«Aus dem Quartier kommt keiner»

Maria Gerhard | 
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Ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, das war früher einmal die Quartierbeiz. Doch das ist an vielen Orten längst Vergangenheit.

Da muss Heidi Cantoni den Kopf schütteln. «Nein, echte Quartierbeizen gibt es heute nicht mehr», sagt die 80-Jährige. Rund zwanzig ältere Damen und Herren der Pensionierten-Vereinigung sitzen um sie her um im Biergarten des Restaurants zum alten Schützenhaus auf der Breite in Schaffhausen. Vor ihr liegt eine Schiefertafel mit Griffel, auf der sie Striche macht. Die Herrschaften jassen, wie jeden Dienstag zwischen 14 und 17 Uhr. Deshalb hat Heidi Cantoni auch nur kurz Zeit. Sie selbst ist in einer Beiz aufgewachsen, ihren Eltern haben das einstige «s’ grütli» in der Bahnhofstrasse im Zentrum betrieben. «Damals sind dort alle zusammengekommen, auch aus der Nachbarschaft», sagt sie, «es war immer etwas los.»

«À la carte kannst du bei uns auch vergessen, dafür gehen die Leute nach Deutschland.»

Jeannine Keller, «Alter Emmersberg»

Heute würde sich ein solches Lokal nicht mehr rentieren. «Du hast Personal und dann noch die hohe Miete, das musst du natürlich aufs Essen schlagen», sagt sie, «aber das begreifen die Leute oft nicht.» Cantoni lebt in Buchthalen. Zwei Drittel der Beizen und Restaurants seien dort im Laufe der Zeit eingegangen. Das Hofackerzen­trum mache zwar Reklame für Zusammenkünfte. «Aber irgendwie ist das nicht dasselbe», sagt sie.

Es gibt genau ein Tagesgericht

In Buchthalen gibt es unter anderem auch noch das Restaurant Linde am Lindenplatz. Eine Quartierbeiz, wie man sie sich vorstellt. Mit der Holz- vertäfelung und den verschnörkelten Lampenschirmen aus Glas scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Auf einem der Tische, in den «Turnverein» eingraviert ist, steht ein Teller mit einer Plastikhaube, darunter liegen belegte Brötchen. Das ist aber nicht das Einzige, was man heute hier zum Essen bekommt. «Das Tagesgericht ist Pusztaspiesse mit Salat», sagt Wirt Peter Bütler. Der 76-Jährige ist mit den Geschäften nicht zufrieden. Tatsächlich sitzt an diesem Nachmittag nur eine Dame – sie ist fast täglich Gast – an einem der Tische. Ansonsten ist die Beiz leer. Dabei ist das Restaurant Linde ein Traditionsbetrieb: An der Wand hängt ein altes Schwarz-Weiss-Foto, welches das Fachwerkhaus zeigt mit einer Pferdekutsche davor. «Das wurde vor hundert Jahren aufgenommen», sagt Bütler. Er selbst führt die Beiz erst seit fast acht Jahren.

Die Jungen gehen in die Stadt

Der Wirt steht hinter dem Ausschank, hat die Hände auf die Theke gestützt. Die Gäste bleiben mehr und mehr aus, daran hat auch seine Investition – er hat vor dem Eingang einen Loungebereich geschaffen – nichts geändert. «Die Alten sterben weg», sagt er, «und die Jungen gehen nach der Arbeit in die Stadt.» Nur der Frauenchor und die älteren Damen des Turnvereins kommen noch regelmässig. Wenn Bütler aber nicht seine AHV bekäme, hätte er die Beiz schon lange schliessen müssen. Warum er sich das dann überhaupt noch antut? Bütler hatte vor sieben Jahren einen schweren Autounfall. Seitdem hat er starke Schmerzen in den Beinen. «Wenn ich die Beiz nicht hätte, würde ich morgens gar nicht mehr aufstehen», sagt er. Also wird er weitermachen, auch wegen seiner Serviertochter, die nur noch ein paar Monate bis zur Rente hat. Sie will auch danach noch etwas arbeiten. «Aber in ihrem Alter findet sie keinen neuen Job», sagt Bütler. Seine Prognose: «In zehn Jahren gibt es keine Quartierbeizen mehr.»

«Wenn ich keine AHV beziehen würde, hätte ich schon lange schliessen müssen.»

Peter Bütler, Restaurant Linde

Mit dem Auto höchstens fünf Minuten entfernt steht das Restaurant Alter Emmersberg. Ebenfalls ein Fachwerkbau mit einem lauschigen Biergarten, daneben ist ein grosser Parkplatz. Auch hier ist die Situation für das Wirtspaar Jeannine und Roland Keller nicht einfach. «Wir existieren nur noch von Taufen, Geburtstagsfeiern, also von Gruppen, die zum Essen zu uns kommen», sagt Jeannine Keller. Ausserdem würden regelmässig Sportler am Abend vorbeischauen. Ansonsten sieht es aber schlecht aus. «Aus dem Quartier kommt keiner. Ich erwarte ja nicht einmal, dass jeder ein Chateaubriand bei uns isst», sagt sie, «aber man könnte sich doch mal auf ein Gläschen Wein bei uns in den Biergarten setzen.» Auch die nahe gelegene Kantine der Kantonsschule sei ein Problem. «Die Lehrer kommen nicht mehr zum Mittagessen zu uns, weil es dort natürlich günstiger ist», sagt Keller. Ähnlich verhalte es sich mit dem Alterszentrum Emmersberg, wo jeder essen kann, der möchte. Mit dem Menü-Preis dort könne man nicht konkurrieren. Und überhaupt: «À la carte kannst du bei uns vergessen, dafür gehen die Leute nach Deutschland.» Grundsätzlich ist das Wirtepaar in den Sommermonaten recht zufrieden mit dem Umsatz. Der grosse Einbruch käme aber immer im Winter, und so lasse sich auf Dauer kein Restaurant führen. Langfristig müssten sie sich vielleicht nach etwas anderem umschauen.

Es muss besser werden

Trotzdem gibt es auch Beispiele in Schaffhausen, wo es etwas besser läuft. Seit fünf Monaten erst betreibt Abaz Rrragamaj das Restaurant Gruben. Vorher war es eine richtige Quartierbeiz, jetzt, sagt Rragamaj, sei es eher ein Speiselokal. «Wer aber auch nur etwas trinken möchte, ist ebenfalls willkommen», sagt er. Prinzipiell laufe es derzeit noch gut, sowohl am Mittag als auch am Abend sei er zufrieden mit der Frequenz. Es müsse aber noch besser werden. «Sonst reicht es für mich als Wirt nicht», sagt er. Ein Unterschied mache sich über die Zeit schon bemerkbar: Während die ersten drei Monate sehr gut liefen, war es die letzten zwei Monate etwas ruhiger. «Da waren aber auch das Lindli- und das Unterstadtfest», sagt er, «das schlägt dann schon zu Buche.» Sein Bonus: Die meisten Besucher seines Lokals seien Stammgäste, die er aus seinem vorherigen Restaurant in Feuerthalen mitgebracht habe. Er hofft darauf, dass es in den nächsten Wochen wieder einen Aufschwung gibt. Bisher sei es eher noch eine Gratwanderung.

Über zu wenig Gäste kann sich das «Schützenhaus» nicht beschweren. Seit über 30 Jahren ist es in Familienhand. Der Senior Walter Reutimann hat es bereits an Sohn Roland übergeben. «Wir sind wirklich zufrieden», sagt Reutimann Senior. Sie würden sich jedoch auch nicht als klassische Quartierbeiz sehen, sondern mehr als Speiserestaurant, allein schon von der Grösse her. Auf die Probleme seiner Kollegen angesprochen, sagt er: «Es war noch nie einfach.» Je kleiner das Restaurant sei, desto mehr müsse man die Gäste – vor allem die Stammgäste – umhegen.

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