Ein beherzter Schritt ins Ungewisse

Dario Muffler | 
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Auswanderer David Günthardt stand vor dem Gespräch mit den «Schaffhauser Nachrichten» zum letzten Mal auf der Terrasse seines ehemaligen Hauses in Schaffhausen. Bild: Dario Muffler

Familie Günthardt hatte hier alles, was man sich unter einem perfekten Familienglück vorstellt. Jetzt wandert sie in die USA aus. Über die Beweggründe für die Reise nach Übersee.

Ryan und Adrian haben ihre Schule in Schaffhausen für immer verlassen. Mit ihrer Mutter haben sie den Schritt in die neue Heimat der Familie bereits Anfang Februar gemacht. Der gesamte Hausrat befindet sich seit Ende Januar auf einem Frachtschiff auf dem Weg nach Phoenix im Bundesstaat Arizona. Dorthin wandert Familie Günthardt aus Schaffhausen aus. Wir treffen Vater David, als er gerade das Haus, in dem die Familie die vergangenen knapp zehn Jahre gelebt hat, an die neue Eigentümerin übergibt. «An diesem Haus hängen doch einige Emotionen», sagt er. Weil er am Arbeitsplatz nochmals einspringen musste, reiste er erst vergangenes Wochenende seiner Familie nach. Da das Haus bereits leer geräumt worden sei, habe er wieder bei ­seinen Eltern gewohnt, sagt Günthardt schmunzelnd.

Das Zweifeln bis zum Entscheid

Die Sehnsucht nach der Heimat war es, die das Ehepaar zum Entschluss bewog, nach Amerika auszuwandern. Sharla Günthardt ist dort aufgewachsen. «Ihre ganze Familie lebt dort», sagt David Günthardt. Seit dem Sommer 2017 führten die Eheleute konkrete Gespräche übers Auswandern. «Meine Frau hatte das Gefühl, dass sie jetzt wieder zurück in ihre Heimat möchte», sagt der Vater von zwei Kindern. Dieses Gefühl hätten die beiden in den vergangenen Jahren schon mehrmals diskutiert. Verschiedene Male führte das Gegenüberstellen der Vor- und Nachteile dazu, sich für den Verbleib in der Schweiz zu entscheiden. Klar war nämlich von Beginn weg, dass der Umzug über den grossen Teich Konsequenzen für den Lebensstandard haben würde: Er werde wohl tiefer sein, so Günthardt. «Hier mussten wir uns beim Einkaufen nie überlegen, ob wir uns etwas leisten können. Das könnte in Zukunft der Fall sein.» Doch der Familienvater sieht das Positive: Das werde besonders für die Kinder eine interessante Erfahrung. «Logisch betrachtet, dürfte man diesen Schritt nicht machen», so Günthardt. Das Paar wog aber sämtliche Argumente – und nicht nur die wirtschaftlichen – ab und kam zum Schluss: jetzt oder nie mehr. «Wir hätten uns nicht fürs Auswandern entschieden, wenn die Kinder bereits in einer Ausbildung stecken würden.» Darum war es jetzt höchste Eisenbahn: Der ältere der beiden Söhne ist bereits 13 Jahre alt und hätte bald schon begonnen, sich zu seiner Berufswahl Gedanken zu machen. «Alleine um des Auswanderns willen wäre ich nicht ausgewandert», so Günthardt.

«Alleine um des Auswanderns willen wäre ich nicht ausgewandert.»

David Günthardt, Auswanderer

Ende November 2017 fiel dann der Entscheid, was der Startschuss für einen organisatorischen Marathon war. Mit rund ein bis anderthalb Jahren rechnete die Familie, um sämtliche notwendigen bürokratischen Angelegenheiten zu regeln. Während Frau und Kinder die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen, musste David Günthardt die sogenannte Greencard, die permanente Aufenthaltsbewilligung für die Vereinigten Staaten, beantragen. Um diese zu bekommen, musste er ein ge­wisses Vermögen vorweisen. Insbesondere, da er noch keinen Arbeitsvertrag hat in den USA.

Profitriathlet ohne Einkommen

Während David Günthardt in Schaffhausen in der IT-Abteilung der Kantonalbank gearbeitet hat, wird er in Phoenix zuerst einmal auf die Suche nach einer Arbeitsstelle gehen. Aus der Schweiz gestalte sich die Jobsuche schwieriger, als er sich das gedacht hätte, sagt er. Zwei bis drei Monate hat er sich Zeit gegeben. «Anschliessend würde die Notfallplanung in Kraft treten», so Günthardt. «Das heisst, dass ich irgendeinen Job annehmen würde, damit Futter auf dem Tisch landet.»

Bis er eine Anstellung gefunden hat, will der Familienvater nicht nur herumsitzen. «Ich bin für die nächste Zeit Profitriathlet ohne Einkommen», sagt er und lacht. Günthardt bestreitet seit einigen Jahren erfolgreich Triathlons: Zu seinen Erfolgen gehören verschiedene Podestplatzierungen in seiner Alterskategorie an interna­tionalen Langdistanz-Triathlons. In der Schweiz absolvierte er seine zahlreichen Trainingsstunden frühmorgens vor dem Arbeiten oder in der Mittagspause. «Ich bin jeweils um fünf Uhr morgens aufgestanden. Am Abend nach der Arbeit stand die Familie im Mittelpunkt», sagt er. In den USA werde er den Sport nutzen, um eine Tagesstruktur zu haben. «Ich werde trainieren wie ein Profi, um nicht einfach in den Tag hinein zu leben.» Es bestehe durchaus die Gefahr, dass man «in ein Loch falle, wenn es nicht gleich klappt mit einer Anstellung». Ob er denn nicht etwas Angst habe? «Ich vertraue darauf, dass es gut kommt.»

Wehmut beim Lauf auf dem Randen

Am vergangenen Wochenende ist Günthardt nun seiner Familie nachgereist. Die letzten Wochen seien geprägt gewesen von verschiedenen Abschieden, berichtet er. Aber auch diverse Aufgaben galt es noch zu erledigen. «Zu Beginn standen 75 Dinge auf der To-do-Liste.» Darunter befand sich auch Banales wie das Kündigen der Mi­gros-Zeitschrift. Es seien zu einem grossen Teil zwar viele «mechanische Abläufe» gewesen. «Es schlägt aber schon aufs Gemüt, wenn man weiss, dass man für eine lange Zeit zum letzten Mal über den Randen gerannt ist.» Auch die Abschiede, etwa von seinen Eltern, gingen Günthardt nahe.

Und für Günthardts Söhne war der Abschied von ihren Freunden in Schaffhausen nicht einfach. «Sie haben es gar nicht toll gefunden», so der Vater. Die ersten ­Wochen seien für die Jungs aber gewesen, als wären sie in den Urlaub gefahren. «Die schwierigen Momente werden bestimmt noch folgen», ist Günthardt überzeugt. Die beiden Kinder sollen in ihrer neuen Heimat aber so bald als möglich Kontakt zu Gleichaltrigen knüpfen: Zuerst über den Fussballverein, später über den Schulbesuch. «In einer ersten Phase werden sie von ihrer Mutter, die ausgebildete Lehrerin ist, zu Hause unterrichtet», erzählt Günthardt.

Keine Rettungsnetze

Trotz bestehender Unsicherheiten im neuen Daheim hat die Familie hier sämt­liche Zelte abgebrochen: Auch die Pensionskasse liess sich Günthardt auszahlen. «Wenn man so etwas macht, dann darf man keine Rettungsnetze hinterlassen», sagt er. Ansonsten neige man in schwierigen Momenten schneller dazu aufzugeben. «Ich bin sicher, dass es in den kommenden ein bis zwei Jahren zu herausfordernden Situationen kommen wird», so Günthardt. Die Familie kann sich aber auch auf die Unterstützung der Verwandten von Sharla Günthardt verlassen. Zu Beginn wohnt die Familie auch bei ihren Eltern.

Spricht man den Auswanderer darauf an, woher er den Mut für seine Entscheidung genommen habe, dann verweist er auf seinen Glauben. «Er gibt uns Kraft.» Dass das Ehepaar den Mut aufgebracht hat, um auszuwandern, dafür würden sie von vielen Freunden bewundert. «Wir haben viele positive Reaktionen bekommen», sagt Günthardt. «Einige wenige sahen es aber als Betrug an der Freundschaft, dass wir das Land verlassen.» Günthardt aber hält dem entgegen: «Wir wollen den Kontakt zu unseren Freunden nicht abbrechen lassen. Gäste werden ­immer willkommen sein.»

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