Firma Urbnc3: Start-up entwickelt vegane Sandalen

Kay Fehr | 
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Roman Wyss und Linda Wang, hier an der ETH Zürich, sind von ihren veganen Sandalen überzeugt. Im Hintergrund rattern zahlreiche 3D-Drucker, welche von den Jungunternehmern mitbenutzt werden dürfen. Bild: Kay Fehr

Ein Start-up will den Schuhmarkt aufmischen. «Modulare und vegane Sandalen» sind das erste Produkt der Firma Urbnc3. Die zwei Gründer kommen aus unserer Region – und setzen nicht nur auf 3D-Druck, sondern auch auf Scan-Technologie mit dem Smartphone.

«Welche Schuhgrösse haben Sie?» – «42, aber je nach Schnitt auch 41 oder 43.» Solche Szenen sind Alltag in einem Schuhgeschäft. Schuhe sind meist Massenware, massgeschneidertes gibt es lediglich beim Spezialisten zu einem entsprechend hohen Preis. Dabei hat kaum ein Mensch Füsse, die perfekt in die Schuhe vom Fliessband passen. Und kauft man die Schuhe im Internet, ist die Gefahr, dass sie nicht passen, noch grösser.

Hier setzt das dieses Jahr gegründete Start-up Urbnc3 auf neue Technologie: Scannen via Smartphone. «Kunden können ihre Füsse zuhause scannen und ihr eigenes Sandalen-Design mit dem Konfigurator zusammenstellen», erklärt die 30-jährige CEO Linda Wang, die aus Neuhausen stammt. Dazu braucht es drei Fotos aus unterschiedlichen Winkeln und schon erstellt das Programm ein 3D-Modell. Das Fussbett der Sandalen werde dann mittels 3D-Drucker an die Füsse des Kunden angepasst, inklusive ergonomischer Korrekturen. Auch sehr kleine oder sehr grosse Schuhe seien somit kein Problem.

Schuhe aus Apfel- und Kaktusleder

Die Sandalen, die an «Birkenstocks» erinnern, sind das erste Produkt der Firma – und sie stecken wortwörtlich in den Kinderschuhen. «Wir testen verschiedene Druckverfahren, das Material muss noch flexibler und leichter werden», sagt Mitgründer Roman Wyss aus Wasterkingen im Rafzerfeld. Auch Korrekturen für X-Beine oder hohes Gewicht sollen künftig in den Modellen implementiert werden können.

Nachhaltigkeit ist den beiden wichtig, denn etwa 90 Prozent der jährlich produzierten 25 Milliarden Paar Schuhe landen innerhalb von unter zwölf Monaten im Abfall. Zusätzlich sind herkömmliche Schuhsohlen unter den Top Ten der Quellen von Mikroplastikverschmutzung. Darum experimentieren die Gründer mit nachwachsenden Rohstoffen und vermeiden zudem tierische Produkte wie Leder. Die Sohle ist aktuell zu 50 Prozent biobasiert. Sie besteht einerseits aus Nussschalen, zum anderen aus dem thermoplastischen Kunststoff TPU, ein fadenförmiges Material, welches in den 3D-Drucker eingeführt wird. Man nennt diese Technik «Filamentdruck». «Wir zielen darauf ab, langfristig mit Materialien zu arbeiten, die sich komplett in der Natur auflösen können», so der 27-jährige Wyss. Auch an den Riemen wird gepröbelt: mit Apfel-, Kaktus- oder Ananasleder. «Echtes Leder wäre natürlich einfacher zu verarbeiten», sagt Wyss, doch das wollten die Gründer, die beide zuvor im Finanzwesen gearbeitet haben, nicht. «Pflanzenbasiertes Material aus Obstabfall oder auch Pilzen ist nachhaltiger, allerdings ist es für die Verarbeitung noch nicht ausgereift. Wir betreten Neuland», ergänzt Wang. Und nicht nur die Jungunternehmer, auch die Fabriken in Polen, mit denen Urbnc3 zusammenarbeitet, kennen das Material kaum. Es brauche deswegen viel Forschung und neue Prozesse – diese sollen in Zukunft immer stärker automatisiert werden. «Wir wollen in Europa ein Netzwerk aus Fabriken aufbauen.»

Eine Sohle in 2,5 Stunden

Bislang müssten einige Schritte noch manuell durchgeführt werden, beispielsweise die technische Übersetzung vom Scan auf die Sohle. Eine solche zu drucken dauert etwa zweieinhalb Stunden, auch hier herrsche noch Optimierungsbedarf. Wyss sagt aber: «Die Dauer ist zweitrangig, weil 3D-Drucker relativ günstig sind. Mehr von ihnen anzuschaffen, um mehr Sohlen drucken zu können, ist kein Problem.»

Beim Scanning arbeitet Urbnc3 mit externen Partnern zusammen, die auf die Technologie spezialisiert sind. Der Datenschutz der Bilder sei gegeben. «Niemand sieht die Bilder, sondern sie werden direkt ‹übersetzt› und modelliert», sagt Wang.

«Viele Leute könnten massgeschneiderte Schuhe brauchen und haben ähnliche Probleme, wie zum Beispiel unterschiedlich grosse Füsse.»

Linda Wang, Gründerin und CEO Urbnc3

Auf die Geschäftsidee kam die CEO, weil ein Freund von ihr orthopädische Einlagen brauchte und Mühe hatte, passende Schuhe zu finden. Sie recherchierte und erkannte das Potenzial, obwohl bereits zahlreiche Firmen im Schuh-Business aktiv sind. «Viele Leute könnten massgeschneiderte Schuhe brauchen und haben ähnliche Probleme, wie zum Beispiel unterschiedlich grosse Füsse», sagt die Gründerin. Trotzdem müssten die Schuhe bezahlbar bleiben. «Bislang hat man quasi nur drei Optionen: Altmodische orthopädische Schuhe, teure Einlagen oder Nichtstun, was langfristig zu Schmerzen führen kann.» Deshalb sieht Wang die meisten anderen Schuhfirmen auch nicht als Konkurrenten.

Eine weitere Besonderheit: Anstatt eine Kollektion für Herren und eine für Damen anzubieten, setzt Urbnc3 auf Unisex. «Das ist mit dem Konzept einhergegangen. Weil es massgeschneiderte Sandalen sind, ist das Design auch gleich für jeden Fuss passend», so die Gründerin. Einige Frauen hätten Mühe mit den schmal geschnittenen Damenmodellen, die bislang angeboten werden. Wyss ergänzt: «Viele Männer verzichten bewusst oder unbewusst auf Sandalen. Wir wollen Sandalen auch für Männer wieder attraktiv machen.» Innerhalb dieses Designs solle man aber individuelle Anpassungen vornehmen können – beispielsweise, ob die Nieten goldig, silbrig oder messingfarben sind. Zudem sollen die Riemen austauschbar sein. «Das ist ein Teil des Geschäftsmodells», sagt Wyss.

Umsatz bereits fünfstellig

Finanziert wird das Unternehmen unter anderem via Crowdfunding auf der Plattform Kickstarter. Kürzlich erhielt Urbnc3 15 000 Franken Fördergeld der «Applied Circular Sustainability», die wiederum von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung ins Leben gerufen wurde. Allerdings haben auch die Gründer viel eigenes Geld hereingesteckt. Zudem stellen ihre Partner, das ETH Student Project House Zürich und die ZHAW, Maschinen für die junge Firma zur Verfügung. Via Vorverkäufe konnte Urbnc3 bereits einen Umsatz von knapp 30'000 Franken realisieren, rund 200 Bestellungen trudelten ein. Ende Jahr rechnen sie gar mit 50'000 Franken Umsatz. Der Prototyp kostet in der Schweiz rund 240 Franken pro Paar, für die frühen Unterstützer war der Preis zwischen 110 und 140 Franken angesetzt. «Das ist auch in etwa der Preis, den wir für das ausgereifte Produkt anpeilen, wenn alles automatisiert ist. Es handelt sich schliesslich um ein Qualitätsprodukt», sagt Wyss. Im Kernteam des Start-ups arbeiten bereits fünf Personen, ein 100-Prozent-Pensum haben aktuell aber nur Wang und Wyss.

Dass die veganen Sandalen aus dem 3D-Drucker jetzt lanciert werden konnten, sei ein «Proof of Concept», ein Realitätstest, sagt Wang. Und die Erfahrung auf Kickstarter zeige auch, dass eine Nachfrage bestehe. Die Jungunternehmerin will flexibel bleiben, sie könne sich auch eine Zusammenarbeit mit einer grossen Schuhmarke vorstellen. Und sie will die Produktpalette erweitern, beispielsweise mit Einlagen für Ski- oder Schlittschuhe, das sei simpel, es brauche nur den Fussscan. Bereits geplant sind Ballerinas, auch High Heels, Geschäfts- und Laufschuhe wären möglich. Dank der Technologie sei der Stückzahl keine Grenzen gesetzt. «Wir glauben und wir sehen, dass wir die Schuhindustrie verändern können», sagt Wang.

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