplatz der Aula Ramsen statt, wo auch der Musikverein aufspielt.

Im Musikverein hat früher auch Chiara Neukom mitgespielt – an der Posaune. Weil die 15-jährige Kanti­schülerin aktuell aber weniger Freizeit hat, ist sie nur noch im Ramsener Turnverein mit dabei. In den Sommerferien hilft sie im Ferienjob am Badi-Kiosk aus, was ihr gut gefällt. Die Badi ist aktuell ein beliebter Treffpunkt für Gäste aus dem Dorf und von ennet der Grenze. Neukom lebt gerne in Ramsen. «Man kennt sich und kommt gut miteinander aus», sagt sie. Die jüngeren Leute würden sich gerne im Bierkeller treffen, etwa um Geburtstagspartys zu feiern.

Weil Pius Höhener unter anderem als Landwirt tätig ist, hofft er auf baldigen Regen. «Letzte Woche wurde schon der Dorfbrunnen abgestellt», sagt er. Höhener lebt gerne in Ramsen. «Ich fühle mich hier wohl, man kennt sich, und wir haben ein gutes Angebot im Dorf», sagt Höhener, der zwar nicht mehr Fussball spielt, trotzdem aber Mitglied des FC ist. Sorgen bereiten ihm aber die auf dem Chroobach geplanten Windräder. «Die Entscheidung liegt aber bei den Hemishofern», sagt er.

Ein wichtiger Treffpunkt in Ramsen ist das Migros-Partner-Geschäft der Familie Rupf geworden, die nun in dritter Generation neben dem längst stillgelegten Bahnhof geschäftet. Martin Rupf sagt: «Es kommen viele treue Stammkunden von ennet der Grenze zu uns.» Wobei dies stark vom Eurokurs abhänge – momentan laufe es aber sehr gut. «An Ramsen gefällt mir, dass das soziale Zusammenleben noch intakt ist mit einem reichen Vereinsleben.»

Ramsen sei schon etwas einförmiger geworden, sagt Armin Eichmann. Der aus Ramsen stammende Schauspieler Mathias Gnädinger habe einmal gesagt, dass es in Ramsen nicht mehr so viele herausragende Persönlichkeiten gebe wie früher. «Gnädinger hatte recht, die Menschen sind stärker nivelliert», sagt Eichmann. Doch obwohl Ramsen ein Stück weit zu einer Schlafsiedlung geworden sei, lebt Armin Eichmann gerne hier. «Es gab zuletzt auch positive Ansätze, wie etwa die Kunstausstellung von Ueli Greminger-Balsiger und Hansueli Holzer im letzten Jahr.» (lbb/dj.)

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