Verteidiger fordert Freispruch

Zeno Geisseler | 
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UPDATE - Zwei Männer sind tot, eine Frau steht vor Gericht. Die 27-Jährige soll vor anderthalb Jahren in Hemmental zusammen mit ihrem Ehemann ihren Vater erstochen haben. Dieser hatte sich mit dem Schwiegersohn einen Kampf geliefert, der für beide Seiten tödlich endete.

*** Update Donnerstag, 08:20 Uhr ***

Der Verteidiger der Tochter fordert nun Freispruch für seine Mandantin. Sollte die Frau wegen Tötung verurteilt werden, dann wegen Totschlag in Notwehrhilfe und nicht wegen Mord. Dafür soll es dann zwei Jahre Gefängnis mit einer Probezeit von zwei Jahren geben. 

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Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und mit viel Publikum ist gestern vor dem Schaffhauser Kantonsgericht eine der schlimmsten Bluttaten im Kanton der letzten Jahre aufgerollt worden.

Im Dezember 2015 war die Polizei an eine Adresse im Schaffhauser Ortsteil Hemmental gerufen worden. Dort fand sie zwei tote Männer, einen 56-Jährigen und einen 26-Jährigen. Beide waren erstochen worden. Ebenfalls am Tatort: die Frau des älteren Mannes und die gemeinsame Tochter. Die Tochter war mit dem jüngeren Mann verheiratet gewesen.

Was genau passiert war, war zunächst unklar. Mutter wie Tochter standen am Anfang in Verdacht, beteiligt gewesen zu sein, und kamen in Untersuchungshaft. Doch nach und nach konzentrierten sich die Ermittlungen auf die jüngere Frau. Während ihre Mutter freikam, erhob die Staatsanwaltschaft gegen die 27-Jährige ­Anklage wegen Mordes.

Vor der Tür versteckt

Gemäss Anklageschrift hatte es schon länger Streit gegeben zwischen den beiden Ehepaaren. Sie lebten in Hemmental im gleichen Haus, und im Oktober 2015 gab es eine massive Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten. Es war so schlimm, dass die Mutter und der Vater verletzt wurden. Der junge Ehemann wurde von der Polizei vorläufig festgenommen.

«Die Tatausführung kann nur als Abschlachten bezeichnet werden. Die Beschuldigte richtete ein Blutbad an.»
Peter Sticher, Staatsanwalt

Zur Bluttat kam es dann zwei Monate später, am späten Abend des 13. Dezember 2015. Gemäss Anklageschrift reiste die junge Frau aus den Flitterwochen kommend nach Hemmental. In einer SMS kündigte sie ihren Besuch an. Sie sei alleine, denn ihr Mann sei an einer Beerdigung in Bosnien. Das aber war gelogen: Ihr Mann war bei ihr. In ihrer Tasche trug die Frau ein Tränengasspray und Handschellen, eventuell hatte das Paar auch Messer dabei.

In Hemmental liess der Vater seine Tochter in die Wohnung, während ihr Ehemann sich draussen versteckte. Kurze Zeit später stand er ebenfalls in der Wohnung der Eltern – ob seine Frau ihn eingelassen hatte oder ob er durch die nicht abgeschlossene Haustür hineinschlüpft war, ist nicht klar. Jedenfalls bewaffnete sich der junge Mann mit einem Schlagring und traf in der Küche auf seinen Schwiegervater. Sofort ging eine massive Schlägerei los, in deren Verlauf der Schwiegervater ein grosses Küchenmesser ergriff. Sein Schwiegersohn packte ein Steakmesser. Gegenseitig fügten die Männer sich Stich- und Schnittverletzungen zu.

Die Tochter und Ehefrau des jungen Mannes griff in das Geschehen ein. Sie griff ihren Vater ebenfalls mit einem Steakmesser an. Dann packte sie ihre Mutter, die gerade aus der Dusche kam, und versuchte, sie zu fesseln, was aber nicht gelang.

Die Tochter flüchtete in die Küche und stemmte sich gegen eine Tür, damit die Mutter ihr nicht folgen konnte. Die Mutter würde später zu Protokoll geben, dass sie durch das Glas der Tür einen von Blut triefenden Ärmel der Tochter gesehen habe, in der Hand ein Messer. Zudem habe sie «gruusige Schneidegeräusche, wie wenn man ein Spanferkel aufschlitzt» gehört. Dann habe der junge Ehemann gerufen: «Schatz, chumm mir go helfe, ich mage nümme.» Die Tochter eilte ihrem Mann zu Hilfe. Von hinten rammte sie das Messer in den Hals, den Nacken und die Schulter ihres Vaters, insgesamt 49-mal. Innert weniger Minuten verstarb der Vater. Doch auch der junge Ehemann war schwer verletzt und brach zusammen.

Der Mutter konnte derweil entkommen. Sie schloss hinter sich die Wohnungstür ab. Splitternackt flüchtete sie zu einem Nachbarn, dieser alarmierte die Polizei. Die Mutter stürzte wieder nach unten, dort war inzwischen die Tochter aus einem WC-Fenster geklettert. Sie zwang die Mutter, die Wohnung aufzuschliessen, um mit ihrem Ehemann fliehen zu können. Das aber war nicht mehr möglich, denn er verstarb ebenfalls. Dann war die Polizei zur Stelle.

«Tubel vom Dienst»

In der Befragung gestern vor Gericht wies die Beschuldigte diese Darstellung der Ereignisse zurück. Sie habe ihren Vater nicht umgebracht. «Ich bin der Tubel vom Dienst. Als ob ich je jemandem ein Haar krümmen könnte», sagte sie. Die Beziehung zu ihrem Vater sei innig gewesen. «Für mich sah er aus wie ein lieber Teddybär. Ich weiss nicht, wie ich ohne ihn leben soll. Ich hätte meinen Vater noch gebraucht.»

Das, was in der Anklageschrift stehe, seien «heavy, heavy Worte». «Ich habe mein eigenes Fleisch und Blut verloren, und jetzt gibt es auch noch die Anschuldigung, dass ich meinen Vater abgeschlachtet haben soll.» Sie habe ihren Vater lediglich zur Seite gedrückt, mehr nicht. Und das Blut an ihrem Ärmel stamme nicht vom Vater, sondern von ihrem Mann, dem sie habe helfen wollen. Auf die Frage von Gerichtspräsident Markus Kübler, warum sie denn in einer früheren Einvernahme zugegeben habe, bis zu zehnmal auf den Nacken des Vaters eingestochen zu haben, antwortete sie, dass sie in der Befragung durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt worden sei – dies wies Staatsanwalt Sticher ­allerdings deutlich zurück.

«Ich hätte meinem Vater kein Haar krümmen können. Es ist schlimm, dass er nicht mehr da ist.»
Tochter (27), Angeklagte

Sticher berief sich in seinem Plädoyer auf mehrere Gutachten. Aus den Einstichen gehe klar hervor, dass der Vater gleichzeitig von vorn und von hinten attackiert worden sei; somit sei erwiesen, dass auch die junge Frau auf ihren Vater eingestochen habe. «Die Tatausführung kann nur als Abschlachten bezeichnet werden. Die Beschuldigte richtete ein Blutbad an.»

Sticher führte aus, dass der Vater genau ein solches Szenario befürchtet hätte. Er habe einer Bekannten gegenüber die Sorge geäussert, dass er genauso enden könnte wie ein Mann in Beringen, der 2011 von seiner Tochter erstochen worden war. Die Messerstecherin von Beringen und die Beschuldigte von Hemmental waren in Beringen zusammen in die Schule gegangen, hatten sich laut der Beschuldigten aber nur flüchtig gekannt.

Laut Sticher habe die Beschuldigte die Tat zwar nicht von langer Hand geplant gehabt, aber doch Vorkehrungen getroffen, um für alles gewappnet zu sein. Die Tat sei Mord. Er forderte 15 Jahre Gefängnis.

Mutter fordert Genugtuung

Gestern kam auch die Anwältin der Mutter zu Wort. Sie fordert Schadenersatz von 15 000 Franken und eine Genugtuung von 80 000 Franken.

Der Prozess geht heute mit dem Plädoyer der Verteidigung weiter. Das Urteil ist für morgen Freitag um 10.30 Uhr angesetzt.

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