Von süssen Käfern, sauren Grillen und nussigen Heuschrecken

Ulrich Schweizer | 
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Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken auf der Servierplatte. Bild: Ulrich Schweizer

Wird das ein Trend? Werden wir in Zukunft Insekten essen, um Ressourcen zu schonen und den Ausstoss von Treibhausgas zu vermindern?

«Ein Gespenst geht um in Europa: Es ist das Gespenst des Insektismus.» So könnte man die ersten Worte eines berühmten Manifests parodieren. Seit einer Weile wird versucht, uns Insekten schmackhaft zu machen: Gesund seien sie, und bei ihrer Zucht entstehe viel weniger Treibhausgas. Wir alle haben wohl schon Glücksgefühle beim Verzehr eines Glücks- oder Maikäfers verspürt – aber diese Krabbler waren aus Schoggi. 

 

Auch Johannes der Täufer war für Süsses: «Seine Speise waren Heuschrecken und wilder Honig» (Matthäus 3,4). Unterwegs auf dem Velo oder Töff haben wohl die meisten schon unbeabsichtigt die eine und andere Mücke oder Fliege ­geschluckt,doch jetzt gilt es ernst: Seit 1. Mai 2017 sind in der Schweiz die drei Insektenarten Tenebrio Molitor (Mehlwurm), ­Locusta Migratoria (Wanderheuschrecke) und Acheta Domesticus (Hausgrille) als Lebensmittel zugelassen. 

 

In der Primarschule galt auf dem Pausenhof der Verzehr von Ameisen als klassische Mutprobe– und wer sie lebendig ass, war König. Eine Mutprobe für Erwachsene war der Verzehr der Maguey-Raupe, die am Boden mancher Flasche Mezcallag. Heute sind die Motive andere – Insekten werden als alternative Proteinquelle zu Fleisch und Fisch ausgelobt. Weltweit sollen laut FAO, der Ernährungs- und Landwirtschafts­organisation der Vereinten Nationen, über zwei Milliarden Menschen regelmässig Insekten zu sich nehmen. Insekten sollen nicht nur ein neues Geschmackserlebnis bieten, sie sollen sich auch ressourcenschonend produzieren lassen – für die gleiche Menge Insekten brauche es, verglichen mit der Produktion von Rindfleisch, wesentlich weniger Futter­mittel, heisst es auf der Webseite www.essento.ch

Essento

 

In den meisten Ländern ausserhalb Europas würden Insekten als normale Lebewesen angesehen und seien nicht mit einem Ekelgefühl verbunden, schreiben der Foodunternehmer Christian Bärtsc hund der Koch Adrian Kessler, die Autoren des Kochbuchs «Grillen, Heuschrecken & Co.», das im September 2016 im AT Verlag erschienen ist. Dass Insekten bei uns mehrheitlich als eklig empfunden werden, hänge von der Erziehung ab: «Auch wir wurden so erzogen und mussten uns beim ersten Essen von Insekten überwinden», schreiben Bärtsch und Kessler. «Wir können allerdings sagen, es lohnt sich. Sobald du dich einmal überwunden hast, wird dich der Geschmack überzeugen!» – In meinem Selbstversuch schmeckten Mehlwürmer nussig, aber auch ein bisschen ranzig, Grillen säuerlich-frisch und Heuschrecken nach Baumnuss – aber dann esse ich doch lieber Baumnüsse. 

kochbuch

 

Denn: Die Wääck-Reaktion mag zwar anerzogen sein und nicht angeboren, und natürlich gibt immer wieder neue Esstrends, die sich durchsetzen. Meine Mutter zum Beispiel lehnte es ihr Leben lang ab, Crevetten zu essen: «Die sehen ja aus wie Engerlinge», meinte sie, die in den 1930er-Jahren im Berner Mittelland aufgewachsen war. Meiner Generation dagegen graust es nicht mehr vor einem Krabbencocktail. Doch vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Protein­bedarf künftig decke, indem ich Insekten verzehre oder mich einfach konsequent ovo-lakto-vegetarisch ernähre – ich würde wohl Letzteres wählen. Denn da gibt es überhaupt kein Ekel­gefühl zu überwinden, und dieses Essverhalten ist wohl noch umweltschonender: Leben und leben lassen –«Vegetarier aller Länder, vereinigt euch!»

 

Schweizer Konsumenten sind eher skeptisch gegenüber Mehlwurm und Grille auf dem Teller. An der Hotelfachschule in Luzern werden aber genau diese Zutaten verwendet.

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