Im «Kirchhofplatz» rumort es kräftig

Zeno Geisseler | 
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«Die Bewohner lechzen nach Betreuung»: Eine Angehörige über die Zustände im Alterszentrum Kirchhofplatz. Bild: Zeno Geisseler

Kritik an der Leiterin, unzufriedene Angehörige, Pflege im Stress: Im grössten ­städtischen Altersheim hängt der Haussegen schief.

Das Alterszentrum Kirchhofplatz «beinhaltet sechs Gebäude, welche mit ihrem eigenen Charme bezaubern». So beschreibt sich die Institution im Internet. Und weiter: «Inmitten der Häuser befindet sich ein wunderschöner Park, der zum Verweilen einlädt und eine Oase der Ruhe in der belebten Altstadt bietet.»

Von «Charme» und einer «Oase der Ruhe» zu sprechen, fällt jenen, die dort arbeiten, und denjenigen, welche Angehörige dort unterbringen, schwer. Mehrere Klagen über die Zustände im Alterszentrum Kirchhofplatz haben die SN erreicht. Es geht um die Bedingungen, unter denen die Menschen dort leben. Und um die Bedingungen, unter denen die Mitarbeitenden dort arbeiten.

Davon erfahren sollte die Öffentlichkeit nichts. Mitarbeitenden drohen Konsequenzen bis zur Kündigung, wenn sie mit den Medien sprechen. Familienmitglieder machen sich Sorgen um ihre Angehörigen im Heim. Aus diesem Grund nennen wir die Namen unserer Auskunftspersonen an dieser Stelle nicht.

Beginnen wir mit A. Ein Elternteil dieser Person lebt in einer der Pflegeabteilungen im «Kirchhofplatz». A. berichtet von der Atmosphäre: «Die Bewohner essen allein oder zu zweit im Gang, es gibt kein Tageslicht. In einigen Zweibettzimmern hat nur eine Person ihr Bett am Fenster, während die andere ihr Bett hinter einem Vorhang hat und nicht einmal nach draussen blicken kann.» Die Stimmung beim Personal sei gereizt. Wenn man etwas frage, heisse es: «Jaja, ich komme ja.» Zwar, so erzählt A., gebe das Pflegepersonal wirklich sein Bestes, aber der Druck sei sehr hoch, es bleibe kaum Zeit. «Dabei lechzen die Bewohner richtiggehend nach Betreuung.»

Hilferufe, doch niemand kam

Auch aus der Pflege selbst haben wir kritische Stimmen vernommen. Es gebe systematische Taschenkontrollen: Den Pflegenden sei es verboten, irgendwelche persönlichen Gegenstände mit auf die Abteilungen zu nehmen. Insbesondere Handys seien tabu. Dies werde auch kontrolliert, die Rede ist von «Taschenterror».

Und: Es gebe zu wenig Leute an der Basis, es fehle an Zeit und Personal, um mehr als nur das Allernötigste zu erledigen. Ein Vorfall vor wenigen Wochen illustriert die Not: Eines Nachts waren für vier Häuser nur drei Nachtwachen eingeteilt. In einem Haus stürzte eine Bewohnerin. Sie rief etwa 15 Minuten um Hilfe, doch niemand kam. Weil es in jener Nacht so heiss war, waren die Fenster geöffnet, und ein Anwohner wurde schliesslich auf das Rufen aufmerksam. Er rief im ­Alterszentrum an, worauf die Pflege zu der Frau eilte. Am folgenden Tag wurden die Nachtwachen, so hat es uns jemand aus der Belegschaft beschrieben, «in den Senkel gestellt». Dabei hätten sie nichts falsch gemacht. Sie seien schlicht zu wenig Leute gewesen. «Für vier Häuser bräuchte es mindestens vier Nachtwachen», sagt unsere Auskunftsperson.

Besonders prekär sei es am Wochenende. Die Bewohner hätten zum Beispiel den – unbestrittenen – Anspruch, auch mal sonntags zu duschen, was aber oft nicht möglich sei. Denn bei sehr pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern sei der Gang unter die Dusche eine Angelegenheit von einer Stunde. «Doch das Personal dafür ist gar nicht vorhanden», sagt eine Person, die den Sonntagsdienst aus eigener Erfahrung kennt. «Am Wochenende haben wir sowieso schon alle Hände voll zu tun.» Wenn dann auch noch jemand aus dem Team krankheitshalber ausfalle, sei das Chaos perfekt.

Ein Name fällt immer wieder

Dass es in der Pflege nicht einfach ist und der Druck hoch, ist nicht neu. Aber im «Kirchhofplatz» sind die Umstände laut Mitarbeitenden besonders schwierig. Fragt man sie, warum das so ist, dann nennen sie unabhängig voneinander immer den gleichen Namen: Beatrice Mathys. So heisst die Leiterin des Alterszentrums Kirchhofplatz. Seit Anfang 2016 ist sie im Amt.

«Sie wirkte zu Beginn sehr dynamisch», erzählt eine Person, welche sie bei ihrem Eintritt erlebte. «Sie sagte, sie wolle viel bewirken, es werde sich einiges ändern.» Passiert sei aber nicht viel. Es gebe wenig Vertrauen, es herrsche ein schlechtes Klima.

Das grösste Fragezeichen setzen die Mitarbeitenden hinter einen Punkt: die Erreichbarkeit der Chefin. Es sei schwierig, sie zu kontaktieren, sie sei oft abwesend – auch, weil sie einen Tag pro Woche von zu Hause aus arbeite: Home-Office für die Leiterin des grössten Alterszentrums der Stadt.

«Keine Beschwerden»

Was ist an den Vorwürfen dran? Wir treffen Beatrice Mathys und den für die Heime zuständigen Stadtrat ­Simon Stocker (AL) im Café des Alterszentrums. Sie räumen ein, dass die Aufteilung der Zimmer und die Platzierung der Leute beim Essen nicht ideal sind. «Der ‹Kirchhofplatz›», sagt Stocker, «ist von der Pflegeinfrastruktur her sicher am anspruchsvollsten für das Personal und die Bewohner. Der Bau ist nicht optimal. Es wird immer Leute geben, die sich über die Treppen beklagen oder über die kleinen Zimmer. Das sind bauliche Fakten, die wir nicht so einfach ändern können.» Beatrice Mathys ergänzt, dass sie die Platzierung der Bewohner beim Essen derzeit reorganisieren. «Jene, welche ohne Hilfe essen können, sollen wieder in die Speisesäle gehen können, wo sie Restaurantservice erhalten.» Auch bei der Aufteilung der Wohnräume gebe es Pläne. Im Oktober sollen die Zweierzimmer umgebaut werden, um zumindest etwas mehr Privatsphäre zu gewährleisten.

«Beatrice Mathys hatte die Aufgabe, das Heim neu zu strukturieren. Bei einem Kulturwandel muss man sich verändern. Da rumort es auch mal.»
Simon Stocker Stadtrat

Zu den Vorwürfen aus dem Kreis der Mitarbeitenden sagen Stocker und Mathys, dass diese sie überraschten. Denn über die internen Kanäle habe es keine Beschwerden gegeben – weder über den Dienstweg, also über die Vorgesetzten, noch über den städtischen Personaldienst, wo die Mitarbeitenden der Stadt sogar anonym Hinweise hinterlegen können. «Wir haben alles abgefragt, uns sind keine Reklamationen bekannt», sagt Stocker. «Ich habe auch nicht den Eindruck, dass Frau Mathys intransparent oder nicht zugänglich ist. Ihre Tür ist offen.» Die Stadt sei gewillt, etwas zu verbessern, wenn man sage, was nicht stimme. «Wir können aber», ergänzt Mathys, «nichts verändern, wenn wir nichts hören.»

Stocker führt aus, dass mit dem Führungswechsel im «Kirchhofplatz» ein neuer Stil Einzug gehalten habe. «Beatrice Mathys hatte die Aufgabe, das Heim neu zu strukturieren. Sie hat die Aufgaben und die Verantwortung auf mehr Köpfe verteilt. Sie hat neue Elemente eingeführt und klare Abläufe geschaffen.» Er spricht von einem Kulturwandel. «Da rumort es auch mal. Ein Kulturwandel heisst eben auch, dass man sich verändern muss.»

«So ein Bienenhaus»

Der frühere Heimleiter habe sehr viel auf sich – und zu sich – genommen. Er sei ein eigentlicher Heimvater gewesen. Er sei Tag und Nacht und am Wochenende auf Platz gewesen. «Er war allgegenwärtig», sagt Stocker. Mathys hingegen habe einen anderen Stil.

Ständige Präsenz gebe es bei ihr nicht. Sie nehme sich zu Recht die Freiheit, ihre Ferien zu beziehen und auch mal um siebzehn Uhr zu gehen – und einen Tag pro Woche Home-Office zu machen. «Das ist ein Modell, das die Stadt offiziell anbietet», sagt Mathys. «Ich brauche diesen Tag auch. Hier ist es so ein Bienenhaus! Es gibt keine ruhige Minute. Leitbilder oder Konzepte zu erarbeiten, das ginge nicht.»

«Kein Misstrauen»

Dass das Pflegepersonal schlecht behandelt werde, weist Mathys zurück. «Wenn das so wäre, müsste man es mir sagen. Vielleicht merke ich ja gar nicht, dass jemand sich schlecht behandelt fühlt, wenn man nicht mit mir spricht.» Die Sache mit dem Handyverbot gehe noch auf Stadtrat Urs Hunziker zurück, sagt Mathys. Das habe aber nichts mit Misstrauen zu tun. «Dass man einem Bewohner gegenübersitzt und SMS verschickt, das geht nicht», sagt sie. Von – rechtlich fragwürdigen – Taschenkontrollen wüssten sie nichts, sagt Stocker. «Und wenn es solche gab, dann waren sie nicht angeordnet.»

«Ich habe kein grundsätzliches Misstrauen den Pflegenden gegenüber», sagt Mathys. «Denn dann müsste ich wohl den Job wechseln.»

«Wir sind», sagt Stadtrat Stocker, «mit Frau Mathys sehr zufrieden.»

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